Kompakte Windkraft für jeden Standort

Start-up TwinWatt optimiert Windanlagen: effizienter, leiser, unaufwendig

16.10.2025 von

Windkraft mitten in der Stadt, auf Parkplätzen, Dächern, Gewerbeflächen: Das ist die Vision von TwinWatt. Dahinter stecken sieben junge Köpfe – und eine kreative Idee.

Die Gründer von TwinWatt, Erik Kohler (links) und Lorenz Tidow, zeigen ein Modell ihrer Windkraftanlage mit Doppelrotor, das in Zukunft etwa auf den Dächern der Frankfurter Skyline umweltfreundliche Energie liefern könnte.

Erik Kohler und seine jüngeren Brüder hatten auf einer Reise vertikale Windkraftanlagen entlang der Autobahn entdeckt, also Windräder, die um eine vertikale Achse rotieren – etwa wie ein Schreibtischstuhl. „Wir haben dann den gesamten Urlaub darüber diskutiert“, erzählt Kohler. „Solche Windräder sind leiser, für Vögel weniger gefährlich und werfen nicht diese regelmäßigen Schatten“, erklärt er seine Faszination für die ungewöhnlichen Rotoren. Aber: sie sind weniger wirkungsvoll, denn der aus einer Richtung wehende Wind trifft nicht nur die eine Seite des Rotorblatts, sondern auch die gegen den Wind „zurück“ laufende. Das bremst die Anlage.

„Wir drei Brüder wollten die Vorteile solcher Windräder nutzen und gleichzeitig den Nachteil kompensieren“, erzählt der 24jährige. Die Lösung steckt heute in ihrem Produkt „TwinWatt“: Zwei Rotoren nebeneinander, die durch einen Keil getrennt sind. Dieser Keil lenkt die Luft von der dem Wind entgegenlaufenden auf die arbeitende Rotorseite. Man kann sich das ein wenig so vorstellen, wie bei den bunten Windrädchen aus der Kindheit: Sie funktionieren am besten, wenn man gezielt nur auf eine Seite pustet. Diesen Effekt übernimmt der Keil, der den Wind auf die passende Turbinenseite lenkt. Die gegen den Wind laufende Seite wird abgeschirmt.

Doppel-Windrad mit vielfacher Leistung

1:12-Modell einer TwinWatt-Windkraftanlage.
1:12-Modell einer TwinWatt-Windkraftanlage.

„In Simulationen erreichen wir unter definierten Bedingungen etwa die 2,1fache Anströmungsgeschwindigkeit“, erklärt Kohler. Jetzt kommt die Physik ins Spiel: In die Berechnung der Leistung geht die Windgeschwindigkeit im Kubik ein. Aus 2,1fach wird 2,13 – also ein Neunfaches der Leistung einfacher Windräder. Das bedeutet auch, dass das Doppel-Windrad sich bereits bei geringem Wind zu drehen beginnt. In einer Beispielmessung zeigte Kohler, dass sich die Rotoren dadurch nicht wie bei klassischer Anlaufgeschwindigkeit nur zu 38 % der Zeit bewegen, sondern dank der neuen Konstruktion etwa 96 % der Zeit Strom produzieren würden. Ihre Idee haben die Tüftler vor zwei Jahren zum Patent angemeldet.

Aus der privaten Bastelei zu Hause im Württembergischen entstand so die Masterarbeit von Kohler an der TU Darmstadt. Er hatte seinen Bachelor für Mechatronik in Stuttgart gemacht und gezielt nach Darmstadt gewechselt, weil er von HIGHEST und der Start-up-Betreuung gehört hatte. „Ich wollte unsere Idee professionell umsetzen“, begründet er seine Kontaktaufnahme mit HIGHEST. Weitere Unterstützung fand er bei Christian Mittelstedt, Professor am Institut Leichtbau und Strukturmechanik an der TU Darmstadt: „Er war von der Idee begeistert und unterstützte uns sehr“ – durch die Betreuung der Masterarbeit und bei der Antragstellung.

