„Wir brauchen alle Talente“

Neue Runde des Mentoring-Programms ProProfessur

28.04.2016 von

Mit einer Festveranstaltung und Diskussion im Gästehaus der TU startete in dieser Woche der vierte Durchgang des hessenweiten Projektes ProProfessur für 45 ausgewählte Postdoktorandinnen, Habilitandinnen, Privatdozentinnen und Juniorprofessorinnen. Davon sind je neun Frauen aus der TU Darmstadt und der Universität Gießen, sieben kommen von der Uni Marburg, sechs von der Uni Kassel und 14 von der Goethe-Universität Frankfurt.

Gut gelaunt beim Auftakt (v.li.): TU-Präsident Prof. Prömel, DAAD-Präsidentin Prof. Wintermantel, Projektleiterin PD Astrid Franzke und Dr. Uta Zybell, Frauenbeauftragte der TU Darmstadt. Bild: Claus Völker

Manchmal hilft einfach eine gesunde Portion Schlagfertigkeit und Selbstbewusstsein. Als Martina Klärle in einem Bewerbungsgespräch gefragt wurde, ob sie nicht irgendwann schwanger werden wolle, antwortet sie dem Fragesteller: „Selbst wenn, wäre ich früher wieder an meinem Arbeitsplatz als Sie nach einem Herzinfarkt.“ Eine pfiffige Reaktion, die an diesem Abend nicht nur heitere Zustimmung im Saal des Lichtenberghauses der TU Darmstadt auslöst, sondern auch Klärles damalige Gesprächspartner offensichtlich beeindruckte. Sie bekam die Stelle.

Die Ingenieurin hat inzwischen ihren Weg gemacht. Heute ist sie Professorin für Landmanagement an der Frankfurt University of Applied Sciences, Mutter, Dekanin und Trägerin mehrere renommierter Preise, darunter der Deutsche Nachhaltigkeitspreis. Bei der Auftaktveranstaltung für die neuer Runde von „ProProfesssur“, dem Mentoring-Programm aller elf hessischen Universitäten und Hochschulen für junge Wissenschaftlerinnen, rät sie: „Haben Sie Mut, bewerben Sie sich trotzdem, selbst wenn Sie meinen, noch nicht so weit zu sein. Es ist ein gutes Training.“ Klärle hat drei Anläufe bis zur ersehnten Professorinnenstelle genommen. „Folgen Sie ihrem Herzen, was man unbedingt tun will, erreicht man auch“, ist sie sicher.

Karriere-Hemmnisse wegräumen

Großer Andrang im Lichtenberghaus. Bild: Claus Völker
Großer Andrang im Lichtenberghaus. Bild: Claus Völker

Nur rund 22 Prozent aller Professuren an deutschen Hochschulen und Universitäten sind mit Frauen besetzt, dabei sind es heute mehr Studentinnen als Studenten, die erfolgreich ihr Studium abschließen und auch bei den Habilitationen holen die Wissenschaftlerinnen mit einem Anteil an 44 Prozent auf. Doch noch immer gibt es Aufstiegsbarrieren für Frauen in Führungspositionen der Wissenschaft. „ProProfessur“ soll helfen, diese beiseite zu räumen.

„Wir brauchen eine gezielte Frauenförderung und Personalentwicklung an den Universitäten und Hochschulen und wir brauchen Menschen, die die jungen Wissenschaftlerinnen begleiten und ihnen Türen öffnen“, sagt Dr. Uta Zybell, Gleichstellungsbeauftragte der TU Darmstadt. Gemeinsam mit Dr. Astrid Franzke von der Frankfurter Goethe-Universität hat sie ProProfessur vorangetrieben – bisher erfolgreich. Von den 178 Wissenschaftlerinnen, die am Programm seit 2008 teilnahmen, haben 65 einen Ruf erhalten.

Prof. Hans Jürgen Prömel betont, wie wichtig es auch ihm persönlich als Präsident der TU ist, „gute, motivierte und talentierte Professorinnen“ zu finden. Die Uni suche ganz aktiv nach ihnen und mittlerweile liege der Anteil von Frauen bei den Neuberufungen bei 27 Prozent, absolut bei den Professorenstellen bei 15 Prozent. Ein für eine Technische Universität beachtlicher Wert, so Prömel. Hessenweit nimmt sie damit einen Spitzenplatz ein und bei den TU9-Universitäten steht sie an zweiter Stelle hinter der RWTH Aachen.

„Unsicherheit muss reduziert werden“

Prof. Margret Wintermantel: „Frauen werden dringend für die Leistungsfähigkeit gebraucht." Bild: Claus Völker
Prof. Margret Wintermantel: „Frauen werden dringend für die Leistungsfähigkeit gebraucht." Bild: Claus Völker

Professorin Margret Wintermantel, Präsidentin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) und zuvor viele Jahre Präsidentin der Universität des Saarlandes, hat den „Korpsgeist unter männlichen Professoren erlebt, die Stereotypen und die Old Boys-Netzwerke“, wie sie es ausdrückt. Dennoch glaubt sie an schöne Aussichten für Frauen in der Wissenschaft und hat auch ihren Festvortrag so betitelt. Frauen, sagt Wintermantel, gehören zur notwendigen Diversität im Wissenschaftssystem.

Vor dem Hintergrund der Globalisierung, Internationalisierung, Migration und Vergreisung der Gesellschaft „brauchen wir alle Talente“. Es gehe nicht nur um Chancengleichheit. „Frauen werden dringend für die Leistungsfähigkeit gebraucht“, betont Wintermantel, die auch im Hochschulrat der TU aktiv ist. Sie kritisiert jedoch die Unterfinanzierung der Hochschulen. Es gebe zu wenige Professorenstellen und für Frauen überdies zu viele Kurzzeitverträge. „Die Unsicherheit der Karrierewege muss reduziert werden." Gleichstellung und Kinderbetreuung seien heute strategische Aufgaben, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren.

Dass viele skandinavische Länder da weit voraus sind, berichtet in der von Anja von Kanitz geleiteten Gesprächsrunde die TU-Professorin Ulrike A. Nuber. Die Biowissenschaftlerin war neun Jahre an der Universität im schwedischen Lund beschäftigt. Die Hierarchien dort sind flacher, „die Frauen selbstbewusst und viel sichtbarer in Führungspositionen“, erzählt sie. Die Kollegen ließen sich respektvoll und entspannt von Frauen leiten und auch der Umgang bei Schwangerschaft und Elternzeit sei viel gleichberechtigter. Vor der Rückkehr nach Deutschland habe sie sich ein wenig gefürchtet, um dann überrascht festzustellen, „wie modern die TU Darmstadt ist. Flache Strukturen gibt es auch hier und das tut gut“, betont Nuber.

Während Professorin Ursula Birsl, Politikwissenschaftlerin an der Philipps-Universität Marburg, die Strukturen an den meisten Hochschulen noch immer für feudal hält, weil Wissenschaftlerinnen abhängig seien von Vorgesetzten und der Fachkultur, glaubt Nuber, dass eine Änderung der Gesellschaft insgesamt nötig ist – „die Unis können das allein nicht schaffen“. Julika Griem, Anglistik-Professorin an der Goethe-Universität, rät ihren Geschlechtsgenossinnen, sich bei Teamarbeiten nicht die Hilfs- oder Organisationstätigkeiten aufdrücken zu lassen, „während die Jungs dann die guten Papers schreiben“. „Schauen Sie genau hin, womit Sie ihre Zeit verbringen.“