Die Unbeirrbare

Dr. Meike Saul – Wirkstoffforscherin und Pharmaunternehmerin

2023/05/11 von

Von der ersten Forschungsidee über klinische Studien bis zur Zulassung: Ein neues Medikament hat einen langen Weg hinter sich, bis es von Patient:innen genutzt werden kann. Zwölf Jahre und mehr können vergehen – Ausnahmen wie zuletzt die SARS-CoV2-Impfstoffe bestätigen die Regel. Die Entwicklung eines Wirkstoffes verschlingt Millionen, es braucht Hightech-Labors und biomedizinisches Knowhow. Und es braucht Geduld, Ausdauer und bedingungslosen Forscherwillen. Meike Saul wollte schon immer ein Medikament entwickeln. Dafür hat die Forscherin der TU-Darmstadt jetzt ein Spin-Off namens gegründet, das Start-up „CURNOVA“.

Dr. Maike Saul

Sie entwickelt Biomarker-Tests für die personalisierte Krebsmedizin und RNA-Wirkstoffe gegen Arthrose: Meike Saul forscht an der Schnittstelle zwischen Chemie, Biologie und Medizin. Dabei ist sie als Grundlagenforscherin auch Überzeugungstäterin. Ihre Erkenntnisse in die Anwendung zu bringen, ist Meike Saul ein tiefes Anliegen: Sie will Menschen helfen können.

„Ich bin keine Chirurgin, ich kann niemanden operieren. Aber ich kann neue Medikamente entwickeln.“ Deshalb scheut Meike Saul auch nicht die enge Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie. Gemeinsam mit der Industrie an einem Medikament zu arbeiten, das liege ihr, sagt sie. Diese Art zu Denken spiegle sich auch in ihrer Forschung. Ihr Schritt, ein eigenes kleines Pharmaunternehmen zu gründen, passt dazu.

Entscheidende Entdeckung

Rückblick: Als Postdoktorandin am renommierten Karolinska-Institut in Stockholm stieß Meike Saul vor rund zehn Jahren auf die Bedeutung von Mikro-RNAs. Das war zu einer Zeit, wo sich kaum jemand für RNA-basierte Therapien interessierte. Während in Therapien mit DNA große Hoffnungen gesetzt wurden, schien RNA für einen medizinischen Einsatz nicht infrage zu kommen. Saul jedoch hielt unbeirrt an ihrem Ziel fest. Trotz vieler Rückschläge blieb sie ihrer RNA treu. Mit Erfolg. Nie wird sie diesen einen Moment vergessen.

„Ich weiß noch genau, wie ich an einem Donnerstagnachmittag die Sequenz in das Laborbuch geschrieben habe. Es war Zufall und Glück zugleich, diese Mikro-RNA zu finden. Sie reguliert einen ganz essenziellen Prozess, der bei vielen Krankheiten eine Rolle spielt.“ Bei Krebs oder arthritischen Erkrankungen zum Beispiel. Oder bei unserem Schmerzempfinden. Seither drehen sich alle Projekte der Chemikerin um nichts anderes. Es wurde ihr Spezialgebiet. Zu Mikro-RNAs forscht sie auch an der Technischen Universität Darmstadt. Dort leitet Meike Saul seit 2016 eine Arbeitsgruppe am Fachbereich Biologie. Sie hat sich seither einen Namen als Expertin für zelluläre Kommunikation gemacht.

Kleines Molekül, große Wirkung

Mikro-RNAs bestimmen mit, welche Proteine eine Zelle herstellt und welche nicht. Einige Tausend Mikro-RNAs sind mittlerweile allein beim Menschen bekannt. Seit ihrer Entdeckung werden sie durchnummeriert. Meike Sauls Mikro-RNA hat die Nummer 574 – ein kurzer RNA-Strang, der bei Krankheiten wie Krebs und Arthritis eine Schlüsselrolle spielt. Saul erforscht unter anderem, was Mikro-RNAs für die zelluläre Kommunikation bedeuten.

„Sowohl in gesundem Gewebe als auch in Tumoren stimmen Zellen ihre Funktion untereinander ab“, erklärt Saul. Damit ein Tumor wachsen kann, müssen seine Zellen miteinander kommunizieren. Stört man diese Kommunikation, kann dies den Tumor bekämpfen helfen. Die Arbeitsgruppe von Saul entschlüsselte den Mechanismus, der für die zelluläre Kommunikation im Tumor verantwortlich ist.

Eine Pionierarbeit: „Die Ergebnisse geben die Grundlage für die Entwicklung innovativer und personalisierter Therapieansätze“, so Meike Saul. Deren Entwicklung nahm sie mit ihrem Team gleich selbst in die Hand. Die Gruppe entwickelte mehrere Konzepte für ein Therapeutikum. Eines funktionierte schnell.

Innovative RNA-Therapie gegen Arthrose

Seither steht bei Saul neben der Grundlagenforschung die Entwicklung von RNA-basierten Therapeutika im Mittelpunkt. Aufgrund ihrer belastbaren Kontakte aus der Postdoc-Zeit konnte sie am Karolinska-Institut in Stockholm einen ersten Wirkstoff gegen arthritische Erkrankungen im Tierversuch testen.

„Das Therapeutikum, das wir entwickelt haben, hemmt die Entzündung und gleichzeitig die Schmerzen, die mit Arthritis verbunden sind. Außerdem kann es den Abbau von Knochen und Knorpel stoppen“, sagt Meike Saul. Auf dem Markt gebe es nichts Vergleichbares.

Und weil die medizinische Anwendung Sauls Herzensangelegenheit ist, lag es nahe, die Entwicklung des Medikaments selbst in die Hand zu nehmen, als Unternehmerin. „Wir haben große Lust darauf.“ Gemeinsam mit einer ihrer beiden Schwestern, und zwei befreundeten Kollegen vom Fraunhofer-Institut in Frankfurt bzw. der Goethe Universität gründete Saul im April 2023 das Unternehmen „CURNOVA“. Die Tinte unter dem brandneuen Gesellschaftervertrag ist noch nicht ganz trocken.

Maßgeschneiderte Medikamente

Pharmaunternehmen zeigen sich inzwischen äußerst interessiert an Meike Sauls Forschung. Begriffe wie RNA, Oberflächenproteine und die PCR-Technik, mit der auch Mikro-RNAs bestimmt werden, sind seit der Coronapandemie jedem bekannt: „Vor einigen Jahren wurden meine Ideen zu neuen Therapien und Diagnostiktests auf Basis von Mikro-RNAs nicht immer ernst genommen“, sagt sie, das hat sich in den letzten Jahren deutlich geändert.

Dass Therapeutika auf Basis von RNA ein wichtiger Baustein im Kampf gegen Krankheiten sind, hat sich seit dem Erfolg des mRNA-Impfstoffes des Mainzer Pharmaunternehmen BioNTech herumgesprochen. Sauls Forschungsbudget ist jetzt deutlich gestiegen.

Sie räumt wichtige Preise ab, zuletzt den Innovationspreis von Boehringer Ingelheim. Gespräche mit einem Investor stehen an. Die wurden möglich, nachdem Meike Saul mit Hilfe des Pioneer Fund der TU Darmstadt (betreut vom Gründungszentrums HIGHEST) in einer In-Vivo-Studie belegen konnte, dass sie mit dem neuen Therapeutikum auf dem richtigen Weg ist. Aus dem akademischen Projekt ist ein handfestes Pharmaprojekt geworden. Übersetzt heißt das: Die Frau hat jetzt zwei 100 Prozent-Jobs. Einen als Forscherin, einen als Gründerin.