Neue Dimensionen der Quantenphysik

Mit Qubits wird höchste Rechenleistung möglich gemacht

25.06.2021 von

Der Physiker Vladimir M. Stojanović fand über Umwege zur Forschung über Quantencomputer. Jetzt präsentiert er Ergebnisse, die dem Feld entscheidende Impulse geben könnten.

Dr. Vladimir M. Stojanovic forscht an der Entwicklung von Quantencomputern. Unterstützt wird er dabei vom Sonderforschungsbereich Crossing.

Wenn es um eine ganz neue Art von Computer geht, sind exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefragt. Vladimir M. Stojanović ist einer von ihnen. Der Physiker hat jüngst mehrere theoretische Arbeiten publiziert, die die Entwicklung von Quantencomputern und ihrer Anwendungen beschleunigen könnten. Schon in wenigen Jahren, glaubt er, könnten solche Rechner einige komplexe Aufgaben schneller lösen als die stärksten Supercomputer der Welt.

Die Begabung von Stojanović zeigte sich früh. Als Schüler in seiner serbischen Heimat glänzte er nicht nur im Sport, sondern gewann auch Wettbewerbe in Mathematik und Physik. Sein Physikstudium schloss er mit Bestnote ab. Als Forscher ging Stojanović Umwege, fand aber gerade deshalb zu seinen frischen Ideen. Sein Feld ist die theoretische Physik, die sich mit der experimentellen Physik gegenseitig die Bälle zuspielt, nicht zuletzt, um neue Technologien zu entwickeln.

Zunächst, um 2003, forschte Stojanović an der TU Eindhoven/Niederlande. Dort untersuchte er den Transport elektrischer Ladungen in organischen Halbleitern. Diese sollen als „Plastikelektronik“ etwa für besonders günstige Solarzellen genutzt werden. „Doch dann wechselte ich mein Interesse“, sagt Stojanović. Er ging an die Carnegie Mellon University in den USA, die besonders stark in Informatikforschung ist. Stojanović indessen forschte nun in einem Gebiet der Physik, das für die Informationsverarbeitung der Zukunft entscheidend ist: die Quantenphysik. Er interessierte sich für so genannte Supraflüssigkeiten. Diese existieren bei tiefsten Temperaturen und zeigen bizarre Eigenschaften, die sie der Quantenphysik verdanken. So drehen sie sich etwa bei Rotation des Gefäßes nicht mit. Doch mit Quantencomputern hat das noch nicht viel zu tun.

Diesem Gebiet näherte sich Stojanović erst nach seiner Doktorarbeit, auf seiner nächsten Station: der Universität Basel. Dort erforschte er die wichtigsten Grundbausteine von Quantencomputern, sogenannte Qubits. Sie sind für diese neue Art Rechner das, was Bits für herkömmliche Rechner sind. Doch während ein Bit jeweils nur eine der beiden Zahlen 0 oder 1 aufnehmen kann, speichert das Qubit beide Werte gleichzeitig. Verwirklichen lässt sich ein Qubit etwa durch ein neutrales Atom, das zwei Energieniveaus besitzt, ein Konzept, das Stojanović auf seiner nächsten Station, der renommierten Harvard University in Boston, USA, kennen lernte. Ein Atom kann in einer Überlagerung beider Energieniveaus existieren, also zwei Zustände simultan annehmen.

Mehrere Qubits halten sehr viele Zustände gleichzeitig, können also sehr viele Zahlen speichern. Statt Information immer nur schrittweise und nacheinander zu verarbeiten, was bei komplexen Aufgaben sehr lange dauern kann, soll ein Quantencomputer große Informationsmengen parallel und somit ohne Zeitverlust verarbeiten.

An der TU Darmstadt widmet sich Stojanović in der Gruppe Theoretische Quantenphysik einer der größten Hürden auf den Weg zum Quantenrechner. Bevor sie gemeinsam rechnen können, müssen Qubits auf eine spezielle Art miteinander verknüpft werden. Physiker sprechen von „Verschränkung“. Viele verschränkte Atome kann man sich als eine Art Kollektiv vorstellen, wie ein „Superatom“. Das Problem: Die Zeit, die es braucht, um Qubits zu verschränken, wächst stark mit der Anzahl der Qubits. Eine Paradoxie: Mit Hilfe möglichst vieler Qubits will man ja eigentlich Rechenzeit sparen.

„Ich glaube, dass das die Zukunft der Quantenrechner ist.“

Stojanović hatte eine Idee, wie sich ein spezieller Typ von Mehr-Qubit-Verschränkung, die sogenannte W-Typ-Verschränkung, sehr viel schneller herstellen ließe. Der Ansatz ist sehr einfach. Systeme aus vielen Teilchen haben mehrere Zustände unterschiedlicher Energie. Der Zustand mit der geringsten Energie heißt „Grundzustand“. Diesen strebt das System von selbst an. Stojanović fragte sich, ob es möglich sei, einen Verbund aus Teilchen so zu entwerfen, dass sein Grundzustand gleichzeitig der angestrebte verschränkte Zustand ist. Auch wenn das System aus sehr vielen Teilchen bestünde, würde es seinen Grundzustand sehr schnell annehmen. Das Problem wäre gelöst. Die so erzielte Verschränkung wäre zudem stabil, wie bei einer Schaukel, die am tiefsten Punkt bleibt, solange man sie nicht schubst.