Ende 2023 machte Kohler ernst. Auf der Veranstaltung „Co-Founder Wanted“ am Frankfurt School Entrepreneurship Centre stellte er seine Idee vor: „Ich suchte gezielt einen Mitgründer, der die Business-Seite abdeckt“. Lorenz Tidow, Student für Global Strategy an der Frankfurt School of Finance and Management, hörte sich an dem Tag mehrere Pitches an: „Den interessantesten habe ich mir dann ausgewählt.“ So fanden die beiden zusammen und wurden ein effizientes Team, das sich seitdem wöchentlich trifft und abstimmt.

Einfache Genehmigung, platzsparend, Stadt-geeignet

So könnte der Standort einer TwinWatt-Turbine aussehen.
So könnte der Standort einer TwinWatt-Turbine aussehen.

Tidow überzeugte unter anderem, dass die TwinWatt-Anlage auf kleiner Fläche viel Strom liefert: Damit bietet Windkraft eine zusätzliche Möglichkeit und lichtunabhängige Alternative zu Photovoltaik-Anlagen. Bis zu 15kW Nennleistung erreicht das Doppel-Windrad. „Wir können die Windenergie erstmals in der Stadt nutzen“, betont der 28jährige. Von seiner Universität zeigt er auf die unzähligen Dächer der Frankfurter Skyline: „Dort weht Wind, dort wird Energie benötigt, und PV deckt nicht alles ab“. Der Vorteil: Die mit maximal zehn Metern Höhe geplanten Windturbinen benötigen kein aufwändiges Genehmigungsverfahren. Ähnlich wie Bäume oder Schilder können sie also auf Parkplätzen, Brachflächen oder eben auch Dächern montiert werden. Die Seitenflächen bieten zudem etwa zwanzig Quadratmeter Werbefläche. Anders als große Windräder werfen sie keine unangenehmen Schlagschatten, sind deutlich leiser und kompakter und keine Gefahr für Vögel. Mehrere Firmen haben bereits Interesse bekundet, darunter Volkswagen, Viessmann und der Immobiliendienstleister Apleona.

Doch noch ist es nicht soweit. In Simulationen hat Kohler die mechanischen Belastungen der Rotoren berechnet und das Design optimiert. Im Rahmen seiner Masterarbeit ermittelte er, wie etwa die Fliehkräfte auf die Rotoren wirken, welche Materialien geeignet und dabei möglichst leicht und stabil sind, und wie die Rotoren ausgelegt sein müssen, um leicht anzulaufen, aber auch Böen standzuhalten. Die Anlage richtet sich selbstständig nach dem Wind aus und speist über einen Wechselrichter Strom zum Eigenverbrauch ein. Ein Modell im 1:12-Maßstab dient als Demonstrationsobjekt.

Aktuell baut das Team den Prototyp. Er soll auf einem Anhänger montiert Daten an verschiedenen Standorten sammeln. Die Anlage hat einen höhenverstellbaren Mast von ein bis fünf Metern. Der Doppelrotor selbst ist fünf Meter breit und besteht aus Kunststoff und Aluminium. Die großen Bauteile werden extern gefertigt. Kleinere Komponenten stellt das Team mit einem kürzlich angeschafften professionellen 3D-Drucker selbst her. Erik Kohler hat die technische Leitung und ist verantwortlich für Hardwareentwicklung und Prototypenbau. Die Brüder Axel und Felix Kohler entwickeln Steuerung, Elektronik und Software. Tidow ist zuständig für Strategie, Partneraufbau und Finanzierung. Aus dem Hochschulumfeld stießen Oliver Pfeifer und Robert Maier hinzu – sie betreuen Statik, Strukturmechanik und konstruktive Auslegung. Philippa Friedrich kümmert sich um die Unternehmensentwicklung und Partneraufbau. Alle arbeiten derzeit neben Studium oder Beruf ehrenamtlich und aus Begeisterung am Projekt mit.

Erfolge bei Wettbewerben

Das Team von TwinWatt (v.l.n.r.): Robert Maier, Axel Kohler, Lorenz Tidow, Philippa Friedrich, Erik Kohler, Felix Kohler und Oliver Pfeifer.
Das Team von TwinWatt (v.l.n.r.): Robert Maier, Axel Kohler, Lorenz Tidow, Philippa Friedrich, Erik Kohler, Felix Kohler und Oliver Pfeifer.

