Mit Volldampf zur Technikbegeisterung
Wie Kinder an der Bessunger Schule seit 10 Jahren ihre eigenen Dampfmaschinen bauen
20.12.2024 von Martina Schüttler-Hansper
Wie wird Strom erzeugt, und was hat das mit einer Bonbon-Dose zu tun? Schüler:innen tauchen mit großer Begeisterung in die Forscher:innenwerkstatt der TU Darmstadt ein. Hier bauen die Kinder ihre eigene kleine Dampfmaschine – inspiriert von der Technik des Heronsballs aus dem alten Ägypten – und erleben hautnah, wie spannend Ingenieurarbeit sein kann.
Erwartungsvoll sitzen die Schülerinnen und Schüler der Klasse 2d der Bessunger Schule Darmstadt an ihren Gruppentischen. Denn statt Unterricht nach Plan steht für die Kinder im Dezember die Forscher:innenwerkstatt der TU Darmstadt auf dem Programm. An diesem Vormittag geht es zur großen Freude der Kinder ans praktische Arbeiten. Jedes Kind baut eigenhändig eine Turbine nach dem Vorbild des Heronsballs aus dem alten Ägypten.
Das Team besuchen die Klasse 2c bereits zum dritten Mal. Da sich die Zusammensetzung des Teams von Stunde zu Stunde ändert, stellt Pascal Moor, wissenschaftlicher Mitarbeiter am FST, das Team zunächst vor: „Wir – das sind in dieser Stunde Frau Kleinhans, Herr Krimm, Frau Dröge und ich – werden mit euch zusammen eine kleine Dampfmaschine bauen. Bevor es gleich losgeht, holt ihr bitte noch eure technische Zeichnung aus der letzten Stunde.“ Das lassen sich die Kinder nicht zweimal sagen. In Nullkommanichts liegen die Blätter vor ihnen. Gespannt schauen sie zu den Stationen, die vor der Tafel aufgebaut sind. der Forscherwerkstatt vom Institut für Fluidsystemtechnik (FST)
„Eine Schule für große Kinder, die weiter die Schulbank drücken wollen“
Insgesamt vier Unterrichtsstunden umfasst das Dampfmaschinen-Projekt der Doktorandinnen und Doktoranden des Fachbereichs Maschinenbau. „Die erste Stunde ist unsere sogenannte Erklärbar-Stunde“, schmunzelt Moor, „da sprechen wir mit den Kindern über Fragen wie ‚was ist eine Universität‘, ‚was und wie arbeitet ein Maschinenbauingenieur‘ oder ‚wie kommt der Strom in die Steckdose‘“. Seit Anfang des Jahres koordiniert der Doktorand das Projekt, sowohl in der Bessunger Schule als auch bei Mit-Mach-Veranstaltungen der TU Darmstadt und des Fachbereichs Maschinenbau, etwa wenn es heißt: Türen auf mit der Maus!
Die Überleitung zum Bau der eigenen Dampfmaschine gelingt den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern über den genialen Tüftler Heron von Alexandria. Auch dieser Ingenieur forschte schon an einer besonderen Form von Universität, der Bibliothek von Alexandria. Unter anderem arbeitete er an einem Vorläufer der Dampfmaschine: dem sogenannten Heronsball. Die Antwort auf die Frage, was haltet ihr davon, eine solche Dampfmaschine selbst zu bauen, lässt nicht lange auf sich warten. Die Neugier der Kinder ist geweckt.
Die zweite Unterrichtsstunde widmet sich aber erst dem technischen Zeichnen. „Wie eine Ingenieurin oder ein Ingenieur auch, lernen die Kinder, dass eine Idee aus dem Kopf auf Papier gebracht werden muss“, beschreibt Moor den Unterrichtsinhalt. „Wir zeigen ihnen erst einmal verschiedene technische Zeichnungen, anschließend erstellen wir mit den Kindern die Zeichnung für ihren Heronsball.“ Für die Zeichnung bekommen sie ein Papier mit Schriftfeld, vergleichbar mit einem normgerechten Zeichenpapier gemäß EN ISO 7200. „So eine Zeichnung ist für die zweite Klasse gar nicht so einfach. Geometrische Formen wie Quadrat und Kreis kennen sie zwar schon, das Zeichnen der Formen steht aber erst im Lauf der zweiten Klasse auf dem Plan“, erklärt Moor. „Und auch wir lernen jede Stunde etwas dazu. Insbesondere uns so einfach auszudrücken, dass die Kinder uns folgen können“, verrät der Doktorand.
