„Das Studium an der TU war für mich extrem effektiv“

In Darmstadt begann Prof. Peter Gruss seine internationale Karriere als Mikrobiologe

13.08.2024 von

Er gilt als Macher amerikanischen Stils und der „Spiegel“ bezeichnete ihn mal als „den bescheiden auftretenden Überflieger“. Tatsächlich zählt Peter Gruss zu den weltweit führenden Zellbiologen. Am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg und in den USA hat er erfolgreich zu Tumorviren und Genregulation geforscht. Als langjähriger Präsident entwickelte er die Max-Planck-Gesellschaft nachhaltig weiter und stärkte die Internationalisierung. Grundlage für seine Wissenschaftskarriere war ein Biologie-Studium an der TU Darmstadt. „Das Studium dort war ein Privileg“, sagt der Alumnus heute.

Professor Peter Gruss

Erst vor ein paar Monaten ist er in Europa wieder so richtig angekommen. Sechs Jahre lang war Peter Gruss zuletzt Präsident des Okinawa Institute of Sciences and Technology in Japan. An der privaten Universität hätte er auch eine zweite Amtszeit noch bleiben können, doch er entschied sich dagegen. „Jetzt mache ich erst einmal Urlaub“, sagt er und sitzt entspannt im bretonischen Streifen-T-Shirt in seinem Haus auf Mallorca. Ausruhen, mal durchatmen, mehr Zeit mit der Familie verbringen, das steht für den 75-Jährigen nun an erster Stelle. Zumindest vorerst. Danach will sich der Mikrobiologe ein neues Projekt suchen. „Die grauen Zellen aktiv halten“, nennt er das. Als Berater ist Peter Gruss ohnehin noch immer im Bereich Wissenschaftsmanagement und Qualitätskontrolle tätig, unterstützt Universitäten sowie Forschungsinstitutionen und möchte eine neue Generation von Forscher:innen fördern. Sein Wissen und überaus großes Netzwerk zu weltweit führenden Wissenschaftseinrichtungen sind gefragt.

Präsidentschaft der Max-Planck-Gesellschaft

Fast 30 Jahre lang hat Prof. Peter Gruss als Direktor der Abteilung molekulare Zellbiologie am renommierten Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen gearbeitet, Zwölf Jahre führte er erfolgreich die Max-Planck-Gesellschaft (MPG). 15 Institute wurden während seiner Präsidentschaft neu ausgerichtet, acht Institute zusätzlich gegründet, weitere Max-Planck-Center kamen weltweit hinzu. Er machte die Gesellschaft in finanziell schwierigen Zeiten krisenfest, lenkte das Augenmerk der Politik auf die Bedeutung von Wissenschaft und Forschung und förderte verstärkt Frauen in der Wissenschaft. Das Profil der Max-Planck-Gesellschaft richtete er international aus. Gruss etablierte die MPG in der Oberliga: „Wir konkurrieren nicht mit dem Durchschnitt, sondern mit den Harvards, den Cambridges und ETH Zürichs dieser Welt“.

Dass er einmal eine akademisch und wissenschaftlich so erfolgreiche Karriere antreten würde, war ihm 1968 beim Beginn seines Biologie-Studiums an der damals noch Technischen Hochschule Darmstadt keineswegs klar. „Ich hatte absolut keine Vorstellung, was ich beruflich mal anfangen würde“, erinnert er sich. Dass er sich für ein naturwissenschaftliches Studium entscheiden würde, war für den gebürtigen Alsfelder hingegen früh entschieden. Zahlen und Fakten, damit konnte er etwas anfangen, Experimente im Biologie- und Chemie-Unterricht seiner Schule in Schwalmstadt begeisterten ihn. Das Studium in Darmstadt begann für den jungen Peter Gruss jedoch erst einmal mit einem Streiksemester. „Es war 1968, die Hochzeit der Streiks“, sagt er.

Das Grundstudium gefiel ihm anfangs nur mäßig. Botanik, Zoologie, Pflanzenbestimmung in Feldversuchen, „das war nicht das, was ich mir vorgestellt hatte“. Ihn reizte früh die molekulare Analyse, die Bestimmung von Molekülen, weshalb er organische Chemie als Nebenfach belegte. Nach dem Vordiplom, erinnert er sich, „sah ich beruflich ein großes Fragezeichen vor mir“. Das änderte sich, als er sich im Hauptstudium für die Mikrobiologie und im Nebenfach die Zoologie entschied. Die TU Darmstadt unterhielt damals schon Verbindungen zur Universität Mainz. Gruss belegt dort ein Kursangebot zur Virologie, sein persönlicher und wissenschaftlicher Wendepunkt.

