Blick ins Weltall

Im Fachbereich Physik der TU Darmstadt bereichert ein Observatorium die Lehre

29.09.2021 von

Der Weg zu den Sternen führt durch eine unauffällige Tür in der Täfelung des Hörsaals im Uhrturmgebäude und dann weiter über steile Gittertreppen bis zu einer Luke im Dach. Wer diese durchklettert hat, steht vor dem Observatorium der TU, das umgeben ist von dem schützenden Glaskubus der Uhrturmspitze. Vier ferngesteuerte Teleskope blicken von hier aus in den Himmel und beobachten die Sonne bei Tag und Sternencluster, Nebel und Galaxien bei Nacht. Die Bilder und Daten, die aufgenommen werden, fließen ein in Praktika und Lehre des Fachbereichs Physik.

Der offizielle Name „TURM Observatory“ bezeichnet einerseits den Ort, an dem das Observatorium aufgestellt ist, andererseits steht er als Abkürzung für „TU Darmstadt Remote Observatory“ und damit für den Arbeitsmodus. Die Instrumente lassen sich ferngesteuert bedienen und übertragen ihre Bilder und Daten an jeden beliebigen Ort. Professor Robert Roth vom Institut für Kernphysik, hat sein Laptop mit dem Observatorium verbunden und projiziert Live-Bilder per Beamer in den Uhrturm-Hörsaal. Zu sehen ist die Oberfläche der Sonne im Licht der dort vorhandenen Kalzium-Ionen, das gute Rückschlüsse auf die Magnetfeldaktivität der Sonne zulässt und deutlich zeigt, welche Regionen besonders aktiv sind.

Die Unruhe der Erdatmosphäre, das sogenannte „Seeing“, lässt das Bild der Sonne an der Hörsaalwand wabern. Ab und zu ziehen irdische Wolken vorbei und verdunkeln die Sicht. Mit solchen Störungen lässt sich umgehen: „Typischerweise machen wir einen Film und wählen im Nachhinein die besten Bilder aus“, erklärt Roth. Die Montierung, auf der die vier Teleskope parallel angebracht sind, steuert automatisch auf Eingabe jedes gewünschte astronomische Objekt an, fixiert es und schwenkt dann langsam mit, damit das Beobachtungsobjekt nicht durch die Erddrehung aus dem Sichtfeld rutscht.

Vier Teleskope – vier Aufgaben

Die vier Teleskope – zur Zeit im Sommer-Setup – haben unterschiedliche Aufgaben, zwei beobachten die Sonne im Licht der Wasserstoff-Alpha-Linie und eines im Licht der Kalzium-K-Linie. Das vierte bildet astronomische Objekte im Weißlicht ab, also im gesamten für das menschliche Auge sichtbaren Spektralbereich. Daraus können die Beobachtenden viele Rückschlüsse ziehen.

Die emittierte Kalzium-Linie, die aus einer Schicht knapp oberhalb der Photosphäre der Sonne stammt, gibt zum Beispiel Informationen über Magnetfelder. Aufnahmen der Wasserstoff-Alpha-Linie zeigen spektakuläre Protuberanzen und Koronale Massenauswürfe, die von der Sonnenoberfläche in den Weltraum hinausgeschleudert werden. „Da kann eine sehr merkliche Dynamik dahinterstecken“, erläutert Roth. „Es gibt Strukturen, die kommen und gehen innerhalb von fünf Minuten.“ Die Aktivität der Sonne schwankt allerdings zyklisch und hat im vergangenen Jahr ein Minimum durchschritten. „So richtig viel los ist diesen Sommer auch noch nicht.“

Physikalische Grundlagen erlebbar machen

Spektakulärer war da schon die partielle Sonnenfinsternis im Juni, die der Fachbereich für Studierende über Zoom und Twitch streamte und so Astronomie greifbar machte. Denn darum geht es am Observatorium: die Bereicherung der Lehre und darum, physikalische Grundlagen nicht nur in der Theorie zu vermitteln, sondern auch über Beobachtung „erlebbar zu machen“, sagt Roth.

Dieser Gedanke gab den Ausschlag für ihn und seinen Kollegen Dr. Franco Laeri vom Institut für Angewandte Physik, den Bau des Observatoriums anzustoßen, sobald die Ausbaupläne für den Uhrturm bekannt wurden. Dank Spenden wurde aus dem Observatorium Realität, und seit 2020 ist es in Betrieb. Dazu gehören Tag- und Nachtbeobachtungen – letztere „die anspruchsvollste Art zu fotografieren, weil man leuchtende Punkte scharf abbilden muss“, sagt Roth – mit Belichtungszeiten bis zu vielen Minuten. Im Winter steht die Nachtbeobachtung im Mittelpunkt, weil die Sonne nicht mehr hoch genug steigt, um über der Kante der Uhrturmhaube sichtbar zu sein. Heraus kommen spektakuläre Bilder aus dem Weltall, die der Fachbereich auf der TURM-Webseite zeigt.

