Mit Mathematik den Krebs bekämpfen

Athene Young Investigator-Programm fördert Wissenschaftlerin Pia Domschke

05.06.2019 von

Die Numerikerin Pia Domschke will mit Modellierung und Simulation bei der Therapie von Tumoren helfen. Domschke möchte mit ihrer Arbeit dazu beitragen, neue Heilungswege zu finden. Das TU-Förderprogramm Athene Young Investigator unterstützt die 38-Jährige Wissenschaftlerin am Fachbereich Mathematik dabei.

Dr. Pia Domschke.

Der Aufenthalt in Schottland war so eine Art Schlüsselerlebnis. Seit ihrem Forschungsjahr an der University of Dundee wusste Pia Domschke, wohin der Weg führen würde – in die mathematische Biologie. Bei Professor Mark A. J. Chaplain, einer führenden Kapazität auf diesem Gebiet, hatte sie erlebt, dass sich mit Mathematik auch Krebs bekämpfen lässt. Eine sehr lebensnahe Anwendung, von der die Numerikerin seither fasziniert ist.

Ihre Dissertation hatte die heute 38-Jährige an der TU Darmstadt über die mathematische Modellierung und Simulation von Gasnetzwerken geschrieben und auch der DFG-Sonderforschungsbereich Transregio 154, in dem sie als Projektleiterin tätig ist, befasst sich mit dieser ökonomisch ausgerichteten Thematik. Doch die Möglichkeit, mit ihrem Fachwissen vielleicht Therapien für krebskranke Menschen entwickeln zu können, ließ die wissenschaftliche Mitarbeiterin nicht mehr los. Mit ihrer Auswahl für das Athene Young Investigator-Programm der TU Darmstadt kann sich Pia Domschke nun wieder mehr auf diesen Forschungszweig konzentrieren.

Fokus auf spezielle Tumore

Die Zahl der Krebsneuerkrankungen steigt in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich an. Allein im Jahr 2018 sind in Deutschland über eine halbe Million Menschen neu an Krebs erkrankt. Pia Domschke will mit ihrer Arbeit dazu beitragen, neue Heilungswege zu finden. Spezialisiert hat sie sich auf solide Tumore und ihre Ausbreitung im Gewebe. Die biologischen Prozesse, sagt sie, „lassen sich auf Gewebeebene mathematisch modellieren.“ Solche Modelle können helfen, Krankheitsmechanismen und Strukturen besser zu verstehen. Ihr Ziel ist unter anderem eine höhere Detailtreue als bisherige Gewebemodelle.

Um sich ausbreiten zu können, benötigen Tumorzellen Platz. Dazu sondern sie Enzyme ab, die auf Rezeptoren an der Zelloberfläche andocken. Die gebundenen Enzyme sind dann in der Lage, Hindernisse wie etwa Fasern in der Umgebung der Zelle aufzubrechen und so Raum für weitere Ausbreitung zu schaffen. Gleichzeitig werden von der Zelle Hemmstoffe produziert, die auf den Enzymen andocken und die Reaktion blockieren. Dieser Prozess spielt sich so auch in gesundem Gewebe ab, dort ist die Produktion von Enzymen und Hemmstoffen jedoch im Gleichgewicht. Bei Tumorzellen ist das System gestört, und sie produzieren wesentlich mehr Enzyme oder weniger Hemmstoffe. „Hier kann man ansetzen und beispielsweise die Produktion der Enzyme blockieren oder mehr Hemmstoffe in die Umgebung der Zelle einschleusen“, sagt die Wissenschaftlerin. Weitere Möglichkeiten wären, die Anzahl der Rezeptoren zu reduzieren oder die Rezeptoren mit anderen, unwirksamen Enzymen zu blockieren.

Neue Raum-Zeit-Struktur-Modelle

Wie sich die Prozesse durch eine steigende oder verringerte Zahl an Enzymen, Hemmstoffen oder Rezeptoren verändern, lässt sich mit Hilfe partieller Differentialgleichungen beschreiben. Pia Domschke hat dafür neue Raum-Zeit-Struktur-Modelle entwickelt, die Prozesse, die eigentlich auf der zellulären Ebene ablaufen, detailliert auf der Gewebeebene repräsentieren können. Damit lässt sich unter anderem zeigen „wie viele Zellen zu welcher Zeit und an welchem Ort wie viele Enzyme gebunden haben. Das ist neu“, betont sie.

Die Tumorausbreitung und daraus ableitbare individuelle Therapien will die Mathematikerin am Computer realistisch simulieren und dafür auch mit Medizinern und Biologen kooperieren. Die vielversprechendsten Therapieansätze könnten ausgewählt und experimentell umgesetzt werden. Die 38-Jährige will die Athene Young Investigator-Förderung dafür nutzen, ein Netzwerk mit Krebsforschern aufzubauen.

In den USA Weichen gestellt

Ihr langfristiges Karriereziel ist die Berufung auf einen Lehrstuhl. Seit dem Sommersemester 2019 hält sie eigene Vorlesungen zum Thema Modellierung und Numerik. Für Mathematik hat sich die gebürtige Dreieicherin schon früh interessiert. In der Schule war sie immer unter den Besten in Mathe. „Ich habe nie viel lernen müssen, sondern alles auf Anhieb verstanden.“ In der Oberstufe verbrachte sie zwei Jahre hintereinander mehrere Wochen in den USA. Das Programm an der Miami University in Oxford Ohio sollte Schüler auf das Leben und Studium an einer Universität vorbereiten. Sie kam auf den Geschmack: Der internationale Studiengang „Mathematics with Computer Science“ an der TU Darmstadt erschien ihr nach dem Abitur daher wie maßgeschneidert.

An der Uni wurde die Mathematik dann erstmals auch für sie anspruchsvoller. „Ich musste mich daran gewöhnen, dass ich nicht immer alles unmittelbar verstanden habe“, erinnert sie sich. Ihr Diplom schloss Pia Domschke jedenfalls mit der Note sehr gut ab, die Promotion mit Auszeichnung. 2011 erhielt sie den Ruth-Moufang-Preis vom Fachbereich Mathematik der TU für ihre ausgezeichnete Dissertation. „Der Athene Young Investigator ist mein Sprungbrett zur Professur“, ist sich die zweifache Mutter sicher.