Pull it, Baby! – Hightech trifft Muskelkraft

Gründerstory MultiPull

26.06.2025 von

Wie zwei Maschinenbaustudenten mit MultiPullOne ein smartes Fitnessgerät für die Zukunft entwickelten – und warum ihr Weg von Frankfurt über Darmstadt bis zur ESA eine besondere Gründungsgeschichte erzählt.

Was tun, wenn Zeit, Platz und Geld für Fitnessstudio oder Home-Gym fehlen? Die Maschinenbaustudenten Martin Schwalm und Kai Kienke hatten während ihres Masterstudiums an der Frankfurt University of Applied Sciences eine klare Antwort: ein Fitnessgerät entwickeln, das klein, leistungsfähig und überall einsetzbar ist. So entstand MultiPullOne – ein innovatives Trainingssystem, das mit Elektromotor statt Stahlgewichten arbeitet, Energie beim Training zurückgewinnt und Menschen auf der ganzen Welt miteinander trainieren lässt – in Echtzeit und mit spürbarer Verbindung.

Doch die Idee allein war erst der Anfang. Was folgte, ist eine Gründungsgeschichte, wie sie im Lehrbuch stehen könnte – mit spannenden Stationen quer durch das Start-up-Ökosystem Darmstadt. Ihren ersten Schub erhielten die beiden über den Hessen Ideen Wettbewerb, den sie 2020 mit dem ersten Platz gewannen. Das öffnete die Tür zum Gründungsstipendium des Landes Hessen – und zum nächsten Schritt: ein Platz im Gründungszentrum HUB31, dem Coworking- und Start-up-Hotspot der Wissenschaftsstadt Darmstadt.

Dort reifte nicht nur das Produkt, sondern auch das Unternehmen. Über das Netzwerk des HUB31 stießen sie auf das Gründungszentrum der TU Darmstadt, HIGHEST , wo sie wichtige Kontakte und Mentoren fanden – und schließlich mit Unterstützung das renommierte EXIST-Gründerstipendium des Bundes einwarben. Damit konnte das Team das Produkt zur Marktreife bringen.

Der vorläufige Höhepunkt dieser Reise: die Aufnahme ins ESA Business Incubation Centre (ESA BIC). Der MultiPullOne ist nicht nur auf der Erde vielseitig einsetzbar – durch den elektronisch erzeugten Widerstand eignet er sich auch für Training im All, wo Schwerkraft keine Rolle spielt. Zudem stammen einige der verbauten Hochleistungskomponenten aus der Raumfahrttechnologie. Damit hat das Team nicht nur einen sportlichen Nerv getroffen, sondern auch ein reales Anwendungsszenario für astronautisches Fitnesstraining erschlossen.

MultiPull als Start-up steht exemplarisch für den interdisziplinären Transfer zwischen Hochschule, Technologieentwicklung und Unternehmertum – und zeigt, wie kluge Ideen mit Mut, Ausdauer und den richtigen Partnern über sich hinauswachsen können. Von Frankfurt nach Darmstadt, von der WG in den Coworking-Space – und womöglich bis zur Raumstation.

IM GESPRÄCH mit … Martin Schwalm und Kai Kienke, Gründer von MultiPull

Entwickelten mit dem MultiPullOne eine handliches Fitnessgerät: Kai Kienke und Martin Schwalm.
Entwickelten mit dem MultiPullOne eine handliches Fitnessgerät: Kai Kienke und Martin Schwalm.

TU Darmstadt: Martin, Kai, ihr kennt euch vom Maschinenbaustudium und habt ein Sportgerät namens MultiPull entwickelt. Was genau stelle ich mir als Laie darunter vor?

Martin Schwalm: Der MultiPullOne ist im Grunde ein universell einsetzbares Fitnessgerät, das sich von klassischen Trainingsgeräten vor allem durch seine Kompaktheit, Mobilität und digitale Intelligenz unterscheidet. Stell dir vor, du hast ein Gerät in etwa der Größe eines Schuhkartons, das aber die volle Bandbreite eines professionellen Kabelzugs bietet – nur eben ohne Gewichte. Statt Stahlplatten erzeugt bei uns ein Elektromotor den Widerstand. Dieser Motor wird von einer Hochleistungsbatterie angetrieben – und das Besondere ist: Beim Training kann man diese Batterie auch wieder aufladen. Das heißt, du trainierst und erzeugst gleichzeitig Energie, die gespeichert wird.

Kai Kienke: Genau. Und diese Energie kannst du dann nutzen, um beispielsweise dein Smartphone aufzuladen – bis zu zwanzigmal, je nach Trainingsintensität. Aber das ist nur ein Bonus. Das Herzstück ist das Training selbst. Der MultiPull erlaubt dir, sowohl Kraft- als auch Ausdauerübungen durchzuführen. Über eine App kannst du den Widerstand stufenlos bis zu 80 Kilogramm einstellen. Das ist eine echte Hausnummer, wenn man bedenkt, dass das Gerät selbst nur rund fünf Kilo wiegt. Außerdem lässt sich der MultiPull überall einsetzen – im Wohnzimmer, im Park, im Hotelzimmer oder sogar unterwegs im Van. Wir wollten maximale Freiheit ermöglichen.

