Zwischen Freiheit und Zweck

Grundlagenorientierte Energie- und Umweltforschung vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen – E+E Diskurs am 16. November 2023

17.11.2023 von

Bereits zum vierten Mal fand der E+E Diskurs im Lichtenberg-Haus mit Vertreter:innen aus Wissenschaft, Industrie und Politik sowie zahlreichen Gästen im Publikum statt. Mit Vorträgen und Diskussionen ging es am 16.11.2023 um das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Zweck, in dem sich die Grundlagenforschung für Energie und Umwelt angesichts aktueller Herausforderungen bewegt.

Die Impulsvorträge und auch das Podium standen ganz unter dem Motto „Kommunikation und Austausch“. Denn ohne den Austausch von Ideen und Wissen auf allen Ebenen der Gesellschaft ist kein technologischer Fortschritt möglich. Aber auch technologischer Fortschritt kann nur gelingen, wenn es dafür eine breite Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung gibt. Das setzt eine gelingende Kommunikation voraus.

So betonte Prof. Dr. Peter Stephan, Sprecher des Forschungsfeldes Energy and Environment (E+E) bei der Eröffnung der Veranstaltung, dass innerhalb des Forschungsfeldes zwar Forschungs- und Innovationsvorhaben sowie Early-Careers unterstützt werden sollen. Ein besonderer Fokus liege allerdings auf dem Transfer und Austausch, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Universität. „Wir sind hier um Dialog zu schaffen“ sagte Stephan und hob dabei den E+E Diskurs als Forum hervor, das wesentlich dazu beiträgt, Menschen aus der Wissenschaft, der Industrie, der Politik und auch der Zivilgesellschaft zusammenzubringen und miteinander zu vernetzen.

Daran anschließend bekräftigte Prof. Dr. Thomas Walther, Vizepräsident für Innovation und Internationales der TU Darmstadt in seiner Begrüßung, dass die großen Herausforderungen der heutigen Zeit nicht an der Spitze gelöst werden. Wesentliche Veränderungen im Hinblick auf Energie- und Umweltprobleme erreichen wir nur gemeinsam. Das bedeutet auch, dass alle Bereiche der Gesellschaft in diese Prozesse einbezogen werden, die Universität und Ihre Wissenschaftler:innen partnerschaftlich agieren und in einen wechselseitigen Austauschprozess mit den Akteuren aus Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft (xChange) treten müssen. Denn Akzeptanz setzt nicht nur Wissen voraus, sondern auch gegenseitiges Verständnis. Und dieses Verständnis bedeutet zunächst einmal Verstehen. Häufig kommuniziere jedes Feld in einer eigenen Fachsprache, die sich nicht allen sofort erschließt. Daher sei ein Format wie der E+E Diskurs auch gesamtgesellschaftlich so bedeutsam, weil er Menschen aus verschiedenen Bereichen der Gesellschaft zusammenbringt und zum Dialog beiträgt.

Prof. Dr. Thomas Walther,
Vizepräsident für Innovation und Internationales

Als Universität bewegen wir uns mitnichten in einem luftleeren Raum oder schauen gar aus einem Elfenbeinturm auf die Welt unter uns herab. Das Gegenteil ist der Fall. Wir sind eingebettet in die Gesellschaft, sind mitten in ihr.

Prof. Dr. Thomas Walther beim E+E Diskurs

Was hält die Welt (im Inneren) zusammen?

Um das Verstehen ging es auch im ersten Impulsvortrag: „Was hält die Welt zusammen?“ zählt für Prof. Dr. Dieter Bothe von der TU Darmstadt und Koordinator des E+E Profilthemas Thermofluids and Interfacial Phenomena zu den Leitfragen der grundlagenorientierten Forschung.

Anhand seiner Forschung über Flüssigkeiten an Grenzflächen veranschaulichte er am Beispiel von Regentropfen, welche relevanten Forschungsthemen sich aus scheinbar profanen Fragestellungen ergeben können und wie wichtig die Neugier für das Verstehen von Dingen ist. Denn anwendungsorientierte und zukunftsweisende Lösungen für Energie- und Umweltproblematiken ließen sich nur aus wesentlichen Erkenntnissen über bestimmte Phänomene generieren. Dabei geht es zum Beispiel darum, Verpackungen ressourcen- und umweltschonend(er) zu bedrucken oder das Be- bzw. Entnetzen von Oberflächen zur Wassergewinnung in ariden Gebieten.

