Hessischer Hochschulpakt schwächt Wirtschaft und Gesellschaft

Hochschulleitungen unterzeichnen mutlosen Pakt, um handlungsfähig zu bleiben

17.07.2025

Am heutigen Donnerstag, 17. Juli 2025, haben die Leitungen der Hessischen Hochschulen und das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur den Hessischen Hochschulpakt für die Jahre 2026 bis 2031 unterzeichnet. Der Hochschulpakt regelt die Landesfinanzierung der Hochschulen in Hessen für den vorgenannten Zeitraum. Angesichts der hinter den Prognosen zurückbleibenden Steuereinnahmen werden den Hochschulen massive strukturelle Kürzungen auferlegt – die Landesregierung hat diesen politischen Rahmen vorgegeben.

Die Finanzierung der Hochschulen wird in Hessen seit 2002 in Form eines Hochschulpakts geregelt, den Land und Hochschulen aushandeln. Die Mittel des Paktes umfassen ein sogenanntes Sockel- und ein Erfolgsbudget. Die Zuweisung der Mittel im Sockelbudget (der Großteil der Mittel) erfolgt auf Grundlage von Studierendenzahlen der hessischen Hochschulen aus dem Jahr 2020. Zuweisungen im Erfolgsbudget orientieren sich an der Zielerreichung der einzelnen Hochschulen bei Parametern aus den Bereichen Forschung, Lehre, Gender und Internationalisierung.

Wesentliche Eckpunkte des Paktes umfassen Folgendes: eine Absenkung des Budgets der Hochschulen 2026 um 30 Millionen Euro, eine Neuregelung der Erfolgsparameter, keine umfängliche Finanzierung der Tarifsteigerungen aus dem Jahr 2025 sowie nur eine begrenzte Kompensation der Tarifsteigerung in 2026. In 2027 und den folgenden Jahren zu erwartende Personalkostensteigerungen werden im Rahmen des Paktes durch das Land Hessen bis zu einer Steigerung von 2,5 Prozent und jenseits von vier Prozent im jeweiligen Folgejahr kompensiert; bei den Hochschulen verbleibt somit ggf. ein Eigenanteil. Inflationsbedingte Steigerungen von Sachkosten werden nicht kompensiert.

Die nun abgeschlossene Vereinbarung bedeutet einen immensen Druck zu strukturellen Veränderungen für die Hessischen Hochschulen. Hierbei werden durch die Neuregelung des Erfolgsparameters nicht alle Hochschulen in gleicher Weise belastet. Die Hochschulen starten bereits mit einem Defizit in die Laufzeit des Paktes. Bisherige Steigerungen im Hochschulbudget wurden durch massive Steigerungen von Bau- und Energiekosten sowie die Finanzierung weiterer Aufgaben vollständig aufgebraucht. Durch zu erwartende weitere Kostensteigerungen von Tarifen und Inflation wird sich das Defizit der Hochschulen in den nächsten sechs Jahren weiter akkumulieren. Die Hessischen Hochschulen rechnen mit einem Defizit in den Budgets von etwa einer Milliarde Euro – was zehn Prozent des Personalbudgets entspricht. Das bedeutet, dass die Hochschulen über die Dauer der Paktlaufzeit schrumpfen müssen.