Wie seid ihr denn auf die Idee gekommen, so ein Fitnessgerät zu entwickeln? Das ist ja doch eher ein Nischenprodukt.

Kai Kienke: Die Ursprungsidee ist ziemlich bodenständig. Es war während einer Prüfungsphase im Masterstudium – die Bibliothek war voll, der Kopf rauchte, und wir hatten beide den Drang, Sport zu machen, um den Kopf frei zu bekommen. Gleichzeitig fehlten Zeit, Geld und Platz für ein ordentliches Homegym. Und ins Fitnessstudio zu fahren, war oft einfach keine Option. Also fragten wir uns: Warum gibt es kein Gerät, das klein, vielseitig und leistungsfähig genug ist, um wirklich zu Hause – oder noch besser: überall – zu trainieren?

Martin Schwalm: Damals hatten wir gerade ein Modul im Bereich Produktentwicklung. Unser Professor gab uns die Aufgabe, ein innovatives Fitnessgerät zu entwickeln. Und das war der Startpunkt. Kai und ich waren schon immer sportbegeistert. Ich war viele Jahre Leichtathlet, später Handballspieler, und Kai ist mehr der Outdoor-Sportler – er geht viel klettern, ist mit dem Van unterwegs. Wir haben einfach gemerkt, dass da eine echte Marktlücke ist. Und wir wollten ein Gerät, das sich unserem Lebensstil anpasst – nicht umgekehrt. So ist aus einem Uniprojekt eine echte Vision geworden.

Leistungsfähig wie eine Kraftraummaschine, aber nur 5 Kilo leicht: Der MultiPullOne
Leistungsfähig wie eine Kraftraummaschine, aber nur 5 Kilo leicht: Der MultiPullOne

Was unterscheidet MultiPull von anderen Fitnessgeräten?

Martin Schwalm: Ich würde sagen: Es ist die Summe der Besonderheiten. Erstens natürlich die kompakte Bauweise – man braucht keinen Raum voller Geräte mehr. Zweitens die digitale Komponente: Über unsere App lässt sich das Training komplett personalisieren, analysieren und sogar steuern. Drittens: das Thema Energieeffizienz. Bei uns geht keine Energie verloren – sie wird gespeichert und nutzbar gemacht. Aber das absolute Alleinstellungsmerkmal ist unsere Möglichkeit zum Remote-Training. Zwei Menschen können an verschiedenen Orten trainieren und dabei tatsächlich die Kraft des anderen spüren.

Kai Kienke: Wir nennen das „digitales Tauziehen“. Du ziehst das Seil aus, dein Trainingspartner zieht es zur gleichen Zeit ein. Ihr seid quasi physisch verbunden – obwohl ihr kilometerweit voneinander entfernt seid. Das ist nicht nur ein spaßiges Feature, sondern schafft echte soziale Interaktion. Dazu kommt unsere patentierte Befestigungstechnik: Du kannst das Gerät an Bäumen, an Türen, zwischen Boden und Decke oder an einem Wohnmobil befestigen – stabil und sicher, auch bei hoher Belastung. Es ist also kein Kompromissgerät, sondern ein vollwertiges Trainingssystem für jede Umgebung.

Mit dem Produkt MultiPullOne habt ihr 2020 den ersten Platz beim Hessen Ideenwettbewerb gewonnen. Wart ihr sehr überrascht?

Kai Kienke: Ja und nein. Natürlich war es ein großartiger Moment – ein echter Motivationsschub. Wir hatten viel Zeit und Energie in die Entwicklung und vor allem in die Präsentation gesteckt. Aber als wir gesehen haben, wie professionell andere Teams waren, war es alles andere als selbstverständlich. Gleichzeitig wussten wir, dass unsere Idee etwas wirklich Neues ist.

Martin Schwalm: Was uns überrascht hat, war nicht so sehr der Preis, sondern das positive Feedback, das wir bekommen haben – gerade aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Das hat uns gezeigt, dass unser Produkt nicht nur für Sportbegeisterte interessant ist, sondern auch für Gesundheitsförderung, Rehabilitation oder betriebliches Gesundheitsmanagement. Das war für uns der Punkt, an dem wir gemerkt haben: Das ist nicht nur ein Uniprojekt – das ist ein Geschäftsmodell.

Und daraufhin habt ihr euer Start-up gegründet?

