Unconscious Bias in Berufungsverfahren

Jede Person hat unbewusste Vorurteile (engl. unconscious bias), die sich aufgrund von vorherigen Erfahrungen oder auch des kulturellen Umfelds entwickeln und die in der Folge Denken und Handeln beeinflussen. Solche Denkmuster werden im Unterbewusstsein aktiviert, etwa wenn wir etwa mit begrenztem Wissen und unter Zeitdruck Entscheidungen treffen müssen. Sie beeinflussen auch, wie wir andere Personen wahrnehmen und beurteilen – auch wenn uns dies selbst nicht bewusst ist. Solche unbewussten Denkmuster können im Alltag durchaus hilfreich sein, aber auch gefährlich werden und zu Verzerrungseffekten und nicht-rationalen bzw. Fehlentscheidungen führen. In Personalauswahlprozessen, wie Berufungskommissionen, können Unconscious Bias zu systematischen Verzerrungseffekten und zur Diskriminierung und Benachteiligung von Bewerber:innen führen. Unconscious Bias können sich auf das Geschlecht von Personen (Gender Bias), aber auch andere Faktoren wie Alter, Herkunft oder Aussehen beziehen. Oft spielen auch Merkmalskombinationen eine Rolle (Intersektionalität). Unbewusste Vorurteile können dazu führen, dass Frauen in Berufungsverfahren benachteiligt werden, weil sie anders als Männer beurteilt werden. Sie wirken sich in allen Phasen des Berufungsverfahrens aus, von der Bewertung der eingereichten Unterlagen durch die Berufungskommission, über die Beurteilung der Vorträge und Bewerbungsgespräche bis hin zu den Gutachten und der Listenerstellung.

In der Literatur finden sich verschiedenste Typologien von Verzerrungseffekten. Beispiele, die im Kontext von Berufungskommissionen oft genannt werden, sind:

  • Ähnlichkeits-Bias (Similarity oder Affinity Bias): Wir bewerten solche Personen positiver, die uns ähnlich sind und mit denen wir uns deshalb identifizieren können.
  • Heiligenschein-Effekt (Halo Bias): Eine Person wird deshalb generell positiv beurteilt, weil sie in einem Bereich eine besondere Kompetenz oder positive Performanz mitbringt. Basierend auf der positiven Bewertung dieses Bereichs wird auf die Kompetenzen in anderen Bereichen geschlossen. Der Horn-Effekt beschreibt den entgegengesetzten Effekt, das Schließen von einer negativen Performanz in einem bestimmten auf andere Bereiche.
  • Autoritäts-Bias (Authority Bias): Wir haben die Tendenz, die Meinungen von Führungskräften oder als sachverständig wahrgenommen Personen stärker zu gewichten und uns davon beeinflussen zu lassen.
  • Gruppendenken (Group Thinking): Es gibt die Tendenz, in einer Gruppe einen Konsens finden zu wollen und deshalb die Meinung einzelner Gruppenmitglieder nicht angemessen zu berücksichtigen. Die Sichtweisen einzelner Mitglieder gehen verloren.

Als Gender Bias bezeichnet man eine Gruppe von Verzerrungseffekten, die aufgrund des Geschlechtes von Personen wirken. Personen werden dann stereotyp bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen zugeschrieben. Dies führt in beruflichen Kontexten häufig zur Benachteiligung und Diskriminierung von Frauen. In wissenschaftlichen Studien wurde nachgewiesen, dass identische Verhaltensweisen von Frauen und Männern unterschiedlich bewertet werden. Zudem werden Leistungen von Frauen häufiger kritisch hinterfragt. Häufig gibt es auch Vorstellungen eines idealtypischen Verlaufs einer Karriere in der Wissenschaft, der eher von Männern erfüllt wird.

  • Sensibilisierung von Berufungskommissionen: Um dem Wirken von Verzerrungseffekten vorzubeugen sollten die Mitglieder von Berufungskommissionen für das Thema sensibilisiert werden.
  • Strukturierung in Berufungsverfahren: Eine zentrale Bedeutung kommt der Anwendung von strukturierten Verfahren zu. So sollten Berufungskommissionen Kriterienkatalogen entwickeln und anwenden, an denen sich die Bewertung von Bewerber:innen systematisch und während des gesamtes Bewerbungsprozesses orientiert. Auch die Entwicklung einheitlicher Fragenkataloge ist in diesem Kontext bedeutsam.
  • Kritisches Hinterfragen: Ein wichtiges Instrument, um Bias entgegenzuwirken, ist das kritische Reflektieren von Bewertungen. Warum finde ich eine bestimmte Person gut oder schlecht? Mitglieder von Berufungskommissionen sollten nicht nur ihre eigenen Bewertungen kritisch hinterfragen, sondern gegenseitig auf ein mögliches Wirken von Unconscious Bias hinweisen. Oft kann man das Wirken von unbewussten Vorurteilen besser bei anderen Menschen als bei sich selbst erkennen.
  • Minimieren von Zeitdruck: Berufungskommissionen arbeiten oft unter großem Zeitdruck. Dies fördert das Auftreten von Verzerrungseffekten, weil schnelle Entscheidungen gefragt sind. Berufungskommissionen sollten ausreichend Zeit für verschiedene Prozessschritte und Pausen einplanen, damit Entscheidungen reflektiert werden können.
  • Sensibilisierung von Gutachter:innen: Externen Gutachten kommt in Berufungsverfahren eine zentrale Bedeutung zu. Berufungskommissionen sollten Gutachter:innen in geeigneter Weise auf das Thema Unconscious Bias in der Begutachtung hinweisen. Vorliegende Gutachten sollten kritisch mit Blick auf mögliche Verzerrungseffekte befragt werden.

Zum Thema Unconscious Bias in Berufungsverfahren gibt es mittlerweile eine Vielzahl von unterschiedlichen Materialien und frei zugänglichen Selbstlerntools. Hier finden Sie eine kommentierte Liste von ausgewählten Materialien zum Thema Unconscious Bias in Berufungskommissionen, darunter kurze einführende Videos, Broschüren, Websiten mit Materialsammlungen sowie Online-Trainings. [Download] (wird in neuem Tab geöffnet)

Die TU Darmstadt hat sich in ihrer Diversitätsstrategie zum Ziel gesetzt, zukünftig u.a. ein verbindliches Anti-Bias-Training für Mitglieder von Berufungskommissionen einzuführen. Aktuell stellt die TU Darmstadt ein digitales Selbstlerntool zur Verfügung, das allerdings keinen Fokus auf Berufungsverfahren legt.

Das Gleichstellungsbüro hat 2022 ein Jahresprogramm zum Thema Unconscious Bias organisiert. Eine Dokumentation mit weiterführenden Informationen findet sich hier.