Quantenchemie für die Energiewende
Vera Krewald entschlüsselt chemische Reaktionsmechanismen am Computer
04.01.2022 von Uta Neubauer
TU-Chemieprofessorin Vera Krewald braucht kein Labor, dafür aber leistungsstarke Rechner. Mit den Werkzeugen der Quantenchemie beschreibt sie chemische Reaktionen – und zwar solche, die bei der Umstellung auf eine nachhaltige Wirtschaft eine Schlüsselrolle spielen.
Der Weg zum Büro von führt vorbei an Laboren. Wie in allen chemischen Forschungsinstituten riecht es dezent nach einem Mix aus Lösemitteln und anderen Chemikalien. „Den Duft der Chemie kann ich Ihnen bieten“, sagt Krewald und lacht. Sie selbst trägt allerdings nichts mehr zu dem Duft bei, denn ihren Laborkittel hat sie schon vor über zehn Jahren weggelegt. Ende 2018 kam sie als Assistenzprofessorin für Theoretische Chemie an die TU Darmstadt und baut hier eine eigene Vera Krewald auf. Statt mit Chemikalien, Kolben und Pipetten hantieren sie und ihr Team mit den Werkzeugen der Quantenchemie, um chemische Reaktionsmechanismen am Computer zu entschlüsseln. „Mit unseren Berechnungen schauen wir quasi in die Moleküle, in ihre Elektronenstrukturen hinein“, erklärt Krewald. „Wir können bestimmte Effekte an- und abschalten und sehen dann, welche Auswirkungen das auf die Elektronenstruktur und somit auf chemische Reaktionen hat.“ Forschungsgruppe
Neue Verfahren für die Energie- und Rohstoffwende
Krewald betreibt Grundlagenforschung, aber ihre Erkenntnisse sind durchaus relevant für die Chemieindustrie. „Mich interessieren besonders Prozesse im Kontext der Energie- und Rohstoffwende“, betont sie. So beschäftigt sich ihre Arbeitsgruppe zum Beispiel mit der Spaltung von Luftstickstoff, chemische Bezeichnung N2, um das Element für die Herstellung von Dünger oder Grundchemikalien verfügbar zu machen. Bislang dient dazu der vor über hundert Jahren entwickelte Haber-Bosch-Prozess, der Temperaturen von einigen Hundert Grad Celsius, hohe Drücke und einen Katalysator benötigt. Nachhaltig ist das Verfahren nicht, es zählt vielmehr zu den größten industriellen Energieverbrauchern. Krewald erkundet daher einen alternativen Weg. Mittlerweile weiß man, dass sich die extrem stabile Stickstoff-Stickstoff-Bindung auch mit Licht – prinzipiell sogar mit Sonnenlicht – spalten Quantenchemie für die Energiewende lässt, wenn der Luftstickstoff zuvor in bestimmte chemische Verbindungen eingelagert wird. Vereinfacht ausgedrückt werden die beiden Stickstoffatome mit Anhängseln versehen, die an der Bindung ziehen und den Zusammenhalt schwächen. „Bislang sind etwa zehn Verbindungen bekannt, mit denen die lichtgetriebene Stickstoffspaltung gelingt“, erläutert Krewald, weist aber auch auf ein Problem hin: Alle zehn Moleküle enthalten relativ teure Metalle wie Rhenium, Wolfram oder Osmium. „Für einen nachhaltigen und industrietauglichen Prozess müssen wir das Prinzip auf andere Verbindungen übertragen, in denen statt der teuren Metalle zum Beispiel Eisen steckt“, so Krewald. Für das Design solcher Substanzen müsse man die Stickstoffspaltung aber erst im Detail verstehen. Hier kommen die quantenchemischen Rechnungen ins Spiel, denn der lichtgetriebene Prozess läuft wie viele chemische Reaktionen so schnell ab, dass man die Mechanismen experimentell nicht beobachten kann. Mit den Methoden der Quantenchemie hingegen lassen sich Moleküle und Zwischenstufen berechnen, die nur sehr kurz existieren. Zudem könne man die Moleküle virtuell verändern und dann die Auswirkung auf die Elektronenstruktur erkennen, sagt Krewald: „So verstehen wir, wie sich Bindungen bilden oder spalten.“
Für einen nachhaltigen und industrietauglichen Prozess müssen wir das Prinzip auf andere Verbindungen übertragen, in denen keine teuren Metalle stecken.
