Abkürzungen im Weltall
TUDa-Start-up Aperio Space Technologies macht Satellitendaten in Minuten statt Stunden verfügbar
13.11.2025 von Heike Jüngst
Darmstadt gilt als Weltraum-Hauptstadt Europas. Hier, im Umfeld der TU Darmstadt und in Sichtweite des ESOC, arbeitet ein junges Team an einem Problem, das die Branche seit Jahrzehnten bremst: Daten von Satelliten erreichen den Boden meist erst beim nächsten Überflug einer Bodenstation. Das dauert oft rund 90 Minuten – zu lang für Krisenstäbe, zu teuer für Betreiber, zu träge für viele Anwendungen.
Aperio Space Technologies, ein Start-up der TU Darmstadt, setzt bei der Software an. Die Gründer:innen Thomas Hoffmann (CEO, Physiker mit Fokus auf Cybersecurity, Netzwerktechnik und Quantenkryptografie), Valentin Henkys (CTO, Informatiker mit Fokus auf High-Performance Computing, Kryptographie und Routing-Algorithmen) und Mehrsa Shirzadian (CMO, mit Hintergrund in International Media und Technologiemanagement, spezialisiert auf strategische Kommunikation und Hightech-Marketing im Weltraumbereich) entwickeln eine Architektur, die Satelliten unterschiedlicher Betreiber in ein flexibles Datennetz einbindet – ähnlich wie das Internet auf der Erde, nur im Orbit.
Die Idee entstand in der studentischen Hochschulgruppe Space Technologies der TU Darmstadt. 2024 gehörte das Aperio-Team im TU-Ideenwettbewerb in der Kategorie Studierende zu den Finalisten. Finanzieller Rückenwind kommt von der Bundesregierung mit einem EXIST-Gründungsstipendium, dem ESA Business Incubation Centre (ESA BIC) und Landesmitteln von Hessen. Das Ziel von Aperio Space Technologies ist klar: Daten sollen dort herunterkommen, wo es gerade möglich ist – und zwar nahezu in Echtzeit.
Im Gespräch mit Thomas Hoffmann, Valentin Henkys, Mehrsa Shirzadian und Professor Thomas Walther
Was macht Aperio Space genau, welches Problem löst die Technologie?
Thomas Hoffmann (CEO): Wir schreiben Software, die Satelliten hilft, Daten schneller zur Erde zu bringen. Statt zu warten, bis ein Satellit eine Bodenstation sieht, schicken wir die Informationen über andere Satelliten weiter – dorthin, wo sie sofort übertragen werden können.
Also „Stille Post“ im All – nur ohne Missverständnisse?
Thomas Hoffmann (CEO): Das trifft es. Unsere Software sucht in einem bewegten Netzwerk laufend die beste Route. Sie berücksichtigt Sichtfenster, Bandbreiten, Prioritäten und Sicherheitsanforderungen. So landen Messwerte und Bilder deutlich früher am Boden.
Warum ist das wichtig?
Thomas Hoffmann (CEO): Weil heutige Abläufe träge sind. Ein Satellit sammelt Daten, doch bis zur nächsten Bodenstation vergehen meist 90 Minuten. Wer Waldbrände bekämpft, Lieferketten überwacht oder Netze stabil hält, verliert dadurch Zeit. Wir verkürzen diese Lücke auf nahezu Echtzeit.
Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Thomas Hoffmann (CEO): Sie entstand in der TU-Hochschulgruppe Space Technologies. Dort habe ich Kai Wördehoff kennengelernt, Physik-Student wie ich. Kai kannte aus dem ESOC-Umfeld die engen Kommunikationsfenster. Wir haben uns gefragt, warum Satelliten nicht untereinander weiterleiten, bis einer eine Bodenstation im Blick hat. Daraus wurde unser Konzept.
Was steckt technisch dahinter?