Martin Schwalm: Die Idee war schon länger da. Wir beide wollten uns irgendwann einmal selbstständig machen. Der Wettbewerb war dann eher der Katalysator. Aber bevor wir gegründet haben, wollten wir uns Förderungen sichern – das ist bei EXIST, die Gründungsförderung der Bundesregierung, zum Beispiel nur möglich, wenn man noch nicht gegründet hat. Also haben wir uns voll auf die Bewerbung konzentriert, auf die Weiterentwicklung des Produkts und die Suche nach Partnern. Die eigentliche Gründung kam dann später, als wir bereit waren.

Kai Kienke: Es war ein Prozess. Nach dem Wettbewerb wurden wir von Professor:innen und Mentor:innen immer wieder ermutigt, weiterzumachen. Und je tiefer wir eingestiegen sind, desto klarer wurde: Das ist unsere Chance. Das EXIST-Stipendium war dann die formelle Grundlage. Und ab da war klar: Jetzt wird's ernst.

Ihr wurdet sowohl mit einem Hessen Ideen Stipendium als auch mit einem EXIST-Gründungsstipendium der Bundesregierung gefördert. Was hat euch das ermöglicht?

Martin Schwalm: Ohne diese beiden Förderungen gäbe es MultiPull als Start-up in der heutigen Form nicht. Das fängt beim Lebensunterhalt an – wir konnten uns voll auf die Entwicklung konzentrieren, mussten nicht nebenbei kellnern oder Nachhilfe geben. Aber es geht weit darüber hinaus. Wir konnten Prototypen bauen, Werkzeuge kaufen, uns Materialien leisten, die sonst unerschwinglich gewesen wären.

Kai Kienke: Besonders bei Hardware brauchst du einfach diese Mittel. Software kannst du im Zweifel auf einem Laptop entwickeln. Aber bei uns reden wir von Fräsen, Laserschneidern, Elektromotoren, Sensoren. All das kostet. Und das Mentoring war ebenfalls Gold wert – Workshops zu Gründungsfragen, Vertrieb, Pitchtraining, aber auch Zugang zu Netzwerken. Die haben uns dann zum Beispiel zu ESA gebracht.

MultiPullOne – ein vernetztes Trainingssystem mit Elektromotor, Energierückgewinnung und weltweitem Echtzeit-Training.
MultiPullOne – ein vernetztes Trainingssystem mit Elektromotor, Energierückgewinnung und weltweitem Echtzeit-Training.

Was bringen solche Gründungsförderungen insgesamt?

Kai Kienke: Sie schaffen Sicherheit und ermöglichen Fokus. Du weißt: Ich kann mich sechs oder zwölf Monate voll auf mein Projekt konzentrieren. Und gleichzeitig lernst du wahnsinnig viel. Nicht nur inhaltlich, sondern auch über dich selbst. Du triffst andere Gründer:innen, tauschst dich aus, bekommst neue Perspektiven. Das bringt dich enorm weiter.

Martin Schwalm: Und nicht zu unterschätzen: Die externe Validierung. Wenn eine Jury entscheidet, dass dein Projekt förderwürdig ist, gibt dir das auch persönlich einen Push. Gerade am Anfang zweifelt man oft. Da hilft es enorm, wenn Leute mit Erfahrung sagen: Macht weiter, das ist gut.

Wo steht ihr im Moment mit eurem Start-up?

Martin Schwalm: Wir haben die Stipendienphase abgeschlossen, das Produkt ist serienreif. Wir stehen kurz vor der Produktion der ersten Kleinserie, etwa 10 bis 20 Geräte, die wir im B2B-Bereich ausliefern wollen. Dafür haben wir unsere Software stabilisiert, das User Interface verbessert und die wichtigsten Trainingsmodi integriert. Parallel optimieren wir das Onboarding, also die ersten Schritte für Nutzer:innen – da soll niemand ein Handbuch lesen müssen.

Kai Kienke: Zielgruppe Nummer eins sind zunächst Personal Trainer:innen, Fitnessstudios, Hotels, Firmen mit Gesundheitsprogrammen. Der Endkundenmarkt ist definitiv geplant, aber aktuell wäre der logistische Aufwand für uns allein zu groß. Wir bauen, testen und vertreiben derzeit noch selbst, in unserer Werkstatt in Darmstadt – im Martinsviertel. Da montieren wir die Geräte, kalibrieren sie und machen die Endkontrolle.

Martin Schwalm: Und ein weiteres Highlight: Wir sind Teil des ESA BIC Programms. Unser Produkt funktioniert auch ohne Schwerkraft – deshalb ist es potenziell für Raumstationen geeignet. Außerdem verwenden wir Technologien aus der Raumfahrt, etwa 3D-gedruckte Keramikbauteile. Das unterscheidet uns noch mal deutlich von anderen Startups. Perspektivisch suchen wir gerade auch nach Investor:innen – nicht, weil wir müssen, sondern weil wir schneller wachsen wollen. Das Produkt ist da. Jetzt soll es hinaus in die Welt.