Entscheidungen von großer Tragweite

Welche Herausforderungen stellen sich in Berufungsverfahren?

18.07.2023

Berufungen sind ein zentrales Instrument für die wissenschaftliche Entwicklung der TU Darmstadt und wesentlich für deren Profilbildung. Einblick in das wichtige Verfahren geben im hoch³-Interview TU-Präsidentin Professorin Tanja Brühl, Professor Thomas Stelzer Rothe, Coach und Berater zum Thema an der TU, und Professor Bastian J. M. Etzold, zum Zeitpunkt des Interviews Prodekan des Fachbereichs Chemie.

Berufungen sind ein entscheidendes Instrument für die wissenschaftliche Entwicklung der Universität und wesentlich für die Profilbildung der TU Darmstadt.
TU-Präsidentin Professorin Tanja Brühl
TU-Präsidentin Professorin Tanja Brühl

Frau Brühl, welche Bedeutung haben Berufungsverfahren für die TU Darmstadt?

Tanja Brühl: Berufungsverfahren sind für uns als Universität von zentraler Bedeutung. In Berufungsverfahren wählen wir Kolleg:innen aus, die unsere Universität gegenwärtig und zukünftig mitgestalten und mitprägen. Es geht daher in Berufungsverfahren um die Frage, wie wir uns als TU Darmstadt in Zukunft aufstellen wollen: Welche Schwerpunkte und Impulse wollen wir in und durch unsere Forschung setzen? Wie kann Zusammenarbeit und Vernetzung mit anderen gelingen – an der TUDa und im Verbund mit unseren vielfältigen nationalen und internationalen Partner:innen? Wie können wir Studierende beim Kompetenzerwerb begleiten und unterstützen? Welche zukunftsweisenden Formate wollen wir dazu nutzen? Wie intensiveren wir den Dialog mit Akteur:innen außerhalb der Universität und verbinden Grundlagenforschung mit Bedarfen der Anwendung?

Professor:innen leisten einen Beitrag in allen Missionen der Universität; sie gestalten Universität in Forschung, Lehre und xchange. Sie tragen als Führungskräfte Verantwortung in ihren Teams und prägen damit den Arbeitsort Universität. Diejenigen Kolleg:innen zu identifizieren, die neugierig sind, diese Zukunftsfragen im Sinne der TU Darmstadt zu beantworten; Kolleg:innen, die hoch qualifiziert sind und die zu uns und zum spezifischen TU Darmstadt-Spirit passen, darum geht es in Berufungsverfahren. Berufungsverfahren entscheiden zudem darüber, ob und wie wir die gesellschaftliche Diversität auch in der Professor:innenschaft abbilden.

Professor Thomas Stelzer-Rothe
Professor Thomas Stelzer-Rothe

Herr Stelzer-Rothe, welche Rolle spielen Berufungsverfahren Ihrer Meinung nach allgemein für Universitäten?

Thomas Stelzer-Rothe: Meine Vorstellung von der Bedeutung von Berufungsverfahren wird von dem Auftrag bestimmt, dem Hochschulen für unsere Gesellschaft gerecht werden sollen. Im Letzten sind alle Hochschulen beauftragt, das Gemeinwohl zu fördern. Diejenigen, die an den Universitäten die dafür vom Gesetzgeber erhaltene Freiheit der Forschung und Lehre erhalten, sind überaus wichtig für das, was sich an der jeweiligen Hochschule, in unserer Gesellschaft und darüber hinaus sogar global entwickelt. Forschung an Universitäten ist zwar grundsätzlich zweckfrei, hat aber in aller Regel massive Wirkung im gesellschaftlichen System. Das zeigt nicht nur die phänomenale Entwicklung des Impfstoffs in Corona-Zeiten.

Wenn wir uns also um Menschen bemühen, die dieser Freiheit und diesem Anspruch gerecht werden sollen, ist das hochgradig von Bedeutung für jede einzelne Universität. Wenn man einen Vergleich bemühen will, sind Berufungsverfahren dazu da, zumindest einen beachtlichen Teil des Fundaments zu legen, mit dem alle anderen Prozesse verknüpft sind. Selbstverständlich ranken sich um die Berufungsverfahren viele ebenfalls wichtige Elemente eines funktionierenden Universitätssystems.

Professor Bastian J. M. Etzold
Professor Bastian J. M. Etzold

Herr Etzold, wie schätzen Sie die Bedeutung von Berufungsverfahren für die Fachbereiche ein?