Statements

Die Präsident:innen der TU Darmstadt, der Goethe-Universität Frankfurt, der Frankfurt University of Applied Sciences sowie der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main (HfMDK) erklärten zum Ergebnis der Verhandlungen: „Um die drängenden globalen Veränderungsaufgaben anzugehen und die notwendige Modernisierung unseres Landes voranzubringen, braucht es qualifizierte Fachkräfte und Innovationen. Studierende sind diese Expert:innen für unsere Zukunft. Sie gut zu qualifizieren und eine starke und breite Fachkräftebasis für Wirtschaft und Gesellschaft zu sichern, muss unser prioritäres Ziel sein. Angesichts der Bedeutung von Forschung und Lehre für Wirtschaft und Gesellschaft stößt die Dimension der Einsparungen von über zehn Prozent auf ein breites Unverständnis. Eigentlich will die Landesregierung wirtschaftlich durchstarten: Aber wo sollen all die klugen und kreativen Köpfe herkommen, die man dafür benötigt, wenn nicht von den hessischen Hochschulen? Der angekündigte Schrumpfungsprozess wird direkte Konsequenzen für die gesamte Spanne der Fachdisziplinen von Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften über die Natur- und Ingenieurswissenschaften bis zu Lebenswissenschaften und Medizin haben. Fachkräftesicherung sieht anders aus. Wir sind zudem sehr enttäuscht, dass die Entwicklung der Zahl der Studierenden für die Verteilung des Sockelbudgets im aktuellen Hochschulpakt keine adäquate Berücksichtigung gefunden hat. Durch den nun genutzten Verteilungsschlüssel werden diejenigen Hochschulen, die die Zahl der Studierenden in den letzten fünf Jahren vereinbarungsgemäß nahezu gehalten haben, schlechter gestellt als jene, die weniger Studierende aufgenommen haben. So wird es in den kommenden Jahren nur darum gehen können, die Leistungseinschränkungen zu begrenzen ‒ und das in einer Zeit, in der Fachkräfte und Innovationen für einen wirtschaftlichen Aufschwung Hessens mehr denn je von Nöten sind.“

Professor Enrico Schleiff, Präsident der Goethe-Universität Frankfurt, ergänzt: „Wir sind uns als Hochschulleitungen bewusst, dass auch Hochschulen einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten müssen. Der Pakt, der neue Bedingungen ohne Übergangsphase und ohne Berücksichtigung der Leistungen im vorherigen Pakt einführt, zwingt uns jedoch zur ‚Vollbremsung‘, um sinnvolle Veränderungen unter Berücksichtigung unseres Hochschulentwicklungsplans überhaupt planen zu können, um auch weiterhin attraktiv und leistungsfähig zu bleiben. Zudem schränkt der Pakt den Spielraum zur strategischen Umgestaltung stark ein, denn eine Absenkung der Studierendenzahl würde zu einem weiteren Verlust von Mittel führen, da diese Zahl als Parameter bei der Finanzierung berücksichtigt wird.“

Professor Kai-Oliver Schocke, Präsident der Frankfurt University of Applied Sciences, führt aus: „Die Nachfrage nach unseren Studiengängen war und ist hervorragend ‒ wir haben in den letzten Jahren gegen den Trend in Hessen die Zahl unserer Studierenden halten können. Das Studienplatzangebot werden wir nun deutlich reduzieren müssen. Unsere gesamte Energie konzentrieren wir jetzt darauf, den schmerzhaften Transformationsprozess der Hochschule bestmöglich zu gestalten und unverändert eine attraktive Hochschule zu bleiben.“

Professor Elmar Fulda, Präsident der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, sagt: „Die Zustimmung zu diesem Hochschulpakt ist uns im Präsidium nicht leichtgefallen. Konkret für die HfMDK bedeutet das ab 2026: Personal- und Sachkosten müssen reduziert werden, Stellen werden verzögert oder nicht nachbesetzt, Leistungen in Kunst, Forschung, Lehre und Verwaltung eingeschränkt. Auch wir werten den Hochschulpakt nicht als vorübergehenden ‚Betriebsunfall‘, sondern als langfristige Veränderung und dauerhaften Nachteil im Wettbewerb um die besten Talente. Deshalb müssen wir gut überlegen, wie wir uns als Hessens einzige Hochschule für Musik, Tanz, Theater und ihre Wissenschaften in den nächsten Jahren positionieren, was wir zukünftig weglassen und vor allem was unser Kerngeschäft ist.“

Professorin Tanja Brühl, Präsidentin der TU Darmstadt, resümiert: „Ich hätte mir gewünscht, dass wir in den Gesprächen zwischen Land und Hochschulen mehr Zeit in den Austausch und die Abwägung von Argumenten investiert hätten. Gerade unter schwierigen Rahmenbedingungen brauchen Verhandlungen Räume und Zeit, in denen dies möglich ist. Die sehr guten Entwicklungen der TU Darmstadt in Forschung, Lehre, Ausgründung und Wissenschaftskommunikation sind durch die Kürzungen bedroht. Im Dialog mit den Mitgliedern und Einrichtungen unserer Universität gestalten wir den Prozess verantwortungsvoll.“

„Ergebnis entspricht nicht unseren Erwartungen“

Für die TU Darmstadt bewerten Präsidentin Tanja Brühl und Kanzler Martin Lommel das Ergebnis und die Auswirkungen.

