Liebe Leserinnen und Leser,
welche Signale setzen Hochschulen und Bildungspolitiker gegenüber ausländischen Studierenden? Es scheint so, als lasse die hessische Landesregierung, die ein Gesetz zur Einführung von Studiengebühren ab 2007 erarbeitet, einige zunächst geplante Ungleichbehandlungs-Paragrafen fallen. Studierende aus Nicht-EU-Staaten werden wohl nicht das Dreifache im Vergleich zu ihren Kommilitonen aus Deutschland oder der Europäischen Union zahlen müssen. Und sie sollen auch nicht von Darlehens-Fonds ausgeschlossen werden, um den Beitrag in Höhe von 1000 Euro pro Jahr leisten zu können.
Wie durchschlagend die „Abschreckungswirkung“ für ausländische Studienbewerber sein wird und welche Verschiebungseffekte sich ergeben, bleibt abzuwarten. Die TU Darmstadt ist stolz auf ihre Tradition, eine Grenzen überschreitende, attraktive Universität zu sein. Rund 23 Prozent der an der TU Darmstadt eingeschriebenen Studierenden haben einen nicht-deutschen Pass. Ein solches Maß an Internationalität hat bundesweit kaum eine andere Universität.
In den Jahren von 1900 bis 1907 hatte die Großherzogliche Technische Hochschule zu Darmstadt im Vergleich aller Technischen Hochschulen des Kaiserreiches mit rund 25 bis 30 Prozent den größten Anteil an ausländischen Studenten. Bereits im Jahr 1896 hatte der Anteil fast 20 Prozent betragen. Die Ausbildung in Elektrotechnik, später auch im Maschinenbau zog vor allem russische und polnische Studierende an – bis 1914. Sie organisierten sich in studentischen Vereinigungen, belebten die Stadt. Nicht unbeträchtlich war auch die Zahl jüdischer Studenten: Einer der berühmtesten war der Chemiestudent Chaim Weizmann, der erste Präsident des Staates Israel.
Aber die Geschichte belegt auch eine Kehrseite: Im Landtag war ab 1897 eine ambivalente Haltung gegenüber Studierenden aus anderen Ländern an der noch jungen Darmstädter Technischen Hochschule unverkennbar. Der Finanzausschuss des Landtags sprach damals von „einer an sich günstigen“, „fürs Land aber sehr kostspieligen Entwicklung unserer technischen Hochschule“. Politiker schlugen vor, „nur für Ausländer höhere Studiengelder zu verlangen“, und für den „Fall der Überfüllung“ der Hochschule zu prüfen, „ob Ausländer (Nicht-Reichsangehörige), nur soweit Raum vorhanden ist, zuzulassen seien“. Höhere Studiengelder wurden tatsächlich später erhoben. Ebenso bremsten verschärfte Aufnahmeprüfungen für ausländische Bewerber das Interesse am Studienstandort Darmstadt. Und schließlich mochte die Debatte nicht verstummen, ob die Ausbildung Deutschland nutze oder die wirtschaftliche Konkurrenz des Auslands stärke. Bisweilen ritten einige Parlamentarier antisemitische, fremdenfeindliche Attacken.
Zu den energischen Befürwortern des Ausländerstudiums zählte Paul Treusch, Chef der Gutehoffnungshütte in Oberhausen. Er verwies „auf die hohe wirtschaftliche Bedeutung des Studiums der Ausländer für Deutschland“. In Amerika sei man bemüht, „planmäßig Ausländer zum Studium heranzuziehen“. Ähnlich auch der Generaldirektor der Berliner Borsig-Werke: „Wenn wir uns abschließen, dann erwerben die Ausländer ihre Kenntnisse bei anderen Wettbewerbern“. Otto Berndt, Professor für Maschinenkunde von 1892 bis 1940 an der TH Darmstadt, gehörte zu den vehementesten Verfechtern dieser Weltoffenheit.
Die TU Darmstadt ist eine international orientierte und profi lierte Universität. Schön, dass ausländische Studierende sich angezogen fühlen: Wie etwa der iranische Informatik-Student, der kürzlich die abends auf dem Parkdeck des Audimax-Gebäudes stehen gelassene Tasche mit persönlich wertvollsten Dingen fi ndet. Der Student meldet sich gleich am nächsten Morgen. Es entwickelt sich ein überaus nettes Gespräch zwischen dem sichtlich Erleichterten und dem formvollendet höfl ichen und äußerst bescheidenen Studenten. Hinterher atmet der Vergessliche nochmals tief durch. Und macht das schönste Kompliment: „Einfach ein toller Mensch.“
Jörg Feuck