Bastian J. M. Etzold: Berufungen sind eine der wichtigsten und bedeutsamsten Aufgaben für die Fachbereiche. In dem Verfahren hat der Fachbereich die Chance sich in Forschung und Lehre neue Kompetenz sowie zukünftige Themen zu erschließen. Dabei muss auch bewertet werden, inwiefern eine Lücke im Portfolio durch Weggang oder Pensionierung von Kolleg:innen entstanden ist, welche ebenso geschlossen werden soll. Die Entscheidung für zukünftig notwendige Kompetenzen und Themen ist sehr standortspezifisch und muss die laufende und angestrebte Verbundforschung sowie Lehre und Studiengangsentwicklung berücksichtigen. Zusätzlich ist es notwendig, dass die zukünftige Professur neben der guten Einbindung in Verbundaktivitäten eine selbsttragende Forschung in der Stammdisziplin aufweist und die Passung der Person zur gemeinsamen Forschung mit individueller Exzellenz einhergeht.

Durch all diese Aspekte entsteht ein Spannungsfeld zum Beispiel zwischen dem Erhalten von erfolgreichen und notwendigen (Kern-)Kompetenzen und der Ausrichtung auf neue Felder. Dieses Spannungsfeld gilt es zu meistern, denn die Bedeutung der Berufungsverfahren wird dadurch sehr groß, da man sich für einen langen Zeitraum an Kolleg:innen bindet. Somit hat man nur geringe Korrekturmöglichkeiten und muss eine Prognose über die Entwicklung des Forschungsfeldes, der Lehre und der zu berufenden Person für einen Zeitraum von meist 15 bis 25 Jahren treffen.

Was macht aus Ihrer jeweiligen Sicht ein gutes Berufungsverfahren aus?

Tanja Brühl: Bei einem sehr guten Verfahren legt der Fachbereich dem Senat eine sehr gute Berufungsliste vor, und ich kann Platz eins berufen. Das Verfahren zeichnet sich erstens durch Transparenz aus. Dies umfasst den transparenten – und konsequenten – Umgang mit möglichen Befangenheiten. Sie umfasst die transparente und verlässliche Kommunikation mit den Kolleg:innen, die sich auf eine Professur an unserer Universität bewerben. Unser Anspruch ist zweitens Berufungsverfahren effizient zu gestalten. Als TU Darmstadt wollen wir vakante Professuren schnellstmöglich besetzen, um so neue Kolleg:innen zu gewinnen, die mit uns gemeinsam die TUDa weiterentwickeln. Effiziente Berufungsverfahren sind unabdingbar im Wettbewerb um die besten Köpfe – mit anderen Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Unternehmen gleichermaßen. Es gilt dabei, sich aktiv und kritisch mit Biases auseinanderzusetzen, die Auswahlprozesse beeinflussen können.

Thomas Stelzer-Rothe: Eine einfache Antwort könnte kurz und gut so ausfallen, dass es valide, objektive und reliable Verfahren sein sollten. Anders ausgedrückt brauchen wir Vorstellungen von dem, was in Zukunft eine gute Professorin oder ein guter Professor ist. Diese Person müsste in einem Verfahren identifiziert werden, das angemessen beschriebene Kriterien überprüft, die auch tatsächlich angewandt werden und auf einer Messung beruhen, die soweit das möglich ist, genau ist. In dieser Konstellation liegen nicht ganz triviale Probleme. So ganz genau können wir nämlich keine Prognose über die Details der Entwicklungen abgeben, die in den nächsten Jahrzehnten auf uns zukommen.

Bastian J. M. Etzold: Ein Verfahren war gut, wenn am Ende die richtige Person berufen wurde und hierdurch der Fachbereich, die Universität und die berufene Person hinzugewinnen. Um die Chance hierfür zu erhöhen, braucht es Zeit, Einsatz und sehr gute Vorbereitung und Absprache vieler Kolleg:innen, nicht nur des Kommissionsvorsitzes oder der Kommission, sondern des gesamten Fachbereiches. Bereits vor Einsetzen der Berufungskommission ist es sinnvoll, dass vorher beschriebene Spannungsfeld in der Professorenschaft zu diskutieren, um der Berufungskommission ein klares Ziel für die Berufung mitzugeben. Die Bürokratie des gesamten Berufungsverfahrens kostet natürlich auch viel Einsatz und ist zusätzlicher Aufwand zu den bestehenden Aufgaben. Ich habe großen Respekt vor allen Kolleg:innen, die diese Zeit einsetzen und denke, es ist eine der besten Investitionen, die man machen kann.

Weitere Informationen

Berufungsverfahren an der TU Darmstadt

Thomas Stelzer-Rothe ist Professor für Personalmanagement an der Fachhochschule Südwestfalen, Präsident des Hochschullehrerbundes Nordrhein-Westfalen und als Coach und Berater zum Thema Berufungsverfahren an der TU Darmstadt tätig.

Interview: Katrin Lehn, Referentin für Personal- und Organisationsentwicklung/mih

Fokusthema der hoch³-Ausgabe 3/2023 : TU-Spitzenforschung zu Künstlicher Intelligenz