„Durch den nun abgeschlossenen Hochschulpakt werden die Innovationsstärke und die Wettbewerbsfähigkeit Hessens geschwächt. Als Hochschulen leisten wir durch Forschung, Lehre und Transfer einen maßgeblichen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung und Resilienz unseres Landes. Diese Beiträge sind durch die Kürzungen im Hochschulpakt langfristig gefährdet. Sie treffen auch uns an der TU Darmstadt. Das inflationsbereinigte Budget für die TU Darmstadt wird im Rahmen des neuen Hochschulpakts auf dem Niveau von 2010 verharren. Und das, obwohl wir die Zahl unserer Studierenden im gleichen Zeitraum um 20 Prozent gesteigert haben. Die durch Wissenschaftler:innen der TU Darmstadt eingeworbenen Drittmittel sind um gut 50 Prozent gestiegen. Mit einer eindrücklichen Zahl an Start-ups haben wir Innovationen aus der Wissenschaft in marktfähigen Lösungen überführt.“

Präsidentin und Kanzler führten weiter aus: „Zu erwartende Steigerungen bei Personal- und Sachkosten werden zu einem Defizit im Budget der Universität führen, das wir durch Kürzungen kompensieren müssen. Diesen Prozess werden wir nun verantwortungsbewusst im Dialog mit den Mitgliedern und Einrichtungen unserer Universität gestalten. Wir danken allen Kolleg:innen und Studierenden, die sich in den vergangenen Wochen für die TU Darmstadt und gute Rahmenbedingungen für Wissenschaft in Hessen eingesetzt haben. Das Verhandlungsergebnis entspricht nicht dem, was wir für die TU Darmstadt erwartet haben.“

Erklärung der hessischen Hochschulpräsident:innen

Die Hochschulpräsidentinnen und Hochschulpräsidenten der 14 Hochschulen haben den Hessischen Hochschulpakt 2026-2031 heute unterzeichnet. Wir möchten jedoch betonen, dass unsere grundsätzliche Kritik, die wir bereits in den Verhandlungen geäußert haben, weiterhin besteht. Daher geben wir die folgende Erklärung zu Protokoll:

Wir gehen davon aus, dass die Regelungen des Hochschulpakts 2026-2031 die finanzielle Grundsicherung und Entwicklungsfähigkeit unserer Hochschulen gefährden. Aus diesem Grund sprechen wir uns gegen die vorgesehenen finanziellen Kürzungen und den strukturellen Abbau des hessischen Hochschulsektors aus.

Positiv bewerten wir, dass das Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur konsequent Einzelprogramme in seinem Einflussbereich in ein neues Sockelbudget überführt hat, was einen deutlichen Bürokratieabbau und mehr Flexibilität ermöglicht.

Wir unterzeichnen den Hochschulpakt, um im Rahmen unserer Gesamtverantwortung als Präsidien planbare Mindestressourcen zu sichern.

Damit gewährleisten wir, dass die Aufgaben und Herausforderungen in Forschung, Lehre, Kunst und Transfer – trotz der tiefgreifenden Einschnitte – so gut wie unter diesen Umständen möglich bewältigt werden können.

Wir unterzeichnen den Pakt insbesondere im Vertrauen auf die zugesagte Verhandlungsaufnahme im Falle eines wirtschaftlichen Aufschwungs. Wir erwarten, dass im Zuge einer Erhöhung der dem HMWK zugewiesenen Mittel eine adäquate Partizipation der Hochschulen zeitnah erfolgt.

red