Ist Forschung heutzutage noch disruptiv?

135 Jahre von der Grundlagen- zur Industrieforschung
135 Jahre von der Grundlagen- zur Industrieforschung

Prof. Peer Kirsch (Merck Electronics KGaA) zeigte im zweiten Impulsvortrag an Beispielen aus der Wissenschaftsgeschichte, dass es oft der Zufall sei, der zu grundlegenden Erkenntnissen und Durchbrüchen in der Forschung führe. Doch Erkenntnisse allein bringen noch keine Lösungen hervor. Denn von der Idee bis zur Umsetzung sei es ein langer Weg. Deshalb plädierte Kirsch, der auch eine Professur für Organische Elektronik an der TU Darmstadt innehat, für eine intensivere, vor allem aber niederschwellige Zusammenarbeit zwischen Forschung und Industrie. Diese sei in Deutschland jedoch seit Jahren eher durch bürokratische Hürden denn durch bahnbrechende Erkenntnisse gekennzeichnet.

Woran scheitern klimapolitische Maßnahmen?

Prof. Dr. Christian Kähler (Universität der Bundeswehr München)
Prof. Dr. Christian Kähler (Universität der Bundeswehr München)

Im letzten Impulsvortrag argumentierte Prof. Dr. Kähler von der Universität der Bundeswehr München anhand einiger Beispiele im Zusammenhang mit der Energiewende, dass das Erreichen der Klimaziele nicht auf fehlendes Wissen oder ineffiziente Technologien zurückzuführen sei. Vielmehr seien Defizite in der Kommunikation zwischen Politik und Wissenschaft das Problem und führten außerdem zu gesellschaftlichen Spaltungen. Wissenschaftliche Erkenntnisse allein ergeben noch keinen politischen Handlungszwang, so Kähler. Vielmehr sollte Wissenschaft mögliche Handlungsoptionen und die damit verbundenen Folgen aufzeigen. Beide Seiten – Politik und Wissenschaft – müssten ihre Ziele, Methoden und Entscheidungsgrundlagen nachvollziehbar offenlegen, um das Vertrauen in politische Entscheidungen nicht zu gefährden. Andernfalls würden relevante Ziele verfehlt und erhebliche Kosten verursacht.

Auf dem Podium sprach Moderator und stellvertretender Sprecher des Forschungsfelds E+E, Prof. Dr. Pelz daran anschließend mit den Referenten Prof. Kähler und Prof. Kirsch sowie Nina Eisenhardt und Prof. Dr.-Ing. Jeanette Hussong. Dabei ging es auch um die Frage der Bedeutung von Grundlagenforschung gegenüber anwendungsorientierter Forschung, auch vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen. Prof. Pelz wollte wissen, ob eine Zuordnung zu Exzellenz und Relevanz, wie es kürzlich in einem FAZ-Artikel zu lesen war, sinnvoll ist.

Prof. Dr. Jeanette Hussong vom Profilthema Thermofluids and Interfacial Phenomena findet die Zuordnung von Grundlagen- und Anwendungsforschung in Kategorien wie Exzellenz und Relevanz problematisch, weil es dabei auch um die Finanzierung von Forschungsvorhaben ginge und um die Frage, was gefördert werden kann und was nicht bzw. woran geforscht werden darf und woran nicht. Und dieser Aspekt sei in Bezug auf die Grundlagenforschung eben ein ganz wesentlicher. Denn grundlagenorientierte Forschung habe eben kein konkretes Ziel und keine spezifische Anwendung im Blick. Vor diesem Hintergrund werde es immer wichtiger, klar und gut zu kommunizieren, wo und wie diese grundlegenden Erkenntnisse angewendet werden können. Da viele Forschungsvorhaben immer stärker von eingeworbenen Drittmitteln abhängen, steigt entsprechend der Druck, nützliche und schnelle Resultate zu liefern. Und dann wären wir wieder bei der Frage, ob Forschung frei und zweckungebunden sein könne.