Gute technische Ausstattung als Grundvoraussetzung
Quantenchemische Kalkulationen sind aufwendig und brauchen viel Speicherplatz. Krewalds Team nutzt dafür sowohl den Lichtenberg-Hochleistungsrechner der TU Darmstadt als auch einen gruppeneigenen Computercluster. „Wir verwenden im Prinzip die aus der Physik bekannten Ansätze der Quantenmechanik, müssen sie aber unseren Fragestellungen anpassen“, unterstreicht Krewald, denn in der Quantenmechanik werde es kompliziert, sobald man drei und mehr Teilchen berechnen wolle. Als Quantenchemikerin betrachte sie N Teilchen, wobei N für die Zahl der Elektronen in den Molekülen stehe – und das könnten Hunderte sein: „Wir benötigen daher ein paar Näherungen, aber die funktionieren ziemlich gut.“
Das weiß sie aus dem Abgleich ihrer Berechnungen mit Ergebnissen aus dem Labor. Krewalds Gruppe arbeitet sowohl bei der Stickstoffspaltung als auch in anderen Projekten stets eng mit experimentell forschenden Chemikerinnen und Chemikern zusammen: „Als Theoretikerin brauche ich die Zusammenarbeit mit Personen, die im Labor ausprobieren, was wir vorschlagen, und unsere Interpretationen überprüfen.“ Meist ist es ein Wechselspiel aus Computerkalkulation und Laborversuch, bis das optimale Molekül für eine bestimmte chemische Umsetzung gefunden oder ein Reaktionsmechanismus aufgeklärt ist.
Gesellschaftliche Relevanz der Quantenchemie
Mit den Arbeiten zur Stickstoffspaltung, ihrem zentralen Forschungsthema, begann Krewald vor fünf Jahren als Postdoktorandin an der Universität Wien. Darüber hinaus beschäftigt sich ihre Gruppe mit den Bildungs- und Spaltungsreaktionen von weiteren kleinen, extrem stabilen Molekülen, die für die Energiewende eine Schlüsselrolle spielen: Wasserstoff (H2), Sauerstoff (O2) und Wasser (H2O). Die Wasserspaltung mit Sonnenenergie etwa führt zu dem regenerativen Energieträger Wasserstoff. Die Spaltung von Sauerstoff wiederum ist eine zentrale Reaktion in Brennstoffzellen. Deren katalytische Vorgänge entschlüsselt sie zusammen mit ihrer Kollegin Ulrike Kramm, ebenfalls Professorin im Fachbereich Chemie.
Krewalds Forschung ist der beste Beweis für die gesellschaftliche Relevanz der Quantenchemie. Anfang des Jahres erhielt sie für die Etablierung ihres Fachgebietes den . Im November durfte sie sich über eine weitere Ehrung freuen, den Nachwuchspreis der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Universitätsprofessoren und -professorinnen für Chemie (ADUC), den sie sich mit Dr. Hans Messer Stiftungspreis aus dem Fachbereich Biologie der TU Darmstadt teilt. Krewald wird ihr Preisgeld in Höhe von 25.000 Euro in Hardware für zusätzliche Rechenleistung investieren und zudem ein internationales Treffen zur lichtgetriebenen Stickstoffspaltung organisieren. Sie weiß, dass nicht nur experimentelle und theoretische Chemie, sondern auch Forschende aus aller Welt Hand in Hand arbeiten müssen, um die Energiewende und andere Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen. Meike Saul