Die Politisierung der Zukunft

Athene Young Investigator Jens Marquardt richtet den Fokus auf Umwelt- und Klimapolitik

28.06.2023 von

In Zeiten, in denen Klimaaktivist:innen sich auf Straßen festkleben und das Aus für Verbrenner-Motoren oder Gasheizungen die Gesellschaft spaltet, ist Jens Marquardts Forschungsthema brandaktuell. Der Politikwissenschaftler und Athene Young Investigator der TU Darmstadt befasst sich mit unterschiedlichen Formen der Politisierung in der Umwelt- und Klimapolitik. Es geht ihm um Fragen der klassischen politischen Auseinandersetzung, soziale Konflikte, Populismus und – am Beispiel der klimaneutralen Gesellschaft – um die Politisierung der Zukunft. Marquardt nimmt dabei nicht nur Deutschland, sondern auch Demokratien des Globalen Südens wie Indien in den Blick.

Athene Young Investigator Dr. Jens Marquardt

„Ich bin durch und durch Sozialwissenschaftler“, sagt Dr. Jens Marquardt. Der 37-Jährige hat Politikwissenschaften an der FU Berlin studiert, sich als junger Mensch für Umweltorganisationen und Entwicklungsinitiativen engagiert, während seiner Promotion mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) kooperiert und an verschiedenen Universitäten gearbeitet. Wenn es um Umwelt- oder Klimapolitik geht, hat der neue Athene Young Investigator (AYI) zu ganz unterschiedlichen Kontexten geforscht – sowohl in Deutschland als auch international. Seine Diplom- und später seine Doktorarbeit hat er über die politischen Rahmenbedingungen bei der Förderung erneuerbarer Energien geschrieben. Im Fokus standen dabei Fragen von Macht, Koordination und die Rolle internationaler Akteure.

„Ich stelle die klassischen Warum-Fragen, um Konflikte zu ergründen“, sagt der Politikwissenschaftler der TU. Marquardt hinterfragt dabei kritisch, was als normal gegeben und alternativlos gilt. Dazu passt vielleicht, dass er eine Zeitlang Journalist werden wollte, sich dann aber doch für die akademische Laufbahn entschied. Die klassischen Warum-Fragen möchte der 37-Jährige nun auch in seinem Forschungsprojekt stellen, mit dem er als Athene Young Investigator von der TU gefördert wird. Dabei will er nicht nur die politischen Auseinandersetzungen rund um den Klimawandel analysieren und erklären, sondern auch den Blick darauf lenken, welche Bedeutung dabei Normen, Werte und Zukunftsvorstellungen haben. Marquardt nennt das den „ideologischen Unterbau“.

Dr. Jens Marquardt ,
Athene Young Investigator

Ich stelle die klassischen Warum-Fragen, um Konflikte zu ergründen.

Bild: Katrin Binner

Der TU-Forscher will den Politisierungsbegriff erweitern. „Welche politischen Auseinandersetzungen löst das Klimathema aus, welche gesellschaftlichen Gruppen stehen sich gegenüber, welche Vorstellungen einer klimaneutralen Gesellschaft konkurrieren miteinander? Wie wird Zukunft politisiert und auch von politischen Kräften instrumentalisiert?“ Klimapolitik, sagt Jens Marquardt, konzentriere sich zu oft auf die technische Machbarkeit bei der Minderung von Emissionen oder die Einführung neuer Technologien wie etwa E-Mobilität oder Wasserstoff.

Das klinge erst einmal relativ emotionslos, doch dahinter verbirgt sich gesellschaftliche Sprengkraft. Denn: Wer kann sich ein Elektroauto leisten und gibt es Alternativen zum Individualverkehr? Was bedeutet die energetische Sanierung von Gebäuden finanziell für Mietparteien oder Eigentümer:innen? Wer profitiert von neuen Technologien und wer wird benachteiligt? Welche sozialen Konflikte lösen klimapolitische Maßnahmen aus und welche Zukunftsideen stehen dahinter? Fragen, die Marquardt auch an Beispielen von Organisationen wie Fridays for Future oder Die letzte Generation beleuchten will, mit deren Mitgliedern er das Gespräch suchen will. „Gerade der Aspekt der Zukunft ist für mein AYI-Forschungsprojekt wichtig“, betont er.

Der globale Norden und der globale Süden

All diesen Fragen will er auch länderspezifisch nachgehen. Marquardt will unter anderem Deutschland als ein Beispiel für den Globalen Norden mit Indien, einem Land des Globalen Südens, vergleichen. „Die Bedingungen in beiden Ländern sind unterschiedlich, die politischen Konstellationen und Herausforderungen anders.“ Ihn interessiert dabei ebenso, wie die beiden Demokratien mit der Klimakrise und umweltpolitischen Fragen umgehen.

Der Politikwissenschaftler hat immer schon international gearbeitet. Er war Postdoc an der Universität Stockholm, Visiting Research Fellow an der Harvard University und war an Forschungsvorhaben in Südostasien beteiligt. An der TU arbeitet er am Fachbereich Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften im Team von Prof. Markus Lederer und aktuell an einem gemeinsamen DFG-Forschungsprojekt mit der Universität Potsdam zur Institutionalisierung von Klima-Projekten in Brasilien, Indien, Indonesien und Südafrika.

Die Auszeichnung als Athene Young Investigator ist dem jungen Forscher wichtig. „Sie erhöht die Sichtbarkeit für meine Themen und bietet mehr Freiheit bei der Feldforschung.“ Marquardt möchte Promovierende betreuen – auch mit Blick auf sein Ziel einer Professur. „Meinen Studierenden will ich eine kreative und interaktive Lehre vermitteln und sie zum kritischen Nachdenken anregen.“

Das Programm Athene Young Investigator

Das Programm Athene Young Investigator (AYI) der TU Darmstadt soll herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fünf Jahre lang auf ihrem Karriereweg unterstützen. Ziel ist es, die frühe wissenschaftliche Selbstständigkeit der Nachwuchsforschenden zu fördern und ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, sich durch die eigenverantwortliche Leitung einer Nachwuchsgruppe für die Berufbarkeit als Hochschullehrerin beziehungsweise Hochschullehrer zu qualifizieren. Die Nachwuchsgruppenleiterinnen und -leiter werden mit bestimmten professoralen Rechten und einem eigenen Budget ausgestattet.

Die TU Darmstadt hat 2023 weitere vier exzellente junge Forschende als Athene Young Investigators ausgezeichnet. In den kommenden Wochen werden wir die vier Forschenden im Webauftritt der TU Darmstadt vorstellen.