Herr der Pakete

TU-Alumnus Dr. Tobias Meyer ist Vorstandsvorsitzender der DHL Group und Chef von weltweit fast 600.000 Beschäftigten

18.12.2024 von

Seit Teenagertagen liebt Tobias Meyer das Segelfliegen. An der TU Darmstadt studierte er daher Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt Luftfahrttechnik und promovierte später im Bereich Maschinenbau. Eigentlich wollte er nach dem Studium an der Entwicklung des A 380 Großraumflugzeuges mitarbeiten, aber dann kam es anders. Heute ist der TU-Alumnus Vorstandsvorsitzender des weltweiten Logistikanbieters DHL Group.

Tobias Meyer (CEO DHL Group) im Gespräch mit Marc Hitschfeld (Chief Operations Officer Post & Parket Deutschland) im PZ Neuwied.

Wenn es eng wird, steht der Chef selbst in der Halle. Vor Weihnachten etwa, wenn in den DHL-Zentren die Hölle los ist, hilft Tobias Meyer am Wochenende mit. Dann legt er Päckchen und Pakete aufs Band oder nimmt sie herunter. „Aufgelegt und abgetragen von den Bändern werden die Pakete per Hand“, erzählt er. „Da weiß man am Abend, was man getan hat.“ Im Sommer ist er mit dem DHL-Transporter durch Köln gefahren, hat Sendungen ausgeliefert und Pakete auch bis in den fünften Stock geschleppt. Ähnliches hat er in England, der Türkei oder Hongkong schon getan. DHL ist das größte Logistikunternehmen der Welt. Rund drei Viertel seines über 80 Milliarden Euro Jahresumsatzes erwirtschaftet der globale Logistikanbieter mit Sitz in Bonn im Ausland.

Anzug und Schreibtisch gegen die rotgelbe DHL-Arbeitskleidung eintauschen, das macht Tobias Meyer nicht zum ersten Mal und auch nicht nur, wenn Kameras klicken. „Ich tue das schon seit vielen Jahren, um die Abläufe und die Stimmung unter den Beschäftigten kennenzulernen“, betont er. „Man nimmt viel mit, wenn man selbst unterwegs ist. Ich sehe, wie die Kunden sich verhalten, muss schwierige Anfahrten oder Treppen bewältigen.“ Die Tücken des Geschäfts erlebt er so aus erster Hand, sagt er. Ein paar Stunden Zusammenarbeit sind für ihn viel aufschlussreicher als ein Drei-Minuten-Eindruck beim Gang durch ein Paketzentrum.

Wichtige Lektionen für den späteren Berufsalltag

Das klingt praxisnah und pragmatisch und als Pragmatiker sieht sich der 49-Jährige auch, wenn er sich selbst beschreiben soll. Das war schon im Studium so. Anfangs wollte Tobias Meyer Bauingenieur werden, doch in den 1990er-Jahren, als er sein Studium aufnahm, waren die Jobaussichten schlecht. Also entschied er sich – ganz pragmatisch – für Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt Maschinenbau. „Das ging ja in eine ähnliche Richtung.“ Mit 14 Jahren hatte er in seiner Heimat, im nordhessischen Schwalmstadt, mit der Segelfliegerei begonnen. Ein Hobby, das ihn begeisterte, weshalb auch im Studium sein Fokus auf der Luftfahrttechnik lag. „Ich habe Studien-Praktika bei Airbus in Toulouse und in Hamburg gemacht. Ich wollte später in der Luft- und Raumfahrt arbeiten“, erzählt er.

Vorlesungen und Seminare timte er so, dass er möglichst viel in der Luft sein konnte. „Die Wintersemester habe ich vollgepackt mit Prüfungen und Terminen, damit ich im Sommersemester mehr Freizeit hatte“, erinnert er sich und lacht. Das klappte ganz gut: „Selbst die gefürchtete Statistik-Klausur habe ich bestanden.“ Um Geld fürs Segelfliegen sparen zu können, wohnte er in Darmstadt in einer einfachen Studentenbude mit Toilette auf dem Gang.

Die Entscheidung für das Fach Wirtschaftsingenieurwesen lobt er noch heute als richtig und „sinnvoll“. Sie ermöglichte ihm Einblicke auch in die Rechtswissenschaften, in die Betriebs- und Volkswirtschaft. „Ein Wissen, das ich später im Beruf gut anwenden konnte.“ Mit einem Schmunzeln erinnert er sich an einen Professor in den Rechtswissenschaften, der seine Vorlesungen mit großer Nachdrücklichkeit abhielt und Studierende auch schon mal Paragrafen vorlesen ließ. Ein ganzes Auslandsjahr verbrachte Tobias Meyer während seines Studiums in den USA, an der University of Illinois in Urbana-Champaign, einer Partneruni der TU. „Eine gute Erfahrung. Ich habe den amerikanischen Lebensstil kennengelernt und die Ausstattung der Universität war beeindruckend.“ Sich in einer anderen Kultur und Umgebung zurechtzufinden, auch das war eine wichtige Lektion für den späteren Berufsalltag.

