Ohne Lenkrad auf der Rollbahn

Unterwegs im autonomen Forschungsfahrzeug autoELF

12.07.2024 von

Die TU Darmstadt ist Teil des bundesweiten Forschungsverbundes AUTOtech.agil, der an der Mobilität der Zukunft und dem Autonomen Fahren arbeitet. Auf dem historischen Flugplatz in Griesheim zieht das Forschungsfahrzeug autoELF autonom und ohne Lenkrad bereits seine Runden. Unsere Autorin ist mitgefahren.

Die Türen öffnen seitwärts wie in einem Zugabteil. Das Innere ist geräumig, vier Menschen können sich auf komfortablen Sesseln gegenübersitzen. Sogar künstliche Blumen zieren die Fenster. Moritz Lippert lacht: „Das ist die Home-Edition“ – die Familienversion des Forschungsfahrzeugs. Das Design für die Taxi-, Shuttle- oder Lieferversion ist funktionaler. Dr.- Ing. Moritz Lippert ist Oberingenieur am Fachgebiet Fahrzeugtechnik des Fachbereichs Maschinenbau.

Er und Kollege Björn Klamann arbeiten am Forschungsprojekt AUTOtech.agil, das das Bundesministerium für Bildung und Forschung bis 2025 mit 24 Millionen Euro fördert. Rund 20 Universitäten und Industriepartner sind an dem Vorhaben für das automatisierte und vernetzte Fahren beteiligt. Es ist das Nachfolge-Projekt von UNICARagil, in dessen Laufzeit vier Forschungsmobile entstanden sind.

Futuristisches Design

Design und Chassis des Prototyps wurde von Forschenden der RWTH Aachen entworfen.
Design und Chassis des Prototyps wurde von Forschenden der RWTH Aachen entworfen.

Eines davon, die autoELF, steht vor einem Hangar auf dem Flugplatz Griesheim. Mit ihrem futuristischen Design würde sie in einen Science-Fiction-Film passen. Forschende der RWTH Aachen haben Design und Chassis des Prototyps entworfen, an der TU Braunschweig entstand das Konzept für den Innenraum. Das Team der TU Darmstadt sorgt dafür, dass die ELF sich sicher fortbewegt, kontrolliert anhält, einparkt oder wendet sowie für Teile der Absicherung und entwickelten eine Niedriggeschwindigkeitsfunktion.

Geplant ist eine Testfahrt auf den Rollbahnen des Flugplatzes. Die Türen schließen, Lippert bedient eine Art Joystick, um zunächst manuell zum Startpunkt der Route zu fahren, Klamann gibt Befehle für die Fahrmission ins Laptop ein. Mit leichtem Ruck fährt das Mobil los. 20 Kilometer pro Stunde kann der Prototyp manuell, 15 km/h automatisiert fahren. Ausgelegt ist er für bis zu 70 km/h. Auf einem Display erscheinen Kamerabilder der Außenumgebung.

„Die Mission ist kartenbasiert“, erklärt Lippert. Das heißt, die ELF fährt auf einer zuvor programmierten Route, vergleichbar einem Rasenroboter, der entlang von Begrenzungskabeln agiert. „Nur eben digital“, deutet Klamann auf das Laptop-Display, auf dem die Fahrstrecke mit roten Linien und angrenzende Grünflächen blau markiert sind. Taucht ein Hindernis auf, etwa ein Mensch, erscheint er als grüne Fläche.

360-Grad-Umfeldmodell

Mittels von GPS-, Kamera- und Radar-Informationen sowie Daten des Laserscanner-Systems LIDAR wird ein 360-Grad-Umfeldmodell erstellt.
Mittels von GPS-, Kamera- und Radar-Informationen sowie Daten des Laserscanner-Systems LIDAR wird ein 360-Grad-Umfeldmodell erstellt.

Sensoren an den Fahrzeugecken tasten die Umgebung ab. Anhand von GPS-, Kamera- und Radar-Informationen sowie Daten des Laserscanner-Systems LIDAR wird die Position präzise bestimmt und ein 360-Grad-Umfeldmodell erstellt. Ungünstige Wetterkonditionen wie etwa starker Regen können die Testfahrten erschweren. In Notfällen kann das Gefährt jederzeit mit einer Fußbremse manuell angehalten werden. Ein schabendes Geräusch ertönt unter dem Fahrgestell. „Das war Unkraut“, beruhigt Lippert. Das macht sich überall auf der alten Piste breit. Die ELF setzt ihre Fahrt unbeirrt fort. Das TU-Team muss die Toleranz zwischen sicher Fahren und Stehenbleiben austarieren. Ist sie zu hoch eingestellt, könnten Unfälle passieren, ist sie zu niedrig, würde das Mobil andauernd stehen bleiben, so Lippert.

Hoher Energiebedarf

Langsam wird die Luft stickig. Im Heck des Mobils stehen Hochleistungsrechner, deren Abluft den Innenraum mit Wärme und permanentem Rauschen erfüllen. Autonomes Fahren braucht viel Rechenleistung und Energie. Sechs Stunden Testfahrt verbrauchen rund 48 Kilowattstunden Strom. „Am Energieverbrauch arbeiten wir im Projekt“, sagt Klamann. Noch begleiten Kinderkrankheiten den Prototyp, der natürlich keine automobile Serienabsicherung hinter sich hat, betont Lippert. Auf einer neuen Route, auf der das Mobil einparken und auf der Stelle wenden soll, schaltet sich das System mehrfach ab. Als die ELF jedoch schließlich die auf dem Display dafür markierte Fläche erreicht, klappt das Einparken tadellos. Das Mobil, das mit vier bis zu 90° lenkbaren Rädern ausgestattet ist, schaukelt kurz und gleitet in die Lücke – eine Funktion, die viele sicher heute schon gern nutzen würden.

Fünf Level

Wann kommt das Autonome Fahren in Serienproduktion? Es gibt fünf Level. Level 2 in Form von Lenk- und Geschwindigkeitsassistenz ist heute Standard im Premiumbereich, Level 3 in ersten Luxuslimousinen zweier deutscher Hersteller verfügbar als Autobahn-Piloten. Die ELF steht auf Level 4: Ohne Lenkrad lässt sie sich in einem definierten Einsatzgebiet fahren. Level 5, das autonome Fahren überall, „davon sind wir noch weit entfernt“, sagt Klamann. Bis Level 4 für alle verfügbar ist, werde es zehn und mehr Jahre dauern. „Aber wir sind auf einem guten Weg.“

Themenschwerpunkt „Automatisiertes Fahren“ in der aktuellen Ausgabe der hoch³