Erster Blick auf die künstliche Kryosphäre

ERC fördert Projekt „CultCryo“ mit Synergy Grant über rund 9,9 Millionen Euro

26.10.2023

Für das Projekt „CultCryo – The Cultures of the Cryosphere“ hat der Europäische Forschungsrat ERC der TU Darmstadt als Host Institution einen Synergy Grant zuerkannt. Die beantragte Fördersumme beträgt rund 9,9 Millionen Euro, korrespondierender Principal Investigator ist Dr. Alexander Friedrich. Ziel des Projekts ist ein umfassender analytischer Blick auf die weltweite künstliche Kühlung.

Kühl- und Gefriertechnologien haben die Welt grundlegend verändert. Das Projekt „CultCryo“ wird die „künstliche Kryosphäre“ interdisziplinär untersuchen.

Künstliche Kühlung gestaltet die Welt grundlegend. Kühl- und Gefriertechnologien sind für eine Vielzahl von Alltagspraktiken – von Ernährung, Gesundheit und Fortpflanzung bis hin zu Wohnen, Telekommunikation, wissenschaftlicher Forschung und wirtschaftlicher Produktivität – immer wichtiger geworden. Ein globales System von Kühllagern, Kühlketten und klimatisierten Räumen ist zu einer energieintensiven, aber kaum beachteten planetarischen Infrastruktur geworden: einer „künstlichen Kryosphäre“.

Die weitreichenden Auswirkungen dieser Technologie sind jedoch noch weitgehend unerforscht. Jüngste Studien gehen davon aus, dass sich der weltweite Kältebedarf bis 2050 verfünffachen wird, was das Energiebudget dramatisch übersteigt. CultCryo will dazu beitragen zu verstehen, wie die Infrastruktur der künstlichen Kälte mit kulturellen Praktiken verwoben ist, um dazu beizutragen, eine drohende Kältekrise abzuwenden.

CultCryo - The Cultures of the Cryosphere. Infrastructures, Politics and Futures of Artificial Cooling

Beteiligte Wissenschaftler:innen: Alexander Friedrich (TUDa/ZfL, korrespondierender PI), Suzana Alpsancar (Universität Paderborn), Stefan Höhne (Universität Duisburg-Essen), Bronwyn Parry (Australian National University, Canberra)

Förderung: insgesamt 9,9 Mio. Euro, davon TU Darmstadt 2,8 Mio. Euro

Projektlaufzeit: sechs Jahre

Die am Projekt beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Darmstadt, Paderborn, Essen-Duisburg und Canberra planen im Rahmen von CultCryo vier interdisziplinäre Fallstudien in den Bereichen Lebensmittelversorgung, Klimatisierung, Biomedizin und Informatik. Die Methoden dafür werden in Technikgeschichte, Geographie, digitaler Begriffsgeschichte, Ethnographie sowie Philosophie und Technikethik wurzeln.

CultCryo wird die erste geografische Kartierung der Kryosphäre, eine historische Rekonstruktion ihrer Entstehung, eine ethnografische Darstellung ihrer kulturellen Verfasstheit sowie eine philosophische Analyse und ethische Bewertung der ihr zugrunde liegenden Normen und Werte liefern. So wird das Projekt zum Wegbereiter eines innovativen interdisziplinären Forschungsgebiets, um ein drängendes globales Phänomen kritisch zu analysieren und gleichzeitig Alternativen für eine nachhaltigere Zukunft der künstlichen Kälte aufzuzeigen.

Neben CultCryo wurde auch das TU-Projekt „HYROPE – Hydrogen under pressure“ in die Förderung der Synergy Grants aufgenommen. Damit war die TU erstmals in dieser Förderlinie des ERC erfolgreich.

Ich gratuliere den Kollegen Alexander Friedrich und Andreas Dreizler sehr herzlich zur Auszeichnung mit zwei ERC Synergy Grants! Die beiden Projekte stehen beispielhaft für wesentliche Charakteristiken und Stärken der Forschung an unserer Universität: Wissenschaftler:innen nehmen drängende Herausforderungen in den Blick und arbeiten interdisziplinär und vernetzt mit Kolleg:innen weltweit an innovativen Lösungen. HYROPE und CultCryo illustrieren auch die fruchtbare Perspektivvielfalt an der TUDa. Ob durch die Entwicklung von CO2-freien Gasturbinen oder der Analyse des weltweiten Systems künstlicher Kühlung, im Fokus stehen kreative Beiträge für eine nachhaltigere Zukunft.

Tanja Brühl, Präsidentin der TU Darmstadt

Zur Person

Dr. Alexander Friedrich promovierte an der Justus-Liebig-Universität Gießen und kam dann als PostDoc-Stipendiat ans DFG-Graduiertenkolleg „Topologie der Technik“ an die TU Darmstadt. Hier arbeitete er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Philosophie (Fachbereich Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften) und vertrat 2020-2021 die Professur für Theoretische Philosophie. Derzeit arbeitet er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung (ZfL) Berlin im Schwerpunktprojekt „Das 20. Jahrhundert in Grundbegriffen“. Aufenthalte als Gastwissenschaftler führten ihn an die University of Sydney und das ZfL Berlin. Friedrichs Arbeitsschwerpunkte sind unter anderem Sprachphilosophie, Digitale Methoden und Wissenschaftstheorie der Geisteswissenschaften sowie Technik- und Kulturphilosophie.

ERC Synergy Grants

Die Synergy Grants des European Research Councils (ERC) gehen an Teams von zwei bis vier international renommierten Forschenden. Die mit den Grants geförderten Projekte sollen zu Entdeckungen an den Schnittstellen zwischen etablierten Disziplinen und zu substantiellen Fortschritten an den Grenzen des Wissens führen. Denkbar sind die Entwicklung neuer Methoden und Techniken, sowie ungewöhnliche Herangehensweisen. Entscheidend für die Förderung ist, dass die Projekte nur durch die Zusammenarbeit der benannten Forscherinnen und Forscher möglich werden.

Die Förderung kann für bis zu sechs Jahre beantragt werden mit einem maximalen Budget von zehn Millionen Euro. Es ist möglich, zusätzlich Fördergelder in Höhe von vier Millionen Euro zu erhalten.

Friedrich/sip