Zwei Köpfe, ein Salz – und die Idee, Europas Energiespeicher zu verändern

Das Start-Up Borionics

24.04.2025

Wie wird aus einer spontanen Frage eine klimafreundliche Technologie mit Weltmarktpotenzial? Stephanie Dolique und Pascal Lerner, zwei junge Wissenschaftler an der TU Darmstadt machen vor, wie man aus einem chemischen Spezialthema eine echte Gründungsgeschichte schreibt – mit Leidenschaft, Patenten und dem Wunsch, Europa unabhängiger von Asien zu machen. Borionics ist eine Geschichte über Stromspeicher, Unternehmergeist und die große Kunst, den richtigen Moment nicht vorbeiziehen zu lassen.

Ein Geistesblitz genügte – jetzt wollen sie Europas Energiespeicher verändern: Dr. Pascal Lerner und Dr. Stephanie Dolique

Alles begann mit einem Satz: „Warum machst du da eigentlich nichts draus?“ Diese Frage von Pascal Lerner an Stephanie Dolique war der zündende Funke. Was als Forschungsneugier begann, entwickelte sich zu einer echten Start-up-Vision: Borionics. Die beiden lernten sich an der TU Darmstadt kennen. Stephanie, die forschende Chemikerin, und Pascal, der wirtschaftlich denkende Wirtschaftsingenieur mit der technischen Fachrichtung Chemie, ergänzten sich perfekt. Gemeinsam wagten sie, was in Deutschland noch selten ist: den Schritt von der Wissenschaft ins Unternehmertum.

Was die beiden konkret tun? Sie entwickeln ein innovatives Elektrolytsalz für Superkondensatoren – eine Schlüsselkomponente, die die Leistungsfähigkeit und Lebensdauer dieser Energiespeicher deutlich verbessert. Ihre Lösung basiert auf einem Elektrolytsalz und einem besonders umweltfreundlichen Herstellungsverfahren, das gleichzeitig Kosten spart und problematische Abfallstoffe aus der Industrie in recyclingfähige, nutzenstiftende Materialien umwandelt. „Ich wollte nicht, dass meine Forschung einfach in der Schublade verschwindet“, sagt Stephanie heute. „Also habe ich entschieden: Ich gehe den Weg zur Gründung.“

Vom Reagenzglas zur Anwendung

Superkondensatoren sind nicht neu – aber das, was Borionics aus ihnen herausholt, klingt vielversprechend. Die beiden Forscher entwickeln ein neues Elektrolytsalz, das Herzstück jeder Supercap-Einheit. Dieses Salz soll es ermöglichen, Energie schneller, sicherer und länger zu speichern – und dabei auch noch günstiger und nachhaltiger herstellbar sein. „Wir recyceln sogar klimaschädliche Abfallstoffe aus der Teflonproduktion für die Synthese“, erklärt Pascal. „Das ist nicht nur kosteneffizient, sondern auch ein echter Umweltbeitrag.“ Das Salz erhöht die Leitfähigkeit um bis zu 30 Prozent gegenüber dem Stand der Technik, ist hochtemperaturbeständig und nahezu vollständig recyclebar. Damit ist es nicht nur ein technologischer Fortschritt, sondern ein ökologisches Versprechen.

Superkondensatoren: Schnell, sicher, vielseitig

Superkondensatoren speichern nicht einfach Energie – sie sprinten mit ihr. Innerhalb von Sekunden können sie sich aufladen oder entladen. Das macht sie ideal für Anwendungen in der Elektromobilität, zum Beispiel zur Abfederung von Leistungsspitzen beim Anfahren, in der Industrie etwa bei Lichtbogenöfen in der Stahlproduktion oder in Energiesystemen als Zwischenspeicher für Stromnetzschwankungen. Anders als Batterien sind Superkondensatoren nicht brennbar, wartungsarm und langlebig. Sie sind keine Konkurrenz zur Batterie, sondern deren idealer Partner. „Die Kombination aus Batterie und Supercap ist wie ein Marathonläufer mit einem Sprinter an seiner Seite“, sagt Stephanie.

Dr. Stephanie Dolique liebt es, dicke Bretter zu bohren.
Dr. Stephanie Dolique liebt es, dicke Bretter zu bohren.