Zweites Observatorium in Spanien

Der Standort mitten in der Stadt ist nicht ideal – Lichtverschmutzung und Luftturbulenzen, die über aufgeheizten Dächern entstehen, schränken die Möglichkeiten für Nachtbeobachtungen ein. Daher hat der Fachbereich ein zweites ferngesteuertes Observatorium in der spanischen Extremadura aufgebaut. Unter dunklem Himmel mit vielen klaren Nächten liefern die dortigen Teleskope faszinierende Einblick in die Tiefen des Universums. Die Instrumente lassen sich für interaktive Beobachtungen, zum Beispiel die „Digital Star Parties“ des Fachbereichs, genauso nutzen wie die Teleskope auf dem Uhrturm – obwohl sie mehr als 2000 Kilometer entfernt stehen. Darüber hinaus ist ein vollständig automatisierter Betrieb möglich, bei dem die Instrumente die ganze Nacht hindurch den Himmel beobachten und kontinuierlich Bilder nach einem von den Studierenden ausgearbeiteten Beobachtungsplan aufnehmen.

„Große Faszination spürbar“

Die schönen Bilder sind nicht nur etwas fürs Auge. Dahinter stecken quantitative Daten, mit denen die Studierenden lernen, wissenschaftliche Rückschlüsse zu ziehen: Periodische Variationen der Helligkeit von Sternen verraten viel über die dynamischen Mechanismen in deren Innerem. Einbrüche der Helligkeit bei Bedeckungen in Doppelsternsystemen erlauben die Bestimmung von Bahnparametern. Lichtkurven enthüllen das Vorhandensein von Exoplaneten, sowie Größe und Entfernung von ihrem Zentralgestirn. Linien im Spektrogramm eines Sterns zeigen, welche chemischen Elemente auf seiner Oberfläche vorhanden sind. „Diese Beobachtungen finden in Lehrveranstaltungen und Praktika statt, sind aber gleichzeitig schon recht nah an der Forschung“, sagt Roth. „Unsere Lichtkurven von Exoplaneten kann man zum Beispiel nutzen, um zukünftigen Forschungsmissionen vorzubereiten.“ Studierende können die aufgenommenen Bilder und Daten verwerten, das Observatorium selbst bedienen und in ihre Arbeiten einbauen. „Bei vielen Studierenden ist eine große Faszination spürbar“, sagt Roth.

Der Fachbereich Physik hat ein starkes Programm in Forschung und Lehre im Bereich der theoretischen und nuklearen Astrophysik. Aktivitäten in beobachtender Astrophysik und Astronomie fehlten bislang, so Roth. „Mit dem TURM-Observatorium füllen wir diese Lücke.“

Standort Observatorium

Der Uhrturm, auf dessen Spitze heute das Observatorium steht, wurde 1904 als Neubau zwischen den Institutsgebäuden in der Hochschulstraße nach einem Entwurf von Friedrich Pützer fertiggestellt. In der Turmhaube befand sich mit einer Sendestation für Nachrichtentechnik damalige High-Tech, im Uhrturmgebäude der Hörsaal des weltweit ersten Lehrstuhls für Elektrotechnik. Hier lehrte Erasmus Kittler, einer der Pioniere auf diesem Gebiet. In der Darmstädter Brandnacht am 11. September 1944 wurde der Turm weitgehend zerstört, wie auch große Teile der umgebenden Bauten, die nach dem Krieg zügig hergerichtet wurden, da es der Universität an Raum mangelte. In den letzten Jahren wurde die Baugeschichte weitergeschrieben. Zentraler Ideengeber für die Sanierung des Gebäudes und die neue Uhrturmspitze war TU-Kanzler Manfred Efinger, der sich für das Wagnis eines modernen Gebäudeabschlusses statt einer Rekonstruktion einsetzte. Im Zusammenhang mit der Sanierung entstand die Idee, auf dem Turmstumpf eine astronomische Beobachtungsplattform des Fachbereichs Physik einzurichten. Umschlossen wird sie von der neuen, modernen Turmhaube: einem nach oben offenen, drei Meter hohen Kubus aus Stahl und künstlerisch gestaltetem, transluzentem Glas.

TURM Observatory