„Hinschauen, für wen man tätig ist"

Als Tobias Meyer sein Studium abschloss, wollte er eigentlich als Entwickler am neuen A 380 bei Airbus mitwirken. Doch die Prozesse für den Bau des Großraumfliegers verzögerten sich. Wieder ganz pragmatisch entschloss sich der Alumnus 2001 für eine Stelle in der Unternehmensberatung McKinsey. „Das sollte vorübergehend sein, bis das A 380-Programm anläuft.“ Aber dann blieb er – insgesamt zwölf Jahre lang, arbeitete in Frankfurt und mehrere Jahre auch in Singapur. Meyer ist verheiratet und Vater von drei Kindern. „Singapur ist spannend und extrem dynamisch. Ich bin viel gereist.“ Doch irgendwann zog es ihn zurück nach Deutschland. „Ich schätze die Natur und das gesellschaftliche Leben.“ Zwei Jahre nach seinem Arbeitsbeginn in der Unternehmensberatung entschloss er sich zudem zur berufsbegleitenden Promotion. Thematisch ging es in seiner Doktorarbeit um globale Fertigungstechniken, weltweite Produktion und Standortwahl. „Also ein ähnliches Metier wie das, in dem ich heute arbeite – nur aus der Sicht unserer Kunden“, sagt Tobias Meyer.

2013 wechselte der TU-Alumnus zu Deutsche Post DHL Group, war dort zwei Jahre lang Leiter des Bereiches Konzernentwicklung. Danach arbeitete er bis 2018 als Chief Operation Officer im Unternehmensbereich DHL Global Forwarding, dem Speditionsbereich von DHL. Kerngeschäft des Bereiches sind die Luft- und Seefracht sowie Zolldienstleistungen in über 120 Ländern. Anschließend folgten Leitungsfunktionen im Unternehmensbereich Post & Paket Deutschland. Von dort stieg der 49-Jährige in den Vorstand von Deutsche Post und DHL auf, seit Mai 2023 ist er Vorstandsvorsitzender des Konzerns, der seit 1. Juli 2023 unter dem Namen DHL Group firmiert.

War das sein Ziel? „Übermäßige Karriereplanung ist nicht hilfreich und habe ich nie betrieben.“ Er rät vielmehr: Hinschauen, für wen man tätig ist. „Erfolgreich wird man auch, wenn man selbst für erfolgreiche Unternehmen und Menschen arbeitet“, ist er überzeugt. Managerqualitäten braucht es dennoch. Und ein taktisches Gespür für richtige Entscheidungen und richtiges Timing. „Ich bin sehr faktenorientiert. Vielleicht ein Charakteristikum der Ingenieure“, sagt Meyer. Ein Motto: „Ich muss nicht recht haben, sondern es muss funktionieren“. Derzeit sieht er sich auch Herausforderungen gegenüber. Etwa einem schwächelnden Brief-Geschäft. „Wir sind in Deutschland als Briefdienstleister einer flächendeckenden Zustellung verpflichtet. Da gibt es viele regulatorischen Vorgaben und wir arbeiten mit eigenen Leuten, nicht mit Subunternehmern wie andere.“ Der Briefverkehr schwankt, viele Sendungsanlässe wurden wegdigitalisiert, aber es gibt auch extreme Spitzen – wie etwa bei Briefwahlen oder vor Feiertagen.

Das sind Herausforderungen im deutschen Geschäft, doch DHL ist global präsent, auch hier zumeist mit eigenem Personal. Weltweit sind das fast 600.000 Beschäftigte. „Bei jeder Krise in der Welt sind wir irgendwie betroffen. So haben wir beispielsweise Mitarbeiter:innen in Israel und auch im Libanon“. Und auch in Russland war DHL unter anderem als größter Express-Dienstleister mit rund 6.000 Beschäftigten vertreten, bis das Geschäft angesichts des Ukraine-Krieges geschlossen wurde.

Als Ausgleich zum anstrengenden Berufsleben trifft sich der TU-Alumnus unter anderem mit früheren Kommilitonen. Einmal im Jahr gehen sie für ein paar Tage gemeinsam wandern. Auch sein Hobby, die Segelfliegerei, hat er wieder aufgenommen. Wie in alten Uni-Zeiten.