„Die nächste Zutat stammte aus meiner Arbeit in Eindhoven“, sagt Stojanović. Dort untersuchte er zwar keine Qubits, aber Systeme, in denen ein frei bewegliches Teilchen mit vielen punktförmigen Oszillatoren wechselwirkt. Der Grundzustand des Systems hatte ähnliche Eigenschaften, wie der verschränkte Qubit-Zustand, den der Physiker sich vorstellte. Zum Beispiel braucht man relativ viel Energie, um ihn in einen anderen Zustand überzuführen. „Wenn man diesen Grundzustand einmal erzeugt hat, ist er sehr stabil, da keine anderen Zustände mit ähnlicher Energie verfügbar sind“, nennt Stojanović einen Vorteil.

Als nächstes übertrug der Physiker das Prinzip auf zwei verschiedene physikalische Systeme, die bereits routinemäßig in der Quantencomputerforschung verwendet werden. Bei einem bestehen die Qubits aus speziellen elektronischen Bauelementen, die bei sehr tiefen Temperaturen Strom verlustfrei leiten, so genannte Supraleiter. Beim anderen bilden Atome die Qubits. „Ich war sehr glücklich, denn diese Idee kam mir durch meine Erfahrung aus anderen Gebieten“, sagt Stojanović. „Es war also ein Vorteil, dass ich immer wieder Neues ausprobiert habe.“ Seine Ausdauer wurde letztlich belohnt. Das unter Physikern hoch angesehene Fachmagazin Physical Review Letters publizierte seine Arbeit. Das ist eine Auszeichnung, da dieses Journal nur selten Arbeiten einzelner Autoren veröffentlicht.

Zwar sind die Ergebnisse von Stojanović theoretisch. Doch er achtete auf ihre experimentelle Umsetzbarkeit. „Alle Schritte lassen sich mit etablierten Labormethoden ausführen“, sagt er, dessen Forschung vom Sonderforschungsbereich CROSSING an der TU Darmstadt unterstützt wurde. Die Zeit, um die Qubits zu verschränken, würde damit nicht mehr von deren Anzahl abhängen: ein entscheidender Schritt hin zu großen, leistungsstarken Quantenrechnern. „Ein weiterer Vorteil ist, dass der Zustand äußerst robust ist“, sagt Stojanović. Er bleibe sogar dann erhalten, wenn einzelne Qubits verloren gehen, was in der Praxis durchaus vorkommt.

„Ich glaube, dass das die Zukunft der Quanten-rechner ist“, sagt Stojanović selbstbewusst. Derzeit sucht er nach Experimentalphysikern, die sein Konzept im Labor testen wollen. Er ist zuversichtlich, dass das geht. Die nützlichste Anwendung seines Designs sieht er bei so genannten Optimierungsproblemen, bei denen es darum geht, die bestmögliche aus einer Unzahl von Lösungsmöglichkeiten zu finden. „Sie werden helfen, schwierige Verkehrsprobleme zu lösen“, sagt Stojanović. Dazu gehöre etwa der Fahrplan der Bahn, mit seinen Tausenden von Verbindungen in einem komplexen Netz, die möglichst schnell und energiesparend abgewickelt werden sollen, mit möglichst guten Anschlüssen für Millionen von Fahrgästen. So könnte es kommen, dass Quantenrechner ein deutlich entspannteres Reisen ermöglichen.

Der Autor ist Wissenschaftsjournalist und promovierter Physiker

Publikationen

Stojanović, Vladimir M. (2021):
Scalable W-type entanglement resource in neutral-atom arrays with Rydberg-dressed resonant dipole-dipole interaction.
In: Physical Review A, 103 (2), APS Physics, ISSN 2469-9926,
DOI: 10.1103/PhysRevA.103.022410

(2020): Bare-Excitation Ground State of a Spinless-Fermion–Boson Model and W-State Engineering in an Array of Superconducting Qubits and Resonators.
In: Physical Review Letters, 124 (19), p. 190504. ISSN 0031-9007,
DOI: 10.1103/PhysRevLett.124.190504

(2020): Entanglement-spectrum characterization of ground-state nonanalyticities in coupled excitation-phonon models.
In: Physical Review B, 101 (13), American Physical Society, ISSN 2469-9950,
DOI: 10.1103/PhysRevB.101.134301

Haase, Thorsten; Alber, Gernot; Stojanović, Vladimir M. (2021):
Conversion from W to Greenberger-Horne-Zeilinger states in the Rydberg-blockade regime of neutral-atom systems.
In: Physical Review A, 103 (3), APS Physics, ISSN 2469-9926,
DOI: 10.1103/PhysRevA.103.032427

Informationen

Arbeitsgruppe Theoretische Quantenphysik
Dr. Vladimir M. Stojanović
Telefon: 06151/16–20325
E-Mail:

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