Das Start-up finanziert sich aus Preisgeldern sowie eingeworbenen Fördermitteln, ganz ohne Fremdkapital. „Alle Gelder stecken wir in die Entwicklung“, betont Kohler. Ein über den Lehrstuhl gestellter Antrag auf das EXIST-Forschungstransfer kam nicht zustande. „Aber der gemeinsame Antrag hat uns zusammengeschweißt“, so Tidow. Und die nahezu zeitgleich abgeschlossenen Masterarbeiten schärften die Rollen und Prozesse im Team.

TwinWatt überzeugte bereits in einigen Wettbewerben: Beim diesjährigen Demo Day des Frankfurt School Entrepreneurship Centre gewannen sie den ersten Platz und 30.000 Euro – von sechs bestplatzierten Teams, die bereits aus über 100 Start-ups ausgewählt waren. Die Präsentation vor über 500 Interessierten schuf neue Kontakte zu möglichen Investoren und Pilotkunden. Ebenfalls 2025 ging TwinWatt als einer der Sieger aus dem Science4Life Energy Cup hervor, dem bundesweit größten Wettbewerb für technologieorientierte Start-ups.

Der erste Erfolg war schon 2023 ein zweiter Preis beim Ideenwettbewerb der TU Darmstadt sowie der Merck-Sonderpreis für Nachhaltigkeit. Für 2024 erhielt das Team ein HessenIdeen-Stipendium, das ihre Arbeit mitfinanzierte. Aktuell läuft ein Forschungsantrag mit der Hochschule Mainz, um die TwinWatt-Technologie als Teil einer nachhaltigen Entwicklung von Industriegebieten zu prüfen. Das Start-up bietet zudem Mess-Dienstleistungen für interessierte Kunden, die bereits heute ihre Standorte bewerten lassen möchten. Die Windmessungen unterstützen die Standortwahl und liefern eine Prognose des Jahresertrags. Künftig sollen die Anlagen durch unabhängige Stellen geprüft und nach einschlägigen Normen zertifiziert werden. „Das coole ist: Wir haben Absichtserklärungen und fortgeschrittene Gespräche mit Großunternehmen sowie mittelständischen Betrieben“, freut sich Tidow.

Windenergie lokal nutzen – ein Baustein zur Energiewende in Städten und Unternehmen

Die Gründer von TwinWatt, Lorenz Tidow (zweiter von links), Erik Kohler (Mitte) und Teammitglied Oliver Pfeifer (zweiter von rechts) gewannen den ersten Platz auf dem DemoDay 2025 (hier mit dem Leiter des Entrepreneurship Centre Ram Shoham, links, und dem Präsidenten der Frankfurt School Nils Steglitz, rechts).
Die Gründer von TwinWatt, Lorenz Tidow (zweiter von links), Erik Kohler (Mitte) und Teammitglied Oliver Pfeifer (zweiter von rechts) gewannen den ersten Platz auf dem DemoDay 2025 (hier mit dem Leiter des Entrepreneurship Centre Ram Shoham, links, und dem Präsidenten der Frankfurt School Nils Steglitz, rechts).

Der Prototyp soll noch dieses Jahr fertig werden und wird dann Anfang 2026 an Pilotstandorten eingesetzt, Messungen ermöglichen und wichtige Daten produzieren. Bis Ende 2026 wollen die Gründer die ersten TwinWatt-Anlagen installieren und ausliefern. Die Serienfertigung ist für 2027 vorgesehen. „Wir wollen hier fertigen, denn Deutschland steht für Maschinenbau – kurze Wege, Qualität und verlässliche Partner sprechen dafür“, betont Tidow.

Aber erstmal bekommt jetzt das Doppel-Windrad den letzten Schliff. Kohler und seine Brüder tüfteln in jeder freien Minute am Prototyp in der Garage der Eltern. „Apple, Google und Amazon sind auch in Garagen gestartet“, schmunzeln Kohler und Tidow vielversprechend. Eines Tages liefern vielleicht TwinWatt-Anlagen auf geeigneten Dächern und Höfen ganz selbstverständlich Strom.

Aktuelles aus dem Innovations- und Gründungszentrum HIGHEST