Mehr Grundfinanzierung, weniger gezielte Forschungsförderung.

Nina Eisenhardt, Sprecherin für Hochschulen, Wissenschaft und künstliche Intelligenz im Hessischen Landtag sprach sich dafür aus, dass Forschung auch scheitern dürfen müsse. Leider sei dies bei Fördermaßnahmen, wie denen des BMBF und auch anderer Fördermittelgeber nicht vorgesehen. Sie hält es in diesem Zusammenhang auch für schwierig, sich auf gezielte Förderungen und Maßnahmen festzulegen. Ihrer Ansicht nach sei es konstruktiver, mehr in die Grundfinanzierung von Forschung zu investieren, anstatt sich auf gezielte Vorhaben zu fokussieren. Da wir heute noch nicht wissen was morgen sein wird, sei es unvernünftig auf einzelne Technologien zu setzen. Vielmehr sei es wichtig, in die Breite zu gehen und verschiedene Forschungen voranzutreiben. Es sei zwar wichtig und gut, an Wasserstoff zur Speicherung von Energie zu forschen. Jedoch dürften Forschungen an anderen Energiespeichern, wie beispielsweise Metalle und Eisen (Clean Circles) nicht vernachlässigt werden.

Prof. Kirsch plädierte in dieser Hinsicht für mehr Risikobereitschaft auf allen Seiten. Aus seiner Sicht sei die Industrie durchaus zu stärkerer Kooperation bereit, es müssten jedoch die passenden Rahmenbedingungen geschaffen werden. Die Industrie funktioniere anwendungsbasiert und profitorientiert. Wenn Kooperationen und Forschungsvorhaben durch bürokratische Hürden unmöglich erschwert werden, helfe das weder der Forschung noch der Gesellschaft. Da wären andere Länder wesentlich besser und fortschrittlicher.

Eisenhardt erklärte, dass die scharfe Trennung zwischen Grundlagen- und Anwendungsforschung in der bisherigen Form eigentlich nicht mehr aufrechtzuerhalten sei. Die Gesellschaft und ihre jeweiligen Systeme verändern sich zunehmend und in immer höherer Geschwindigkeit, was zu Unsicherheit und Spaltung führe und dadurch der Ruf nach Stabilität immer größer werde. Dies bedeute dann häufig Rückbesinnung auf (Alt-)Bekanntes und Bewährtes. Dementsprechend hoffe immer noch ein Großteil der Bevölkerung auf einfache Lösungen für die immer komplexer werdenden Herausforderungen.

Hier konstatierte Kähler, dass die Gesellschaft bei dringenden Herausforderungen zwar von der Anwendungsforschung am schnellsten profitiere, aber ohne Grundlagenforschung die großen Menschheitsprobleme nicht gelöst werden können. Auch lassen sich elementare Fragestellungen nicht allein von den Natur- oder Technikwissenschaften lösen. Wir leben und wirken Systemen, die alle auch soziale und ökonomische Dimensionen beinhalten und deshalb nicht nur in technischer Hinsicht betrachtet und bearbeitet werden können.

Die wissenschaftliche Forschung – so waren sich alle einig – forsche an den richtigen Stellen und den relevanten Fragestellungen, um die Probleme von morgen zu lösen. Es müsse jedoch auch um die Frage der Finanzierung von Forschungsvorhaben gehen und darum, die wissenschaftlichen Erkenntnisse mit gesellschaftlichem Wandel bzw. gesellschaftlichen Veränderungsprozessen zusammenzubringen. Dies sei aber eine gesellschaftliche und vor allem politische Aufgabe und könne nicht allein von der Wissenschaft übernommen werden. Hier bedarf es mehr Beratung, Vermittlung, Austausch und vor allem Diskurs.

In diesem Sinne freuen wir uns auf den nächsten E+E Diskurs im Lichtenberg-Haus.

Der E+E Diskurs im Lichtenberg-Haus

Beim E+E Diskurs werden Lessons-Learned geteilt, Methoden und Technologien kritisch diskutiert und der Mensch in den Mittelpunkt der Diskussion gestellt. Dabei folgt der E+E Diskurs unserem Selbstverständnis:

Think. Link. Do.