Wie eine Wissenschaftlerin die physikalischen Gesetze herausfordert

Radostina Zidarova erforscht instabile Atomkerne

08.03.2024 von

Es ist nicht gerade wenig, was Radostina Zidarova in ihren gut vier Jahren an der TU Darmstadt schon erreicht hat. Die junge Physikerin forscht am Institut für Kernphysik (IKP) an neutronenreichen Atomkernen, die sie mithilfe von Gammaspektroskopie analysiert.

Radostina Zidarova am S-DALINAC der TU Darmstadt.

Diese Kerne (Nuklide) müssen zunächst im Teilchenbeschleuniger produziert werden. Hierfür werden Ionen beschleunigt und auf ein sogenanntes Target geschossen. Bei dem Zusammenstoß entstehen auch viele weitere Produkte, aber nur ein geringer Anteil der für Zidarova interessanten instabilen Kerne. Da es sich hierbei um noch unerforschte Nuklide handelt, sind die Analysen enorm aufwendig. Erst, wenn die Kerne sicher identifiziert wurden, kann ihre Gammastrahlung ausgemessen werden. Deren Spektroskopie gibt wiederum Aufschluss über verschiedene Eigenschaften des Atomkerns, wie etwa seine räumliche Gestalt und innere Struktur.

Konkret arbeitet Zidarova mit schweren Atomkernen von Titan und Scandium, zwei leichten Metallen. Während viele sicherlich noch das Periodensystem der Elemente aus Schulzeiten vor Augen haben, arbeiten die Kernphysiker:innen mit sogenannten Nuklidkarten. Diese bilden die Anzahl der Protonen und Neutronen in den unterschiedlichen Atomkernen in einer Art überdimensionalen Tabelle ab. Während die Anzahl der Protonen, die Zeilen der Tabelle, das chemische Element festlegt, bestimmt die Anzahl der Neutronen, die Spalten der Tabelle, die Masse eines jeden einzelnen Nuklids (genauer: der Isotope des Elements). Das Verhältnis von Neutronen und Protonen bestimmt unter anderem die Stabilität des Atomkerns. Je instabiler ein Atomkern ist, desto unvorhersehbarer verhält er sich. „Hier beobachten wir Dinge, die wir so nicht erwarten konnten“, so Zidarova. „Aus den bekannten physikalischen Eigenschaften von weniger instabilen Nukliden ließen sich die Beobachtungen nicht vorhersagen.“ Genau das mache die Arbeit für sie so spannend, erzählt die Physikerin – unbekannte Dinge zu entdecken, die eines Tages vielleicht in einer ganz neuen physikalischen Formel zusammengefasst werden können.

Ihre Mühen haben sich gelohnt: Kürzlich hat sie den „Giersch-Excellence-Grant“ für vielversprechende Doktorarbeiten erhalten. Diesen erhalten junge Wissenschaftler:innen, die bereits während ihrer Promotion herausragende Forschung betreiben. Dabei hat die 29-jährige Bulgarin nicht nur mit ihrer Forschung alle Hände voll zu tun. Im Jahr 2022 hat sie ein Kind bekommen – eine ganz bewusste Entscheidung: „Je länger man in der Wissenschaft ist, desto mehr Verantwortung trägt man für andere“, sagt sie. „Während der Promotion bin ich noch so flexibel, dass sich das gut vereinbaren lässt.“ Herausfordernd sei der Spagat natürlich zeitweise trotzdem. Umso dankbarer ist Zidarova ihren beiden Dissertationsbetreuern, Volker Werner und Professor Norbert Pietralla, deren Unterstützung sie sich immer sicher sei. Ihren Partner, ebenfalls Doktorand, hat sie am IKP kennengelernt. So war den beiden auch ein Kitaplatz an der TU so gut wie sicher. Das Angebot sei eine große Erleichterung. Überhaupt habe sie sich von Anfang an in Darmstadt wohl gefühlt, erzählt die Physikerin. Sie kannte die Universität bereits von einem Erasmus-Semester im Winter 2018/19. Hier habe sie auch sehen können, welchen Stellenwert Forschung in Deutschland habe. „In meiner Heimat sind die Aussichten für eine wissenschaftliche Karriere nicht besonders gut“, so Zidarova. So fiel ihr auch die Entscheidung, nach dem Masterabschluss an der Universität Sofia nach Darmstadt zu ziehen, nicht schwer.

Was die Zukunft für Radostina Zidarova bereithält, ist noch unklar. Jetzt konzentriert sie sich erst einmal voll und ganz auf das Schreiben ihrer Doktorarbeit. Im Sommer will sie abgeben.