„Wertschätzende“ Kommunikation im Innern der Zelle

Der Mathematiker Mark Sinzger-D’Angelo im Gespräch

19.12.2023 von

Mark Sinzger-D’Angelo arbeitet und forscht als Doktorand am Self-Organizing Systems Lab (SOS lab) der TU Darmstadt, an der Schnittstelle zwischen den Fachbereichen Elektrotechnik und Informationstechnik sowie Biologie. Im Interview spricht er über seine Arbeit als Mathematiker am SOS lab und seine aktuelle Veröffentlichung in der Fachzeitschrift über Informationstheorie „IEEE Transactions on Information Theory“.

Mark Sinzger-D’Angelo

Seit 2019 sind Sie als Doktorand an der TU Darmstadt. Was hat Sie nach Darmstadt geführt?

Während meines Bachelorstudiums in Mathematik an der Universität Tübingen war mir schon klar, dass ich im Master eine „anschaulichere“ Mathematik machen möchte. Biomathematik an der TU München hörte sich für mich interessant an. Insgesamt war es ein Masterstudium mit vielen tollen Angeboten. Was für meinen Geschmack zu kurz kam, war die stochastische Modellierung.

Ein externer Vortrag von Professor Heinz Koeppl, Leiter des SOS lab, zum Blick auf Zellbiologie mittels stochastischer Modellierung und Operatortheorie begeisterte mich und führte mich schließlich nach Darmstadt. Durch das Studium konnte ich wichtiges Vorwissen zur Biomathematik – beispielsweise zum Gillespie-Simulations-Algorithmus – mitbringen.

Was interessiert Sie in Bezug auf Forschung am meisten?

Ein großes spannendes Thema ist, wie lokale Regeln zu einem globalen Muster oder Phänomen führen. Das hat man eigentlich immer, wenn man in der Sprache der Reaktionskinetik etwas formuliert. In der Theorie schon mal zu verstehen, wie sich die Stochastizität – bei uns ist das immer das Modell, dass jede Zelle eine andere Ausstattung mitbekommt, manche sind größer, manche kleiner, manche haben mehr Ribosomen, manche weniger – in Messungen widerspiegeln müsste.

Um was geht es in Ihrer aktuellen Publikation?

Man kann sich ja fragen, was Biologie überhaupt mit Elektrotechnik zu tun hat. Was in beiden Fällen stattfindet, ist Informationsübertragung. In der Zelle sind viele verschiedene Proteine, die den Laden schmeißen. Und diese Proteine müssen ja miteinander reden, dass die Aufgaben aufeinander abgestimmt funktionieren. Wo kommuniziert wird, kann es Missverständnisse oder Fehler geben. Die Proteine müssen aus dem Kommunizierten gut schätzen, was ihre Peers so machen; ihren Wert, also ihre Konzentration oder Stückzahl, schätzen. Der Kommunikationskanal, der dafür zur Verfügung steht, ist die Genexpression.

Die Frage, die uns leitet, ist: Kann diese Kommunikation und damit Aufgabenverteilung präzise und effizient funktionieren, und auf welche Weise geben uns Physik oder Informationstheorie Schranken für Präzision und Effizienz vor?

Das Schöne an der Informationstheorie ist, dass das eine sehr abstrakte Theorie ist. Deswegen kann man sie gleichermaßen auf physikalische, elektrotechnische und biologische Systeme anwenden. Eine schöne Anwendung der Informationstheorie ist das ‚Wer-bin-ich-Spiel‘: Man versucht, mit möglichst wenig Ja-Nein-Fragen zu einer gesicherten Information zu gelangen.

Mark Sinzger-D’Angelo begeisterte sich schon als Kind für die Mathematik.
Mark Sinzger-D’Angelo begeisterte sich schon als Kind für die Mathematik.

Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Im Modell nehmen wir an, die Zelle zählt Reaktionen, deswegen habe ich mir den Poisson-Kanal angeschaut, als Näherung für den Genexpressionskanal. Eine weitere Besonderheit ist, dass wir den zeitlichen Verlauf einbeziehen. Bisher haben viele Arbeitsgruppen in der Biologie die Informationstheorie vereinfacht beschrieben. Etwa durch den zeitlichen Durchschnitt, die Fixierung eines einzelnen Zeitpunkts oder eine normal verteilte Annäherung. Häufig wurden auch Monte-Carlo-Methoden verwendet, bei denen viele tausend Vorgänge simuliert und dann die Ergebnisse gemittelt werden. In meiner Arbeit bringe ich stattdessen verschiedene Theorien – Markovtheorie, stochastisches Filtern, Zählprozesse – zusammen und kann so die wechselseitige Information ohne Monte-Carlo-Simulationen berechnen.

