Evolution im Zeitraffer

TU-Professor Wolf-Dieter Fessner über den diesjährigen Chemie-Nobelpreis

03.12.2018

Am 10. Dezember, dem Todestag von Alfred Nobel, werden die Nobelpreise in Stockholm verliehen. Den Chemie-Nobelpreis nehmen in diesem Jahr die Enzymforscher Frances H. Arnold zur einen Hälfte sowie George P. Smith und Gregory P. Winter zur anderen Hälfte entgegen. TU-Chemie-Professor Wolf-Dieter Fessner erklärt im Interview, wofür die drei ausgezeichnet werden.

Professor Dr. Wolf-Dieter Fessner. Bild: Katrin Binner

Voraussetzung für den Erhalt eines Nobelpreises ist, eine bedeutende Entdeckung zum Wohle der Menschheit gemacht zu haben. Was ist das Herausragende an der Forschung von Frances H. Arnold und dem Duo George P. Smith / Gregory P. Winter?

Die drei Proteinforscher haben die Evolution, also das Innovationsprinzip der Natur, durch die Entwicklung geeigneter Methoden im Labor imitiert, um Eiweißmoleküle mit für den Menschen besonders nützlichen Eigenschaften herzustellen. Ähnlich wie seit Jahrtausenden durch Züchtung neue Hunderassen oder ertragreichere Pflanzensorten gewonnen wurden, können heute im Labor durch kontrollierte Evolution neue Enzyme oder Antikörper erzeugt werden, die als Katalysator chemische Reaktionen hocheffizient beschleunigen oder als Medikamente gegen Krankheiten wie Krebs eingesetzt werden. Die Zähmung der Evolution hilft uns also, fundamentale Probleme durch den gelenkten Zufall zu lösen. Nur dass im Vergleich zur Natur im Labor alles wie im Zeitraffer abläuft, also quasi eher Revolution als Evolution!

Professorin Arnold erhielt 2013 den Preis der Emanuel-Merck-Lectureship, der von der Firma Merck und der TU Darmstadt gemeinsam verliehen wird. Wofür wurde sie dabei ausgezeichnet? Hat diese Forschung nun auch zum Nobelpreis geführt?

Frances Arnold hatte bereits vor 25 Jahren erstmals anhand eines Waschmittelenzyms gezeigt, dass Proteine im Labor gezielt eine nicht-natürliche Eigenschaft erwerben können. Schnell wurde klar, dass sich durch die gelenkte Evolution im Reagenzglas die verschiedenartigsten Eigenschaften programmieren lassen. Ihre Technologie hat die Katalysatorentwicklung grundlegend umgekrempelt und wird heute weltweit in der akademischen und der industriellen Forschung genutzt. Gerade mit Enzymen lassen sich wertvolle chemische Produkte besonders umweltschonend, mit geringerem Energieverbrauch und ohne giftige Reagenzien herstellen, egal ob Pharmazeutika, Biotreibstoffe oder Kunststoffkomponenten. Mit ihrer fundamentalen Neuerung an der Nahtstelle zwischen Chemie und Biologie war Frances eine überzeugende Kandidatin für unsere interdisziplinäre Lectureship. Übrigens ist sie erst die fünfte Frau, die den Nobelpreis in Chemie erhält.

Professorin Frances H. Arnold bei der Emanuel-Merck-Lecture 2013 in Darmstadt zusammen mit Prof. Dr. Wolf-Dieter Fessner und Dr. Thomas Geelhaar. Bild: Jan Ehlers
Professorin Frances H. Arnold bei der Emanuel-Merck-Lecture 2013 in Darmstadt zusammen mit Prof. Dr. Wolf-Dieter Fessner und Dr. Thomas Geelhaar. Bild: Jan Ehlers

Auch Ihre Arbeitsgruppe an der TU beschäftigt sich mit Enzymen. Inwiefern beeinflussen die Entdeckungen der Nobelpreisträger Ihre tägliche Arbeit?

Wir entwickeln moderne Methoden der so genannten „Weißen Biotechnologie“ , also der Nutzung von Enzymen für die umweltverträgliche Synthese von Feinchemikalien und Wirkstoffen, unter anderem in den mit über zehn Millionen Euro geförderten EU-Verbundprojekten CarbaZymes und Tralaminol. Die Biokatalyse wird als Schlüsseltechnologie gesehen, mit einem hohen Potential zur globalen Verbesserung der Lebensbedingungen in unserer Gesellschaft und zur Sicherung von Ressourcen für zukünftige Generationen. Die Methode von Frances Arnold erlaubt uns eine enorme Beschleunigung der Arbeitsschritte und erhebliche Effizienzsteigerung auf der Suche nach dem besten Katalysator. Sie ist gekennzeichnet durch einfache Durchführung und kann von jedem schnell erlernt werden. Meist reichen bereits wenige Schritte zum Erfolg und oft erhalten wir überraschende Ergebnisse, die wir so nicht vorhergesagt hätten. Wir freuen uns daher ganz besonders über die Würdigung ihrer Pionierleistung durch den Nobelpreis!

Professor Dr. Wolf-Dieter Fessner ist seit 1998 Professor für Organische Chemie an der TU Darmstadt.