Die Kinder mögen es, mit den Händen zu arbeiten
Bevor es für die Kinder in der dritten Stunde ans Werken geht, gibt Moor noch ein paar Hinweise zu den Arbeitsschritten und Regeln zum sicheren Arbeiten. Dann bekommen sie eine leere Bonbon-Dose und los geht es. Wie am Fließband durchlaufen die Schülerinnen und Schüler die Arbeitsstationen, an denen Timon Krimm, Pascal Moor und Agnes Kleinhans bereitstehen.
An der ersten Station zeichnen die Kinder mit einem Filzstift und einer Schablone die Bohrlöcher an. An der zweiten Station körnen und bohren sie. Zuerst schlagen sie mit Hammer und Körner kleine Markierungen in den Dosenboden. Dabei vertraut Krimm darauf, dass die Kinder mit dem Hammer auf den Körner und nicht auf seine Finger zielen. Anschließend bohrt Moor die Löcher. Damit nichts verrutscht, halten die Kinder die Bohrmaschine mit fest. An der dritten Station entgratet Kleinhans die Bohrlöcher. Ist alles glatt – die Schülerinnen und Schüler prüfen mit den Fingern – suchen sie sich an der letzten Station noch die passende Anzahl Pneumatik-Bauteile heraus.
Dann geht es zurück an die Gruppentische. Elena Dröge, verantwortlich für Wissenschaftskommunikation und Marketing im Fachbereich Maschinenbau, unterstützt die kleinen ‚Ingenieure auf Probe‘ beim Bau ihrer Dampfmaschine.
1.000 Turbinen aus leeren Bonbon-Dosen dampfen bereits
Moor gehört schon länger zum Team der Forscherwerkstatt. Mit den Grundschülern ins Gespräch kommen und praktisch zu arbeiten, macht ihm großen Spaß. „Es ist schön zu sehen, wie motiviert die Kinder sind. Und wie viel bei ihnen hängen bleibt“ freut sich der junge Mann. Auch die Klasse 2d bedankt sich beim Team der Forscherwerkstatt. „Einen Applaus für die tolle Stunde“, fordert die Lehrerin sie auf. Die Schülerinnen und Schüler klatschen begeistert und bestens gelaunt einmal in ihre Hände. Ein prima Ansporn für die Mitarbeitenden vom FST. Auch, weil es für sie anschließend gleich in die Klasse 2c geht. Dort wartet bereits die Klasse von Frau Drechsel auf ihre Technikstunde.
Beiden Klassen ist der Spaß am Projekt anzumerken. Laura schaut sich erst konzentriert die Explosionszeichnungen an, anschließend baut sie die Bauteile eifrig zusammen. „Fertig“, freut sie sich und zeigt stolz ihre Heronsdose. Auch Melisas Dampfmaschine schreitet voran. „Ich liebe es, Sachen zu bauen“, strahlt sie. Fritz, Soufian und Erik arbeiten schon fast im Gleichtakt. „Ich bin eigentlich kein so begeisterter Legobauer“, meint Fritz. Die Bauanleitung zu lesen, ist dann aber kein Problem für ihn. Und wer nicht ganz so schnell vorankommt, bekommt Unterstützung. Etwa von Johanna: „Ich bin schon fertig, da helfe ich einfach noch anderen Kindern.“ Mit Konzentration und immer auch Hilfe vom Team der TU Darmstadt klappt es schließlich bei allen Kindern.
Freuen können sich die Schulkinder noch auf den Höhenpunkt des Projekts. Nach der Endkontrolle nehmen sie in der letzten Unterrichtsstunde eine der kleinen Dampfmaschinen in Betrieb. Außerdem erfahren sie, welch ungeheure Kraft im Dampf stecken kann. „Dabei lassen wir buchstäblich die Korken knallen“, strahlt Moor. Für alle Beteiligten ein aufregender Abschluss.
Das Dampfmaschinen-Projekt des FST vom Fachbereich Maschinenbau besteht seit zehn Jahren. Rund 1.000 von Schülerinnen und Schülern selbstgebaute Dampfmaschinen, aus leeren Pulmoll-Dosen und Pneumatik-Bauteilen von Festo, entstanden in dieser Zeit. Ins Leben gerufen wurde das Projekt von Peter F. Pelz, Professor am Institut für Fluidsystemtechnik der TU Darmstadt. Als seine Kinder in die Bessunger Schule gingen, fehlte es dem Maschinenbauingenieur an einem technisch-praktischen Angebot an der Grundschule. Inzwischen studieren ein paar „Kinder“ aus den ersten Jahren des Projekts selbst. Ob auch Maschinenbau dabei ist?