Was die Welt im Innersten zusammen hält

TU-Alumnus und Kernphysiker Christian Drischler forscht in Berkeley

2019/01/08 von

Wie lässt sich die Welt physikalisch erklären? Gelten Theorien sowohl für mikroskopische Teilchen als auch für makroskopische Sterne in unserem Universum? Wie beeinflussen sich physikalische Objekte wechselseitig? Bei solchen Fragen wissen auch Laien: viel grundlegender kann man nicht forschen. Die Suche nach Antworten hat Christian Drischler von der TU Darmstadt bis nach Berkeley geführt.

An der TU studiert und promoviert, jetzt Postdoc in Berkeley: Christian Drischler. Bild: privat
An der TU studiert und promoviert, jetzt Postdoc in Berkeley: Christian Drischler. Bild: privat

In der Physik werden vier Grundkräfte unterschieden, mit deren Hilfe man alle bekannten physikalischen Prozesse beschreiben kann: Gravitation, Elektromagnetische Wechselwirkung, Schwache Wechselwirkung und Starke Wechselwirkung. Eine davon – die Starke Wechselwirkung – ist das Forschungsfeld von Christian Drischler. Mit ihrer Hilfe lässt sich der innere Zusammenhalt von Hadronen und Atomkernen beschreiben. Seit einem Jahr arbeitet der Wissenschaftler, der an der TU studiert und promoviert hat, im Physik-Department an der renommierten Universität in Berkeley als Postdoktorand.

Prägende Jahre an der TU Darmstadt

Die Zusammenarbeit mit den neuen Kollegen empfand der 28-Jährige von Anfang an als sehr persönlich und kollegial. „In der Regel sprechen sich alle an der Universität mit Vornamen an. Auch das Verhältnis von Studenten zu Lehrkräften ist geringer, als ich es bisher kannte.“ Neben ihm besteht die Arbeitsgruppe, die von Professor Wick Haxton geleitet wird, aus einem weiteren Postdoktoranden und zwei Studenten. Mit dem Team teilt Drischler die Leidenschaft für nukleare Astrophysik. Konkret forschen die Wissenschaftler an den Anziehungskräften zwischen Hadronen (Teilchen aus dem Atomkern, zum Beispiel Neutronen und Protonen).

Diese lassen sich mit der Quantenchromodynamik oder, aus Gründen der Vereinfachung, mit der effektiven Feldtheorie beschreiben. Hadronen bestehen aus Quarks und Gluonen, die miteinander interagieren. Einzelne Quarks lassen sich nicht abspalten, jedoch können Quarks und Gluonen so interagieren, dass neue Hadronen entstehen. Aus diesen, auch chiral genannten, Wechselwirkungen können dann bestimmte Eigenschaften abgeleitet werden – sowohl auf kleinster Ebene, bei Atomkernen, als auch im Großen, bei Neutronensternen. „Neutronensterne kann man auch als extrem überschwere Kerne betrachten. Aufgrund ihrer extremen Eigenschaften sind sie einzigartige Labore für theoretische Physiker, die anderweitig nicht realisierbar wären“, erklärt der Kernphysiker.

Mit Neutronensternmaterie hatte sich Drischler bereits während seiner Promotion an der TU Darmstadt auseinandergesetzt, die vom Europäischen Forschungsrat (ERC Grant STRONGINT) und dem Sonderforschungsbereich (SFB) 1245 gefördert wurde. Für seine Dissertation hat er eine neue Monte-Carlo-Methode zur Berechnung von Kernmaterie entwickelt, erklärt sein Doktorvater, Professor Achim Schwenk: „Dies ist ein Meilenstein und stellt den neuen State-of-the-art für Kernmaterierechnungen basierend auf chiralen Wechselwirkungen dar, was sowohl für die Kernstruktur als auch für das Verständnis von Materie in der Astrophysik sehr bedeutend ist.”

Dafür erhielt Drischler vor Kurzem den Gerhard-Herzberg-Forschungspreis für die beste Doktorarbeit des Jahres. Schon für die Bachelor- und Masterthesis hatte Christian Drischler bei Professor Schwenk gearbeitet – prägende Jahre, wie er sagt, auch „wenn ich sicherlich das Team mit Fragen zum Wahnsinn getrieben habe“.

Eine nächtliche Nachricht

Der Wechsel in die USA erfolgte nahtlos – und zufällig. Als sich die Doktorandenzeit dem Ende zuneigte, verschickte Drischler einige wenige Bewerbungen, nicht jedoch nach Berkeley. Der Plan war, sich zunächst auf den Abschluss seiner Arbeit zu konzentrieren. Eines Nachts erreichte ihn eine Nachricht von Wick Haxton vom Physik-Department in Berkeley. Drischler befinde sich auf seiner inneren Auswahlliste für eine Postdoc-Stelle. Ob er quasi sofort ein Vorstellungsgespräch per Videokonferenz in Form eines wissenschaftlichen Talks durchführen und einige Fragen beantworten könne?

Drischler konnte, und binnen einer Woche hatte er eine Zusage. Seine Bilanz nach einem Jahr wissenschaftlicher Arbeit in Berkeley fällt mehr als positiv aus. Und auch die Frage, wie seine deutsche Ausbildung sich in das elitäre Umfeld einreihen würde, kann er inzwischen beantworten: Die TU Darmstadt hat ihm das geeignete Rüstzeug gegeben, um in dem wissenschaftlich hochkarätigen Umfeld zu bestehen. Wohin der Weg von Christian Drischler noch führt, werden die Zukunft und wohl auch der Zufall zeigen, Forschung und Lehre will er aber treu bleiben.

Austausch und Weiterentwicklung

Das Campusleben in Berkeley beschreibt Drischler als „sehr intensiv und interaktiv“. Der geschichtsträchtige Ort in Kalifornien, der nicht nur durch Forschung, sondern auch Kunst und Kultur geprägt ist, führt Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus der ganzen Welt zusammen. Auf Zusammenhalt, Weiterentwicklung und Kommunikation wird großen Wert gelegt, erzählt Drischler. Dafür sorgt eigens eine Institution, die die internationalen Forschenden nicht nur in allen Lebenslagen unterstützt, sondern auch Freizeitaktivitäten organisiert und den wissenschaftlichen und fächerübergreifenden Austausch fördert.

Gespräche mit einem Nobelpreisträger in der Teeküche sind keine Seltenheit, und auch die jährlich stattfindenden Abschlusszeremonien, bei dem die Professorinnen und Professoren in speziellen Roben auftreten, haben Eindruck bei dem TU-Alumnus hinterlassen: „Eine ganz große Show!“ Durch den produktiven, inspirierenden und immerwährenden Austausch übe Berkeley eine magische Kraft aus, sich nahezu ununterbrochen mit Wissenschaft zu beschäftigen, fasst Drischler zusammen. „Manchmal glaube ich, jede in der Wohnung verbrachte Sekunde ist nicht optimal genutzt.“