Die Wahrnehmung zählt
Márcia Moser leitet die neue Antidiskriminierungsstelle der TU Darmstadt
2023/04/05 von Astrid Ludwig
Mit der im Sommer 2022 eingerichteten Antidiskriminierungsstelle will die TU Darmstadt ein Zeichen setzen für einen gleichberechtigten, respektvollen Umgang miteinander im Universitätsleben. Leiterin der neuen Anlaufstelle ist Márcia Moser, die eine entsprechende Struktur in allen Bereichen der TU verankern soll und anfangs vor allem Studierende beraten wird.
Márcia Moser ist ein Profi, wenn es um Gleichberechtigung an hessischen Hochschulen geht. Die TU Darmstadt ist die vierte Universität, an der die Gender-Expertin und Religionswissenschaftlerin ihre Erfahrungen einbringen kann. Zuvor war Moser bereits an der Universität Marburg tätig, hat im Gleichstellungsreferat der Uni Gießen gearbeitet und war über vier Jahre lang Referentin für „Diversity Policies“ an der Frankfurter Goethe-Universität. Nach Darmstadt kam sie, „weil ich den Eindruck habe, dass das Interesse und die Aufgeschlossenheit, sich weiterzuentwickeln, an der TU sehr groß sind“, erklärt die 43-Jährige.
Grundlage ihrer Arbeit ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz von 2006, das die TU Darmstadt um eigene Richtlinien gegen Diskriminierung auf alle Hochschulgruppen erweitert hat und das auch für Studierende, Gäste und Angehörige gilt – etwa Lehrbeauftrage oder externe Firmen, die für die Universität tätig sind. Laut hessischem Hochschulgesetz sind die Hochschulen verpflichtet, Beschwerdestellen einzurichten und Ansprechpartner:innen zu benennen, an die sich von Diskriminierung Betroffene wenden können.
Die Umsetzung handhaben die Hochschulen ganz unterschiedlich, hat Márcia Moser erlebt. Teils wurden die Ansprechpartner:innen bestehenden Strukturen zugeordnet, oder diese wurden erweitert. „Die TU Darmstadt jedoch hat sich beim Thema Antidiskriminierung positioniert und sich entschieden, eine eigene Stelle einzurichten“, lobt sie. Seit Juni 2022 ist es nun ihre Aufgabe, die uniinterne Struktur dafür zu erarbeiten. Das hat sie gereizt: „Ich kann mich mit meinen Ideen und meiner Expertise einbringen“, sagt Moser.
Die TU Darmstadt jedoch hat sich beim Thema Antidiskriminierung positioniert
Vertrauliche Beratung
Es gibt viele Engagierte, die sie seit dem Antritt ihrer neuen Stelle unterstützen. Dazu gehören die Gleichstellungbeauftragte Uta Zybell und ihr Team, der Vizepräsident für Studium, Lehre und Diversität, Heribert Warzecha, sowie das Team des ebenfalls neu eingerichteten Diversity Education Office oder auch die Kolleginnen der Sozial- und Konfliktberatung der TU. Die Antidiskriminierungsstelle der Universität, betont Moser, arbeitet jedoch unabhängig, die Beratung ist vertraulich. Das ist wichtig für ihre Arbeit und vor allem für die Betroffenen, „damit sie wissen, sie können sich an eine unabhängige Person wenden“.
Weil sie in der Anfangsphase viel mit Fragen der künftigen Organisation und Struktur der Anlaufstelle befasst ist, konzentriert sich Márcia Moser bei der Beratung zunächst auf die Sorgen von Studierenden. Um die kümmerte sich bisher das Beschwerde- und Verbesserungsmanagement der TU. Seit Oktober nun landen Anfragen von Studierenden bei ihr. Diskriminierungserfahrungen belasten die Gesundheit und auch die Leistungsfähigkeit. Moser nimmt jede Beschwerde, jedes Gespräch daher sehr ernst. „Ich versuche die Situation gemeinsam mit den Betroffenen zu klären“, betont sie.
Diskriminierungen können rassistisch motiviert sein, mit der Religionszugehörigkeit, Weltanschauung, dem Geschlecht, der sexuellen Orientierung, mit Alter, Familienstand oder sozialer Herkunft zusammenhängen. Die TU ist mit ihrer Ausrichtung auf Ingenieur-, technische und naturwissenschaftliche Studiengänge noch immer eine zumeist männlich geprägte Domäne. Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts und sexualisierte Belästigung sind ein Thema, sagt Moser.
„Wichtig ist die Wahrnehmung der Betroffenen“
Ein großer Teil der Beschwerden, mit denen sie bisher befasst war, bewege sich jedoch „in einem Feld, wo Betroffene diffus ihr Unwohlsein artikulieren und diejenigen, die dieses Gefühl auslösen, nicht immer davon wissen“. Das können ein nicht gewahrter Abstand, subtile körperliche Kontakte, Blicke oder eine als unangemessen empfundene Bewertung der eigenen Leistung sein. „Wichtig ist dabei die Wahrnehmung der Betroffenen, nicht die Absicht der Anderen“, betont Moser. Deshalb sieht sie ihre Aufgabe in den kommenden Monaten auch darin, in der Universität ein Bewusstsein für Diskriminierungen zu schaffen, zu sensibilisieren und viel Vermittlungsarbeit zu leisten.
Wichtig ist dabei die Wahrnehmung der Betroffenen, nicht die Absicht der Anderen
Ideen dazu gibt es bereits: So plant das Gleichstellungsbüro eine größere Kampagne unter dem Titel „achTUng“, in deren Fokus sexualisierte Diskriminierung steht und bei der auch die Antidiskriminierungsstelle vorgestellt und ihre Arbeit bekannter gemacht werden soll. Im Mai wird Márcia Moser im Rahmen der internen Weiterbildung zudem einen Workshop zur Professionalisierung von Mitarbeitenden anbieten. Thema: „Was ist Diskriminierung?! Und was habe ich damit zu tun?“
Ausbauen will sie zudem die Kooperation mit dem bereits an der TU bestehenden „Arbeitskreis Antisexismus und Antidiskriminierung“. „Ich wünsche mir, dass die verschiedenen Statusgruppen, Einrichtungen und Fachbereiche dort stärker vertreten sind und ihre Arbeit eine neue Verbindlichkeit erhält“, erklärt sie. „Das ist ein erster Anker, um das Thema intensiver in die TU zu tragen und zu erfahren, welche Bedarfe es gibt.“ Erfahrungsgemäß gebe es zwischen den Fachbereichen und Statusgruppen große Unterschiede – „dahingehend, welche Themen dringlich sind und welche Maßnahmen nachhaltig wirken können“.
Hemmschwelle senken
Ihr Ziel ist es, an der TU eine Atmosphäre zu erzeugen, die die Hemmschwelle senkt, sich mit Diskriminierung zu befassen. „Das Thema wird schnell assoziiert mit Schuld und Verantwortung für etwas, was nicht hätte passieren dürfen“, sagt die Expertin. Daher gebe es oftmals Vorbehalte. Márcia Moser will die Thematik daher nicht nur negativ besetzt sehen, sondern stets auch mit einer Perspektive verbinden: „Ein offener Umgang und ein Bewusstsein für diskriminierendes Verhalten führen insgesamt dazu, dass es sich an der TU besser und erfolgreicher studieren, lehren und Kontakt untereinander halten lässt.“