Was für die Biologie interessant ist, wie muss das Eingabesignal sein, dass die maximale Information übertragen werden kann. Man kann sich überlegen, dass die Evolution dafür gesorgt hat, dass Zellen mit möglichst guter Informationsübertragung agieren. Zusammen mit unseren Berechnungen ergeben sich daraus Hypothesen, welche Signalstruktur wir beobachten müssten.

Da kommt die Informationstheorie ins Spiel. Die Größe, die ich mir angeschaut habe, ist die wechselseitige Information. Dabei geht es darum, wie zwei vorhandene Informationsquellen miteinander korreliert sind. Also: wenn ich die Signale der einen Quelle beobachtet habe, wie gut schätze ich die andere. Abstrakt können wir sagen: die beiden Quellen sind über einen Kanal verbunden.

Eine Metapher wäre, man hört einem Vortrag zu (Eingabe des Kanals) und hat immer wieder Aha-Momente, also versteht etwas (Ausgabe des Kanals). Für die Berechnung der wechselseitigen Information (zwischen Vortragsspannung und Aha-Momenten) brauchen wir noch eine dritte im Bunde, die ich die interne Aufmerksamkeitskurve nennen würde. Die springt immer bei einem Aha nach oben. Und sinkt danach wieder etwas ab bis zum nächsten Aha.

Wechseln wir die Perspektive, und nehmen an, wir registrieren nur die Aha-Momente: Wir können zwar den Vortragsverlauf nur noch erahnen, aber wir kennen weiterhin komplett den Zeitverlauf der internen Aufmerksamkeit. Und haben damit auch einen Schätzwert für die Spannungskurve des Vortrags.

Auf dieser Schätzung, der sogenannten „conditional intensity“, lag mein Fokus. Sie schreitet nach einer bestimmten stochastischen Regel in der Zeit voran, die wir Markovprozess nennen. Ich berechne ihre Wahrscheinlichkeitsverteilung, also die Wahrscheinlichkeit, mit der sie sich in diesem oder jenem Wert befindet.

Zur Person

Mark Sinzger-D’Angelo begeisterte sich schon als Kind für die Mathematik. Besonders fasziniert hatte ihn das Computerspiel zum Buch „Der Zahlenteufel“ von Hans Magnus Enzensberger. Als Siebtklässler absolvierte er seinen ersten Mathe-Wettbewerb und fand Gefallen am mathematischen Knobeln. Es folgten der Landeswettbewerb Baden-Württemberg, das Känguru der Mathematik und der Bundeswettbewerb Mathematik. Um seine Freude an der Mathematik an andere junge Menschen weiterzugeben, gründete er am Reutlinger Isolde-Kurz-Gymnasium eine Mathe-AG, die auch heute noch besteht. Er mag Brettspiele und ist überzeugt: „Eltern können die mathematische Begabung ihrer Kinder sehr gut mit Brettspielen und dem Lesen von Spielanleitungen fördern.“

Doch nicht nur die Mathematik hat es ihm angetan. Seit seinem sechsten Lebensjahr spielt er Klavier, er war Mitglied im Jugendtheaterklub und im studentischen Rohbautheater Kollektiv, außerdem schreibt er eigene Texte.

Seit vielen Jahren setzt sich Sinzger-D’Angelo für Diversität und LGBTQ+ ein. Wenn es einen aktuellen Anlass gibt, etwa die Debatte um das neue Selbstbestimmungsgesetz, berichtet er in seiner Arbeitsgruppe auch gerne mal mit einem aufklärenden Vortrag über das Thema.

Genauso wichtig ist ihm der Klimaschutz. „Gerade als Wissenschaftler, für die Konferenzen in anderen Städten und Ländern zum Berufsalltag gehören, empfinde ich als es als wichtig, klimafreundlich zu reisen. Und wann immer es möglich ist, auf Bus, Zug und Fähre zurückzugreifen.“

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