Ausbildung zum Virologen und Mikrobiologen

„Das Studium an der TU war für mich extrem effektiv“, sagt der Alumnus heute. Er ergatterte damals einen von nur zwölf Plätzen für Großpraktika in der Mikrobiologie, die zusammen mit Industriepartnern etwa im Weinbau oder in Molkereibetrieben angeboten wurden. „Mit diesen elf Kommilitonen bin ich dann durch das restliche Studium gegangen. Wir verbrachten jeden Tag im Labor, lernten den gesamten Bereich der Mikrobiologie kennen und arbeiteten bereits in Miniforschungsprojekten.“ In Mainz lernte er die tierische Virologie kennen, nachdem er vorher in Darmstadt mit Bakteriophagen, also Viren, die auf Bakterien als Wirtzellen spezialisiert sind, in Kontakt gekommen war. „Aktion und Reaktion ließen sich unmittelbar überprüfen. Das fand ich super“, erinnert er sich an sein junges Forscherdasein. Gruss ließ sich zum Virologen und Mikrobiologen ausbilden, schrieb seine Diplomarbeit über die Biochemie der Zellwand von Bakterien in Reaktion auf Penicillin.

Seine Zeit in Darmstadt beschreibt der Alumnus als sehr persönlich. „Jeder kannte jeden, wir hatten einen sehr engen Kontakt auch zu den Professoren, denen man jede Frage stellen konnte. Das Studium dort war ein Privileg“, betont er. Unterrichtet worden sei er von sehr guten Dozenten, darunter Prof. Hubert Makel, den er viele Jahre später als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft beerben sollte. Das Studium an der TU habe seine intellektuelle Neugierde gefördert, sagt Gruss. „Innerhalb der Großprojekte habe ich gelernt, wie eigenständiges Arbeiten und wie Forschung funktioniert“.

In Darmstadt hätte er auch seine Doktorarbeit schreiben können, aber die Virologie und vor allem die Krebsviren hatten ihn da schon in ihren Bann geschlagen. Peter Gruss wechselte als Doktorand an das Deutsche Krebsforschungszentrum nach Heidelberg, forschte an der Entstehung von Krebsviren und wie sie in der Lage sind, eine Zelle zu transformieren oder zu töten. Die Prozesse der Genregulierung wurden sein Schwerpunkt. Als Postdoc wechselte er Ende der 1970er Jahre an das National Institute of Health (NIH) in Bethesda, Maryland, wo er zur Transkription von Tumorviren arbeitete. In den USA entdeckte er 1981 als einer der Ersten sogenannte Enhancer, ein Element in der Zelle, das die Aktivierung von Genen verstärkt. Ein Durchbruch. In der Folge widmete er sein Forschungsinteresse Genen, die ganze genetische Programme steuern können, etwa dem Gen, das aus Vorläuferzellen Insulin produzierende Zellen hervorbringt.

Rückkehr nach Deutschland

Der TU-Alumnus hätte eine Forscherkarriere in Amerika antreten können. Als Postdoc aus den USA stand ihm alles offen. „Es gab viele gute Angebote“, erinnert er sich. Doch er entschied sich erneut für Deutschland und Heidelberg, wurde mit nur 32 Jahren Professor am Institut für Mikrobiologie und Mitglied im Direktorium des Zentrums für Molekulare Biologie Heidelberg. „In Amerika habe ich mir viel abgeschaut. Die Art und Weise, wie man Forschung organisiert, da bin ich amerikanisch geprägt“, sagt Peter Gruss. In den USA war auch immer Geld für seine Forschung da. „Als junger Professor in Deutschland musste ich mir dagegen erstmals die Finanzierung meiner Projekte zusammenschreiben“, erinnert er sich.

1986 wechselte der Mikrobiologe als Direktor an das Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie nach Göttingen, dem er bis zu seiner Emeritierung die Treue hielt – auch während seiner Zeit als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. Den Kontakt zur TU Darmstadt hat er ebenfalls nicht aufgegeben. „Die Verbindung zu Kommilitonen habe ich bis heute gehalten.“