Die „dunkle Seite“ der Empathie

TU-Studie: Zu viel Verständnis für Kundenwünsche kann Produktentwicklung hemmen

05.02.2024

Bislang geht die Forschung davon aus, dass Gründer:innen, die sich gut in die Gefühle ihrer Kund:innen hineinversetzen können, besonders viel geschäftlichen Erfolg haben. Doch eine Untersuchung von Forschenden der TU Darmstadt deutet nun darauf hin, dass zu viel Einfühlungsvermögen auch hinderlich sein kann.

Empathie wird häufig als Eckpfeiler der notwendigen Fähigkeiten von Unternehmensgründer:innen betrachtet, damit diese ihre Produkte möglichst gut auf die Bedürfnisse der Kund:innen zuschneiden können. Methoden wie „Jobs to be done“ zur Ermittlung von Kundenwünschen oder Design-Thinking-Ansätze zur Entwicklung neuer Ideen aus Nutzersicht genießen daher eine hohe Popularität unter Start-ups. Allerdings lassen neue Erkenntnisse der Sozialpsychologie und der Neurowissenschaften folgende Frage aufkommen: Ist Empathie allumfassend positiv für Produktentwickler:innen?

Zu-viel-des-Guten“-Logik

„Bislang konnte man annehmen, dass die Gründer mit dem höchsten Level an Empathie auch am erfolgreichsten sind“, erklärt Konstantin Kurz vom Fachgebiet Entrepreneurship an der TU Darmstadt. Allerdings vernachlässigt diese einseitige Sichtweise die Tatsache, dass Empathieprozesse bei Gründer:innen zu kognitiven Verzerrungen führen können, welche die Vorteile eines hohen Kundenverständnisses einschränken: Denn die nun im „Journal of Business Venturing“ veröffentlichte TU-Studie zeigt empirisch auf, dass weniger Produktentwicklungen die Folge sind. Empathisches Verständnis von Gründern scheint daher einer „Zu-viel-des-Guten“-Logik zu folgen – ein zweischneidiges Schwert, das mächtig, aber auch hinderlich sein kann.

Dieser Effekt entsteht potenziell, da sehr ängstliche Gründer insbesondere für verzerrte Wahrnehmung anfällig sind und so zum Beispiel einzelne, aber unbedeutende Kundenmeinungen übermäßig wichtig einschätzen.

Die nachteiligen Effekte eines hohen Empathielevels zeigen sich besonders bei Gründer:innen mit einer ängstlichen Persönlichkeitsausprägung, wie aus Untersuchung mit dem Titel „Flip the tweet – the two-sided coin of entrepreneurial empathy and its ambiguous influence on new product development“ hervorgeht. „Dieser Effekt entsteht potenziell, da sehr ängstliche Gründer insbesondere für verzerrte Wahrnehmung anfällig sind und so zum Beispiel einzelne, aber unbedeutende Kundenmeinungen übermäßig wichtig einschätzen“, erklärt Professorin und Fachgebietsleiterin Carolin Bock.

Die Autor:innen analysieren für ihre Studie mehrere Millionen Posts auf der Kommunikationsplattform X (ehemals Twitter) von Gründer:innen im Hinblick auf deren empathisches Verständnis. Hierfür wenden sie neuartige Forschungsansätze an. Ein Machine-Learning-Algorithmus misst dabei das Empathielevel anhand bestimmter Worte in den Tweets, die einer anderen Studie zufolge auf eine überdurchschnittliche Empathie hinweisen. Auch die Zahl der Produktentwicklungen wird über einen Algorithmus erfasst, der die Tweets automatisch danach klassifiziert, ob es darin um ein neues Produkt oder einen neuen Service geht. Die Autor:innen hoffen, weitere Entrepreneurship-Forschende dahingehend zu inspirieren, diese leistungsstarken Analysemöglichkeiten in ihren methodischen Werkzeugkoffer mit aufzunehmen.

Indem die Autor:innen neue Erkenntnisse zur „dunklen Seite“ von Empathie liefern, belegen sie erstmals, dass so wichtige und wertvolle Eigenschaften wie Empathie auch ein kontraproduktives Übermaß erreichen können. Dessen sollten sich Gründer:innen bewusst sein.

Die Studie

Konstantin Kurz, Carolin Bock und Leonard Hanschur: „Flip the tweet – the two-sided coin of entrepreneurial empathy and its ambiguous influence on new product development“, „Journal of Business Venturing“, DOI: 10.1016/j.jbusvent.2023.106378

mih