Valentin Henkys (CTO): Unsere Technologie besteht im Wesentlichen aus drei Bausteinen. Der erste ist ein Simulations- und Visualisierungstool, das wir als Software-as-a-Service (SaaS) anbieten. Damit können Betreiber ihre Satellitenkonstellationen planen, Datenraten und Verzögerungen testen und die Leistung ihrer Netzwerke schon im Vorfeld optimieren.
Der zweite Baustein ist ein SDN-Controller, eine Steuerungssoftware, die in bestehenden Flotten eingesetzt wird. Sie koordiniert Verbindungen und Datenrouten zwischen Satelliten in Echtzeit und sorgt so für stabile und effiziente Kommunikation.
Als drittes entwickeln wir ein offenes Netzwerk, das von uns betrieben wird. Dort können auch kleinere Betreiber teilnehmen, die allein keine weltweite Abdeckung erreichen würden. Indem sie ihre Ressourcen bündeln, erzielen sie gemeinsam eine hohe Erreichbarkeit. Abgerechnet wird nach Nutzung. Derzeit kalkulieren wir etwa einen Euro pro Megabyte.
Worin liegen die größten technischen Herausforderungen?
Valentin Henkys (CTO): In der Dynamik des Systems. Die Satelliten bewegen sich ständig, und damit verändert sich auch das gesamte Netzwerk fortlaufend. Wir müssen Sichtfenster vorhersagen, verfügbare Ressourcen einplanen und regulatorische Vorgaben berücksichtigen – und all das in Echtzeit. Genau hier liegt der Kern unserer Arbeit.
Wer profitiert von der Technologie?
Mehrsa Shirzadian (CMO): Unsere direkten Kunden sind Satellitenbetreiber und Systemintegratoren. Die Einsatzmöglichkeiten von Aperios Technologie reichen über mehrere Bereiche hinweg. In der Erdbeobachtung, etwa bei Wetter- und Umweltdaten, können Warnungen deutlich schneller ausgelöst und Entscheidungen fundierter getroffen werden. In der Logistik und Überwachung globaler Lieferketten hilft das System, ein aktuelles Lagebild nahezu in Echtzeit zu gewinnen und Risiken besser zu steuern. Auch die Telekommunikation profitiert: Über den Orbit lassen sich Lücken in terrestrischen Netzen schließen und entlegene Regionen anbinden. In der Behörden- und Verteidigungskommunikation verbessert die Technologie die Verfügbarkeit und Sicherheit von Datenverbindungen. Schließlich trägt sie auch zur Beobachtung des Weltraums selbst bei – sie schafft ein dichteres Lagebild, das den sicheren Betrieb von Satelliten erleichtert und Kollisionen vorbeugt.
Wie akquirieren Sie Kunden?
Mehrsa Shirzadian (CMO): Auf Branchen-Messen und über Fachkonferenzen. Dort treffen wir Entscheider, zeigen Simulationen und vereinbaren Piloten. Klassische Kaltakquise funktioniert in dieser Branche schlechter als ein gutes Gespräch am Messestand.
Wie weit sind Sie mit Ihrem Start-up in wirtschaftlicher Hinsicht?
Thomas Hoffmann (CEO): Wir sind aktuell pre-revenue, führen Piloten und Demonstrationen durch und verhandeln mit ersten Kunden. Parallel bewerben wir uns auf ESA-Entwicklungsaufträge. Die Finanzierung tragen das EXIST-Gründungsstipendium der Bundesregierung mit rund 130.000 Euro, der ESA Business Inkubator BIC und Landesmittel. Im Moment bootstrappen wir bewusst, um Tempo und Richtung zu halten. Der Standort Darmstadt ist dafür ideal: Die Nähe zur TU und zum ESOC ermöglichen den Zugang zu einem großen wie passenden Netzwerk. HIGHEST unterstützt bei Geschäftsmodell, Fördermitteln und Partnerzugang. Das ESA BIC bringt Mentoring, Anschub und Türen in die Industrie.
