Virtuelle Sensoren blicken tief ins Fahrzeug

TU-Ausgründung COMPREDICT schreibt Erfolgsgeschichte

01.09.2021

COMPREDICT zählt zu den Start-ups der TU Darmstadt mit einer besonders engen und langjährigen Beziehung zum TU-Innovations- und Gründungszentrum HIGHEST. Ende 2016 aus der Universität ausgegründet, hat das Unternehmen inzwischen Erfolgsgeschichte geschrieben – mit einer Software, die den Lebenszyklus von Fahrzeugen nachhaltiger gestaltet, ihren ökologischen Fußabdruck minimiert und eine maßgeschneiderte Entwicklung zulässt. Worauf kommt es an im Start-up-Business? Das erklärt Mitgründer Stéphane Foulard in diesem Interview.

Dr. Rafael Fietzek (links) und Dr. Stéphane Foulard gründeten COMPREDICT 2016 in Darmstadt.

Herr Foulard, was ist das Besondere an COMPREDICT?

Der Kern unserer Lösung sind Virtuelle Sensoren. Das sind Algorithmen, die die Signale der Hardware-Sensoren des Fahrzeugs für tiefere Auswertungen intelligent verknüpfen. Wir nutzen also Daten und Informationen, die uns ein Fahrzeug ohnehin liefert und generieren hieraus neue Informationen, die bislang nicht messbar sind oder deren Messung bislang zu teuer oder aufwändig war – zum Beispiel das Verhalten einer Komponente im realen Betrieb, ihren aktuellen Zustand oder den Verschleiß.

Was hat Sie seinerzeit motiviert, ins Software-Geschäft einzusteigen?

Mein Co-Gründer Rafael Fietzek hat zum Thema Prüfstände promoviert und wollte ursprünglich mit mir im Hardware-Bereich gründen. Aber da hat man immer das Henne-Ei-Problem: Man braucht Geld, um einen Prototyp zu bauen, aber das Geld bekommt man oft nur, wenn man schon einen Prototyp hat. Mit einem Geschäftsmodell, das auf Software basiert, kann man leichter durchstarten. Als ich 2015 die Ergebnisse meiner Dissertation zum Online-Lastmanagement publiziert habe, waren Digitalisierung und Industrie 4.0 zu Megathemen geworden. Und die Frage kam auf, wie und welche Mehrwerte man aus Fahrzeugdaten ziehen kann. Potenzielle Kunden zeigten Interesse und es zeichnete sich ein Markt ab. Das gab den Ausschlag und wir haben die Chance ergriffen.

Man braucht Geld, um einen Prototyp zu bauen, aber das Geld bekommt man oft nur, wenn man schon einen Prototyp hat.

Dr. Stéphane Foulard
Dr. Stéphane Foulard

Worauf kommt es an, wenn man ein neues Geschäftsmodell aufbaut?

Man muss es zum richtigen Zeitpunkt tun und sein Angebot sehr klar strukturieren. Am Anfang wollten wir viel zu viel. Das geht den meisten Start-ups so. Man will alles machen, am liebsten gleichzeitig. Man muss sich aber entscheiden. Für uns haben sich am Ende zwei Marktsegmente herauskristallisiert, in denen wir jetzt skalieren wollen. Zum einen OEMs, also Erstausrüster, die mit unserer Software jedes (Serien)-Fahrzeug zum Entwicklungs- und Testfahrzeug machen können. Zum anderen Flottenbetreiber, die mittels der virtuellen Sensoren ihre Flotte optimal managen und warten können.

Die Skalierung ist für viele Start-ups eine große Herausforderung. Welche Strategie haben Sie verfolgt?

Statt auf organisches Wachstum zu setzen haben wir zum Ende unseres EXIST-Stipendiums sehr schnell die erste Finanzierungsrunde forciert und zunächst unsere Produktentwicklung abgesichert, vor allem über Kooperationen mit Industriepartnern. Seit Ende 2019 haben wir ein verkaufsfähiges Produkt, mit dem wir – wegen der Corona-Krise etwas verzögert – jetzt am Markt durchstarten können. Jetzt kommt es darauf an, andere Investoren zu gewinnen, die uns bei der weiteren Geschäftsentwicklung und Skalierung unterstützen. Gleichzeitig müssen wir natürlich unsere Software kontinuierlich weiterentwickeln.

Wie schafft man es, dass nicht nur das Unternehmen expandiert, sondern auch das Team zusammenwächst?

Wir stellen die Menschen ein, die die nötigen Hard Skills mitbringen. Aber sie müssen auch zur Unternehmenskultur passen. Das war für mich von Anfang an wichtig: Wenn man als Unternehmen wächst, braucht man gemeinsame Werte, in denen alle sich wiederfinden, die man gemeinsam lebt und auch immer wieder hinterfragt. Wir sind ein Feedback-Unternehmen. Die Produkte und das Geschäft müssen stimmen, aber die Soft Skills eines Unternehmens sind genauso wichtig – Zeit für Weiterbildung und gemeinsame Reflexion und natürlich eine gute Fehlerkultur.

Wir sind ein Feedback-Unternehmen.

Was würden Sie anderen Gründerinnen und Gründern mit auf den Weg geben?

Ihr braucht eine gute Idee, ein gutes Timing, einen guten Spirit, ein gutes Team und gute Netzwerke. Risikoaffinität und Hartnäckigkeit sind wichtig und vor allem Resilienz. Man muss lernen, sich nicht um alles Sorgen zu machen. Und nicht zuletzt gehört zum Erfolg auch immer das eine Quäntchen Glück.

Das Interview führte Dr. Jutta Witte

Infobox

Die COMPREDICT GmbH ist aus den Forschungsarbeiten der beiden Maschinenbauingenieure Stéphane Foulard und Rafael Fietzek am Institut für Mechatronische Systeme (IMS) der TU Darmstadt hervorgegangen. Das Unternehmen wurde auf Basis eines Patents der TU Darmstadt (Intellectual Property) entwickelt.

Das Start-up bietet mit seinen inzwischen 30 Mitarbeitenden eine Software as a Service-Lösung an, die es ermöglicht, Fahrzeuge ohne zusätzliche Hardware maßgeschneidert zu entwickeln und Fahrzeugflotten in Echtzeit zu überwachen. Sie ist skalierbar für Flotten von mehr als 10.000 Fahrzeugen und kommt bereits in mehr als 11.000 Fahrzeugen mit zwei bis 18 Rädern, in Zügen und Industrieanwendungen zum Einsatz. SEK VENTURES, Michelin und THI Investments haben in Compredict investiert.

Das Innovations- und Gründungszentrum HIGHEST der TU Darmstadt hat die Gründer von 2014 bis 2018 intensiv begleitet – unter anderem bei der Ausarbeitung des EXIST-Antrags, beim IP-Management und unterstützt von Beraterinnen und Beratern aus dem HIGHEST-Netzwerk. (jw)

Meilensteine

  • 07/2016 bis 06/2017: EXIST-Gründerstipendium
  • 12/2016: Gründung in Darmstadt
  • 2017: Hauptpreis und Sonderpreis Big Data beim BMWi- Gründerpreis für digitale Innovation
  • 2018: Teilnahme am German Accelarator Tech sowie am Accelerator-Programm Plug and Play Mobility
  • 2019: Gewinner der New Mobility World (NMW) Lab Open Challenge
  • 2020: Business Insider: Top 100 list of fastest growing start-ups
  • 2021: Gewinner der DB Mindbox
  • 2018/2019/2021: Teilnahme am Start-up & Innovation Day der TU Darmstadt