Die TU im Blut
Hessens Digitalministerin Professorin Kristina Sinemus verbindet mit der TU Darmstadt eine lange Familientradition
02.12.2025 von Astrid Ludwig
Für Kristina Sinemus gehört die TU Darmstadt zur Familiengeschichte. Nicht nur die Alumna hat an der Technischen Universität promoviert, auch ihr Vater, ihre Onkel und Cousins haben in Darmstadt entweder studiert, Doktortitel erworben oder als Professoren gelehrt. Kristina Sinemus selbst hat eine steile, wendungsreiche Karriere vollzogen: Sie ist promovierte Biowissenschaftlerin, Gründerin und Unternehmerin im Bereich Wissenschaftskommunikation, Professorin für Public Affairs in Berlin und politische Quereinsteigerin in Wiesbaden. Der damalige Ministerpräsident Volker Bouffier holte sie als Parteilose in seine Regierung. Seit 2019 ist Sinemus Hessische Ministerin für Digitalisierung und Innovation.
Schon als Baby nahm ihr Vater sie mit auf den Campus. Professor. Erich Sinemus war zu der Zeit Doktorand am Fachbereich Elektrotechnik. „Ich kenne die TU aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln“, sagt die heute 62-Jährige. Als Teenagerin saß sie in Darmstadt am Küchentisch mit den Brüdern ihrer Mutter – ihren Onkeln Walter und Werner Durth. Ersterer war ein bekannter Verkehrsingenieur und TU-Professor, letzterer einer der umtriebigsten und renommiertesten Architektur-Professoren der Universität. „Ich war in viele Diskussionen rund um die Uni involviert. Wir sind eine TU-Familie mit langer Tradition“, erinnert sich Kristina Sinemus.
Zwar zogen ihre Eltern nach erfolgreicher Promotion des Vaters in den 1960er Jahren zurück nach Nordhessen in die Heimat der Familie, wo Dr. Erich Sinemus die Geschäftsführung des Kupferkabelherstellers Felten und Guilleaume übernahm, doch Darmstadt blieb ein Fixpunkt. „Und natürlich wollten mich später alle zu einem Ingenieur- oder Architekturstudium an der TU überreden, aber ich hatte schon immer meinen eigenen Kopf“, lacht die Alumna. „Ich wollte studieren, worauf ich Lust hatte.“
Das war vor allem eine Mischung aus Geistes- und Naturwissenschaften. Da sie sich bereits in der Schule für Deutsch und Biologie als Leistungskurse entschieden hatte, wählte Kristina Sinemus Germanistik, Biologie, Chemie und Pädagogik als ihre Studienfächer aus. Interdisziplinarität begeisterte sie schon früh. Über die ZVS landete sie 1985 an der Universität in Münster, wechselte nach dem Physikum aber nach Kassel, wo sie das 1. und 2. Staatsexamen für das Lehramt an der Mittel- und Oberstufe ablegte und parallel dazu ein Diplom in Biologie abschloss. Ihr Vater hatte an der Gesamthochschule mittlerweile eine Professur für Elektrotechnik angetreten. In den Schulbetrieb wollte Kristina Sinemus jedoch nicht einsteigen – die Wissenschaft reizte mehr. „Vor allem unterschiedliche Perspektiven haben mich interessiert. Deshalb habe ich auch so breit studiert.“
Interdisziplinarität als Sprungbrett zur TU-Promotion
Was sie jedoch genau mit ihrem interdisziplinären Studienabschluss anfangen wollte, wusste sie zunächst nicht – bis sie auf Evelies Mayer traf. Die Professorin für Soziologie an der TU Darmstadt war eine große Förderin von Interdisziplinarität. Ihr Engagement mündete in der Gründung des Zentrums für Interdisziplinäre Technikforschung (ZIT) in Darmstadt, dessen geschäftsführende Direktorin sie war – bevor sie 1991 im Kabinett von Hans Eichel zur hessischen Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst berufen wurde. „Evelies Mayer machte mich auf das ZIT aufmerksam“, erzählt die Alumna. Am Zentrum hatte Professor Hans Günter Gassen einen Förderantrag gestellt, weil er zum Thema Ethik und Gentechnik in Unternehmen forschen wollte. „Von ihm hatte ich gerade ein Buch gelesen. Er war der Erste in Deutschland, der ein Grundlagenbuch zum Thema Gentechnik verfasst hatte.“
Die Diplom-Biologin war elektrisiert: „Eine Woche später hatte ich ein Vorstellungsgespräch und kurz darauf eine Halbtagsstelle am ZIT als Wissenschaftliche Mitarbeiterin.“ Gassen hatte an der TU ein neues Fachgebiet gegründet, das später zum international anerkannten Zentrum für Biochemie und Biotechnologie mit 130 Mitarbeitenden avancierte.
In einem interdisziplinären Forschungsteam aus vier Kolleg:innen untersuchte Kristina Sinemus am ZIT Pflanzen- und Biotechnologie und wie die Gesellschaft mit Ethik und Gentechnik in Unternehmen umgeht. Dabei verglichen sie die Arbeitsweisen und Prozesse in einem Großkonzern und einem mittelständischen Unternehmen. „Gentechnologie war Anfang der 1990er Jahre ein noch unerforschtes Gebiet.“ Zupass kamen ihr dabei ihr naturwissenschaftlicher und auch kommunikationswissenschaftlicher Background. „Querschnittsdenken und -agieren waren neue Disziplinen“, sagt sie.
Professor Gassen wurde Sinemus` Mentor und Doktorvater. Sie begann ihre Promotion parallel zur Halbtagsstelle am ZIT. „Die Arbeit hat sich gegenseitig befruchtet“, sagt die Alumna im Rückblick. In ihrer Promotion ging es um die biologische Risikoanalyse gentechnisch hergestellter herbizidresistenter Nutzpflanzen.