Drei Patente, eine Mission

Die Technologie von Borionics ist durch gleich drei Patente geschützt – darunter eines auf die Substanz selbst, eines auf die Anwendung und eines auf das Herstellungsverfahren. Im Kern steht dabei ein neuartiges Anion: [M+ BF3CF3-]. „Es ist nicht einfach nur ein neues Salz, es ist ein Gamechanger“, erklärt Pascal. „Die Herstellung ist so kostengünstig, dass wir mit asiatischen Produzenten konkurrieren können – bei deutlich höherer Umweltverträglichkeit.“

Vom Uni-Labor in die Welt: Der Weg zum Start-up

Die TU Darmstadt ist mehr als ein Ort der Forschung – sie ist auch ein Sprungbrett für Innovationen, die in einer Ausgründung münden. Stephanie und Pascal starteten 2017 mit Unterstützung des Pioneer Fund, später folgten ein Hessen Ideen-Stipendium, der TU-Ideenwettbewerb und schließlich das VIP+-Programm des Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF. Das war entscheidend. „Ohne VIP+ hätten wir das Team nie erweitern können“, so Stephanie. Daniel Franz und Lars Sondershausen kamen dazu – Experten für Verfahrenstechnik und elektrochemische Charakterisierung. Auch erfahrene Mentoren fanden sich: Der Biochemiker Prof. Harald Kolmar am Fachbereich Chemie sowie Dr. Klaus Dieter-Franz, früherer Abteilungsleiter bei Merck. „Sie haben uns sehr geholfen, das Unternehmertum in der Wissenschaft ernst zu nehmen.“

Impact: Mehr als nur Energie

Borionics will mehr als nur effizientere Supercaps. Das Team will Europa unabhängiger machen vom asiatischen Markt – und gleichzeitig die ökologische Bilanz der Energiespeicher verbessern. „Es ist absurd, dass fast alle Elektrolytsalze aus Asien kommen – und dabei teuer, umweltschädlich und schwer recycelbar sind“, sagt Pascal. „Wir bieten eine lokale, resiliente und nachhaltige Alternative.“ Der Impact zeigt sich ökologisch durch weniger Abfall, bessere Recyclingfähigkeit und eine CO2-sparende Synthese. Ökonomisch durch günstigere Herstellung und Wettbewerbsfähigkeit am Weltmarkt. Gesellschaftlich durch die Stärkung europäischer Lieferketten und Innovationskraft.

Der Markt ruft – aber es bleibt kompliziert

Trotz der Fortschritte steht Borionics vor typischen Hürden deutscher Chemie-Start-ups. Der Kapitalbedarf ist hoch, Investitionsphasen dauern oft bis zu zehn Jahre. Gleichzeitig sind Genehmigungsverfahren aufwendig, die regulatorischen Anforderungen komplex. Auch der Fachkräftemangel ist spürbar – besonders im interdisziplinären Bereich. Hinzu kommt die Zurückhaltung privater Investoren: Nur 0,2 Prozent des Wagniskapitals in Deutschland fließt in Chemie. „Viele Investoren haben Angst vor der langen Entwicklungsdauer“, erklärt Stephanie. „Aber wir glauben, dass unser Impact das Risiko rechtfertigt.“

Der erste Prototyp steht schon bereit

Der Elektrolyt mit dem neuen Salz wurde in Zusammenarbeit mit Skeleton Technologies erfolgreich validiert. Skeleton – einer der größten Supercap-Hersteller Europas – plant sogar den Bau eines Prototyps mit Borionics-Material. Zugleich arbeitet Borionics mit E-Lyte Innovations an einem Qualitätsstandard. „Wir liefern keine Batterie und keinen Supercap“, so Pascal. „Wir liefern die Zutat, die alles besser macht.“

Dr. Pascal Lerner studierte zunächst Wirtschaftswissenschaften.
Dr. Pascal Lerner studierte zunächst Wirtschaftswissenschaften.

Die nächsten Schritte

Mit einer EXIST-Förderung will Borionics das Verfahren zur Serienreife bringen. Dafür soll eine skalierbare Produktion aufgebaut und die Marktqualität des Salzes erreicht werden. Die Gründung der Borionics GmbH ist der logische nächste Schritt. In fünf Jahren möchte das Team als lokaler Hersteller in Deutschland Elektrolytsalze für Superkondensatoren und Batterien liefern – entweder direkt oder über Lohnfertigung. „Unser Traum ist eine 1.000-Tonnen-Anlage“, sagt Stephanie. „Aber vor allem wünschen wir uns, dass Europa endlich wieder selbstbewusst in der Chemieproduktion mitmischt.“

Und der Name?

„Zunächst nannten wir unser Projekt Boratolytes. Bis jemand meinte, das erinnert an die Filmfigur Borat“, lacht Pascal. Der heutige Name Borionics ist ein Versprechen: Für saubere Energie, made in Germany. Oder wie Stephanie es ausdrückt: „Wir entwickeln keine Raketenwissenschaft. Aber wir machen, dass Strom intelligenter gespeichert wird.“ Und manchmal reicht möglicherweise das schon, um die Welt zu verändern.