2024 waren Sie Finalist:innen im TU-Ideenwettbewerb. Hat das bei der Gründung von Aperio Space geholfen?
Thomas Hoffmann (CEO): Ja. Wir bekamen nützliches Feedback zu Telekom-Use-Cases, Patentstrategie und Zahlungsbereitschaft. Das hat unseren Product-Market-Fit geschärft.
Herr Professor Walther, Sie begleiten Sie Aperio Space Technologies als Mentor. Warum?
Professor Thomas Walther (Vizepräsident Innovationen & Internationales, TU Darmstadt): Thomas Hoffmann kenne ich aus meiner Arbeitsgruppe Quantenoptik; er hat bei mir seine Bachelorarbeit gemacht. Er arbeitet zielstrebig und mit langem Atem. Als er mir die Idee vorstellte, war klar: Ich unterstütze das im Rahmen von EXIST. Das Projekt adressiert ein schwieriges Kommunikationsproblem im Orbit. Technisch ist das anspruchsvoll und zugleich anschlussfähig an quantensichere Kommunikation – hier sehe ich auf Sicht Potenzial.
Was macht Sie zuversichtlich, dass dieses Team durchzieht?
Walther: Bei Aperio greifen unterschiedliche Stärken ineinander. Das Team zeigt Hartnäckigkeit, Flexibilität, Ehrgeiz, Optimismus und viel Energie. Das sind die Zutaten, die man zur Gründung eines Unternehmens braucht.
Warum ist das Konzept für die Raumfahrt nach KI die kommende Zukunftstechnologie?
Walther: Die Zahl der im Orbit befindlichen Satelliten nimmt stetig zu. Natürlich auch, weil Daten im Zeitalter der KI immer wichtiger werden. Die Kommunikation mit Satelliten auf ihrem Orbit ist dabei zeitlich sehr beschränkt, sie ist immer nur in relativ kleinen Zeiträumen beim Überflug der Satelliten möglich. Die Technik von Aperio ermöglicht es, den Datenupload und -download deutlich zeiteffizienter zu gestalten.
Wie groß ist das Team und wie ist es organisiert?
Thomas Hoffmann (CEO): Wir sind zurzeit neun Personen, das Gründerteam eingeschlossen. Einige arbeiten Vollzeit, andere als Werkstudierende oder in Abschlussarbeiten. Führung heißt für uns: klare Ziele, kurze Wege, Transparenz. Motivation entsteht, weil jede und jeder den eigenen Beitrag zum Ergebnis unmittelbar sieht.
Wie sieht der rechtliche Rahmen aus – Stichwort IP, also Patent?
Thomas Hoffmann (CEO): Unser geistiges Eigentum, die IP, gehört der GmbH. Es ist vollständig außerhalb von Uni-Anstellungen entstanden und liegt damit klar bei uns. Das passt zu unserer Vision: Wir wollen die Schlüsseltechnologie im eigenen Haus haben, um sie langfristig weiterzuentwickeln und partnerschaftlich in den Markt zu bringen. Kooperationen mit großen Systemhäusern sind ausdrücklich gewünscht – gemeinsam kommen wir schneller in die Breite. Einen Verkauf von Firma oder Patent planen wir nicht. Darüber würden wir nur nachdenken, wenn es dem Produkt nützt und seine Wirkung für die Nutzerinnen und Nutzer vergrößert.
Was sind die nächsten Schritte?
Thomas Hoffmann (CEO): Wir schließen die laufenden Pilotprojekte ab und bereiten das erste kommerzielle Deployment vor. Parallel wächst unser offenes Netzwerk, damit mehr Betreiber sofort profitieren können. Technisch vertiefen wir Interoperabilität und Sicherheit, damit die Lösung im Alltag robust trägt. Das alles gehen wir konsequent an – Schritt für Schritt, aber mit Tempo.
Vielen Dank für das Gespräch – und für die Abkürzungen im All.