Fünf Jahre arbeitete sie am Zentrum für interdisziplinäre Technikforschung. „Ich hätte bleiben können, doch ich wollte mich selbstständig machen.“ Und auch hier ermunterte sie Professor Gassen, weil an seinem Fachgebiet eine neue Ausgründungskultur entstanden war. 1996 initiierte die Alumna und Biowissenschaftlerin ihr erstes Unternehmen „Communication In Life Science“, eine Agentur für Wissenschaftskommunikation. Sie und ihre Mitarbeitenden zogen als erstes Start-up in das TIZ – das Technologie- und Innovationszentrum der Universität – in der Weststadt Darmstadts ein.
Pionierin der Wissenschaftskommunikation
Zwei Jahre später folgte die Gründung ihres neuen Unternehmens „Genius GmbH“, das sie als Geschäftsführende Gesellschafterin bis 2019 leitete. „Wir haben mit zwei Leuten begonnen und waren später bis zu 50 Mitarbeitende mit Büros in Berlin und Brüssel.“ Als Dienstleister berieten sie Unternehmen wie etwa Merck in der Wissenschaftskommunikation für die Biotechnologie, arbeiteten als Strategieberatung oder unterstützten Gründungsinitiativen. Wieder war die TU-Alumna eine Art Pionierin: „Wissenschaftskommunikation und Interdisziplinarität waren Themen, die wir neu entwickelt haben.“
Kristina Sinemus reizt der Aufbau neuer Strukturen. So half sie etwa auch bei der Gründung der Quadriga Hochschule Berlin – eine private Hochschule für Management in den Bereichen Kommunikation, Politik und Public Affairs, Human Resources und digitale Transformation. 2011 wurde sie dort zur Professorin am Fachbereich Public Affairs berufen. 2014 war sie in Darmstadt zudem eine der ersten Frauen bundesweit, die zur Präsidentin einer Industrie- und Handelskammer gewählt wurde.
Quereinstieg in die Politik
Am 3. Januar 2019 – an das Datum erinnert sie sich genau – erreichte sie in ihrem Urlaub ein Anruf aus Wiesbaden. Der damalige Ministerpräsident Volker Bouffier fragte an, ob sie nicht Lust habe, Mitglied seiner Regierung zu werden. Eine Chance, die Gesellschaft mitzugestalten, die man nicht oft bekommt, ist die TU-Alumna überzeugt. Sie griff zu. Als Parteilose sollte sie das neue Ministerium für Digitale Strategie und Entwicklung aufbauen – in Hessen und bundesweit ein Novum. „Politik und Wissenschaft – das waren zwei ganz andere Welten und als Nichtpolitikerin nicht immer einfach“, berichtet sie. Doch den Hintergrund dafür hatte sie. „Life Science und Digitalisierung – da gibt es viele Analogien.“ Mit Halbleiter und Glasfaser kannte sie sich ebenfalls aus, weil sie als Hiwi für ihren Vater am Fachbereich Elektrotechnik in Kassel gearbeitet hatte, der genau zu diesen Bereichen forschte und lehrte.
Digitalisierung ist für Kristina Sinemus ein Mittel zur Steigerung von Lebensqualität, Standortattraktivität und Verwaltungseffizienz. Sie denkt auch hier interdisziplinär und hat Bündnisse wie den Mobilfunk- oder Glasfaserpakt geschlossen oder ressortübergreifend die kurzfristige Ausstattung der Lehrkräfte mit Laptops oder Tablets auf den Weg gebracht. Digitale Teilhabe ist ihr wichtig, wie die Initiative „Women go digital“ für Mädchen und Frauen in MINT-Berufen zeigt. Auch der Aspekt Ethik bleibt ihr – wie schon zu Promotionszeiten – wichtig. An der TU hat sie als Ministerin das „Zentrum für verantwortungsbewusste Digitalisierung“ mitbegründet.
Mittlerweile ist die gebürtige Darmstädterin seit zwei Legislaturperioden Ministerin – zunächst unter Volker Bouffier und jetzt unter Boris Rhein. Beharrlichkeit und Pioniergeist beschreibt sie als zwei ihrer Wesenszüge. „Ich beiße mich durch“, sagt sie und lacht. Die TU habe dafür die Basis gelegt, betont die Alumna. Noch immer fühlt sie sich ihrer Alma Mater emotional sehr verbunden und unterhält viele Kontakte. Neue dürften hinzukommen, denn gerade hat sich auch ihre jüngere Tochter an der TU Darmstadt eingeschrieben. Passenderweise im Fachbereich Informatik. Die TU gehört halt zur Familie.
KI-Tour mit Digitalministerin Kristina Sinemus im Darmstädter Wissenschaftsschloss am 6. Dezember
KI klingt nach Zukunft – aber sie ist schon heute überall! Am 6. Dezember macht die KI-Tour von Digitalministerin Professorin Dr. Kristina Sinemus von 12 bis 15 Uhr Station im Darmstädter Wissenschaftsschloss.
Es geht darum, Künstliche Intelligenz zu erleben, zu verstehen und vor allen Dingen auszuprobieren. Digitalministerin Kristina Sinemus, Willi Weitzel und jede Menge Expertinnen und Experten gehen mit allen Interessierten in den Austausch. Mit dabei: Roboter, spannende KI-Projekte und jede Menge Spaß.
„KI macht Zukunft – Hessen spricht über KI“, am 6. Dezember im Darmstädter Wissenschaftsschloss direkt neben dem Weihnachtsmarkt.