Warum es immer weniger Insekten gibt
Sonderausgabe der Biology Letters mit TU-Beteiligung zu Ursachen und Folgen des weltweiten Insektensterbens sowie möglichen Gegenmaßnahmen
2023/04/21
Weltweit gibt es nicht nur immer weniger Insekten, sondern auch immer weniger Insektenarten. Die Ursachen dafür liegen vor allem in der immer intensiveren Landnutzung, etwa durch Landwirtschaft oder Bebauung, sowie im Klimawandel und der Verbreitung von invasiven Tierarten durch den Menschen. Das sind die zentralen Ergebnisse einer aktuellen Sonderausgabe der Zeitschrift Biology Letters zum Insektensterben, unter anderem herausgegeben von der Biologin Dr. Nadja Simons von der Technischen Universität Darmstadt.
„Als sich vor einigen Jahren die Belege für das weltweite Insektensterben häuften, bekamen wir die Idee zu dieser Sonderausgabe. Ziel war es, das Insektensterben nicht nur zu dokumentieren, sondern auch zu verstehen, was die Ursachen dafür sind“, erklärt Privatdozent Dr. Florian Menzel vom Institut für Organismische und Molekulare Evolutionsbiologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Gemeinsam mit TU-Biologin Simons sowie dem Forstwissenschaftler Professor Dr. Martin Gossner von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft in der Schweiz schrieb Menzel dann Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit an, um bisherige Forschungsergebnisse zum Thema Insektensterben zusammentragen und neue Forschungsarbeiten zu dem Thema zu initiieren. Das Ergebnis ist die nun von Menzel, Gossner und Simons herausgegebene Sonderausgabe mit zwölf Forschungs- und zwei Meinungsartikeln sowie einem ausführlichen Editorial.
Intensive Landnutzung, Klimawandel und invasive Arten sind die Hauptursachen
„Aufgrund der nun vorliegenden Ergebnisse können wir nicht nur sagen, dass die Landnutzung, der Klimawandel und die Verbreitung von invasiven Arten die Haupttreiber für das weltweite Insektensterben sind, sondern dass es außerdem viele Wechselwirkungen zwischen diesen Treibern gibt“, sagt Menzel. Zum Beispiel seien durch intensive Landnutzung geschädigte Ökosysteme mitsamt ihrer Insektengemeinschaften empfindlicher gegenüber dem Klimawandel. Auch könnten invasive Arten vor allem in durch Landnutzung geschädigten Ökosystemen Fuß fassen und dort die heimischen Arten verdrängen. Erkennbar sei auch, dass in den vergangenen Jahren nicht nur die Gesamtzahl der Insekten stark abgenommen habe, sondern auch viele Insektenarten verschwunden seien und es weltweit zu einer Homogenisierung, also Vereinheitlichung, von Insektengemeinschaften komme.
„Grundsätzlich lässt sich sagen, dass vor allem Spezialisten unter den Insekten aussterben und Generalisten überleben. Daher gibt es vielerorts immer mehr ‚Allerweltsarten‘, während Arten verschwinden, die für den einen oder anderen Lebensraum typisch sind“, sagt Menzel. Simons ergänzt: „Dadurch werden die Gemeinschaften der Insekten an unterschiedlichen Standorten immer ähnlicher und die biologische Vielfalt in der gesamten Landschaft nimmt ab.“
Die Folgen dieses Insektensterbens sind nach Angaben der Forschenden zahlreich und meistens negativ für die verbliebenen Ökosysteme. Zum Beispiel wurde entdeckt, dass der Artenschwund bei Hummeln zu einer Abnahme von Pflanzen geführt hat, die auf die Bestäubung durch bestimmte Hummelarten angewiesen sind. „Allgemein nimmt mit schwindender Artenvielfalt die Stabilität von Ökosystemen ab: Weniger Arten bedeutet, weniger Arten, die Pflanzen bestäuben oder Schädlinge in Schach halten“, sagt Menzel. „Und es steht schlicht weniger Nahrung für insektenfressende Vögel und andere Tiere zur Verfügung. Damit kann ein Rückgang der Insekten auch zu deren Rückgang führen.“
Menzel, Gossner und Simons geben in ihrem Editorial Empfehlungen, wie auf die von ihnen zusammengetragenen Erkenntnisse reagiert werden sollte. Einerseits, was die weitere Forschung zum Insektensterben betrifft: Unter anderem sollten weltweit standardisierte Messungen zum Erfassen der Artenvielfalt in Insektengemeinschaften durchgeführt werden – auch, weil es für einige Weltregionen bisher gar keine entsprechenden Daten gebe. Außerdem raten sie dazu, miteinander verbundene Schutzgebiete einzurichten. Das könnte es Arten erlauben, von einem Lebensraum zum anderen zu wandern, zum Beispiel aus durch den Klimawandel erhitzten Gebieten in höher oder nördlicher gelegene, kühlere Regionen.
Auch müsse mehr darauf geachtet werden, die Ausbreitung invasiver Tierarten durch den globalen Waren- und Reiseverkehr zu verringern. „Auch dieses Problem hat in den vergangenen Jahrzehnten massiv zugenommen“, sagt Menzel. Unter anderem zeige die aktuelle Sonderausgabe, dass eingeschleppte insektenfressende Fische in Brasilien zu einem starken Rückgang von Süßwasserinsekten geführt hätten. Simons betont: „Es ist weiterhin von großer Bedeutung nicht nur die Gesamtzahl der Insekten in einem Lebensraum zu erfassen, sondern auch die unterschiedlichen Arten zu identifizieren. Nur so lässt sich erkennen, ob spezialisiert und möglicherweise seltene Arten durch die Allerweltsarten ersetzt werden.“
JGU/mih