Der Organe-Drucker
Implantate, Fleischersatz und Mini-Organe entstehen am Institut für BioMedizinische Drucktechnologie
08.11.2024 von Anja Störiko
Organe und Fleischersatz aus dem Drucker – die Vorstellung hat etwas von Science-Fiction. Wenn Andreas Blaeser durch das Institut für Druckmaschinen und Drucktechnik führt, an klassischen großen Druckmaschinen und Werkstätten vorbei, scheint diese Vision noch fern. Doch in seinem Büro werden auf einem großem Bildschirm und einem vielgenutzten Flipchart solche Produkte schnell lebendig. Wie kommt man dazu, Zellen, Gewebe und Organe zu drucken?
Spielerisch mit Technik den Alltag vereinfachen
„Meine Eltern erzählen, dass ich schon als Kind immer Sachen ‚erfunden‘ habe“, schmunzelt Blaeser. So konstruierte er mit Lego-Technik eine Vorrichtung, um gekochte Eier aufzuschlagen. Solch spielerisches Basteln führte zum Maschinenbau-Bachelor in Mannheim. Den praktischen Teil seines dualen Studiums absolvierte Blaeser am Forschungszentrum Karlsruhe (KIT). „Dort begeisterte mich ein Artikel in einer internen Broschüre über eine intelligente Armprothese mit Tastgefühl“, erzählt der gebürtige Rheinländer. Die Biomedizin habe ihn sofort in seinen Bann gezogen. Doch damals gab es in Deutschland kaum Studiengänge in diesem Bereich. In Aachen wurde er fündig: „Gewebezüchtung: das ist die Zukunft – das musst du studieren“, sei er überzeugt gewesen und bewarb sich für das internationale Masterprogramm Biomedical Engineering.
Feuer und Flamme für sein Forschungsthema
In den USA gab es zu diesem Zeitpunkt erste Versuche, Zellverbände dreidimensional zu drucken, also in gewünschte Formen zu bringen und wachsen zu lassen. Die Vision der Organherstellung entstand. Blaesers Masterarbeit befasste sich bereits mit dem Zelldruck. Er entwickelte wässrige Gele – eine Art Gelatinemasse – als Lebensraum für Zellen. In diese Zeit fällt seine erste Erfindungsmeldung: eine Stützflüssigkeit, um 3D-Strukturen zu stabilisieren. Diese sei patentiert und heute noch aktuell.
Weitere Patente entstanden in der anschließenden Promotion vor rund zehn Jahren. Hierbei ging es um das Design von Materialien, die eine dreidimensionale Struktur unterstützen: Wie können Zellen ohne Schaden wachsen und geformt, also gedruckt werden? Am Ende dieser Zeit wagte Blaeser eine erste Ausgründung, die Black Drop Biodrucker GmbH. Die Firma entwickelt 3D-Biodrucksysteme und „Bio-Tinten“ zur Herstellung von biologischen Geweben und Mini-Organen.
2018 übernahm Blaeser die Leitung der Abteilung „Medizinische Textilien“ an der RWTH Aachen. „Vorher ging es mehr um die Grundlagen der Zell-Biomaterial-Interaktion, jetzt um deren medizinische Anwendung“, erklärt Blaeser. Viele medizinische Implantate bestehen aus textilen Strukturen, beispielsweise gewirkte Gefäßprothesen oder geflochtene metallische Stents. Es entstanden erste Industriekontakte zu europäischen Medizintechnikunternehmen. „Vor allem habe ich in dieser Zeit gelernt, dass Implantate praxistauglich sein müssen“, so Blaeser: „gewebekompatibel, elastisch, fest, damit Chirurg:innen sie handhaben und falls erforderlich vernähen können“.
Kurz darauf eröffnete sich eine spannende Perspektive: An der TU Darmstadt war die Leitung der biomedizinischen Drucktechnologie ausgeschrieben. Das Institut bietet eine große Bandbreite an Druckverfahren, alle gängigen Technologien vom Labor- bis zum vorindustriellen Maßstab. Blaeser brachte mit seinen neuen Verfahren rund um lebende Zellen eine neue Variante ins Spiel.
Blutgefäße und Organe drucken: Das geht!
Schon in den ersten Monaten habe er mit Kolleg:innen hier ein Phänomen entdeckt und umgesetzt: Beim Tiefdruck entstehen mikroskopisch feine Strukturen. Blaeser skizziert sie auf einem Flipchart wie ‚Finger‘: „Sie galten eigentlich als Druckfehler“, aber Blaeser assoziierte sie umgehend mit Abbildern kleinster Blutgefäße. An diesen Strukturen könne man einzelne Zellen, Gefäße oder Nervenbahnen entlang wachsen lassen, so seine Idee. Eine wissenschaftliche Publikation bewies einige Monate später, dass der Ansatz erfolgsversprechend ist. Für die Erfindungsmeldung und Patentanmeldung fanden sich erste Lizenz-Interessierte. HIGHEST sei dabei ein äußerst engagierter Ansprech- und Sparringspartner, lobt Blaeser. Die Unterstützung bei Erfindungs- und Patentanmeldungen, Ausgründungen und der Gestaltung von Business-Plänen findet er äußerst hilfreich: „Darmstadt bietet dadurch ein exzellentes Umfeld zur Translation von Forschungsergebnissen in die Wirtschaft“.
Eine weitere spannende Idee ist der „3D-Biodruck“ von kultiviertem Fleisch – als zukünftiger Fleischersatz: Mit einem eigens entwickelten Druckprozess können Muskel- und Fettzellen so in Form und Struktur gebracht werden, dass schließlich lebendes Muskelgewebe entsteht. Eines Tages könnte auf diese Weise Fleisch ohne konventionelle Tierhaltung in größerem Maßstab produziert werden. „Wir beschäftigen uns dabei insbesondere mit der Skalierung bestehender Biodruckverfahren vom Labor- in den Industriemaßstab“, so Blaeser. Das Verfahren sei nicht in der Grundlagenforschung von Interesse, sondern stoße auch auf große Resonanz in der Industrie. Eine Translation der Forschungsergebnisse in die Praxis – durch Ausgründungen oder Lizenzvergaben – ist daher geplant.
25 Postdocs und Doktorand:innen arbeiten in den fünf Gruppen von Blaesers Team. Hinzu kommen zahlreiche Studierende mit ihren Abschlussarbeiten oder als studentische Hilfskräfte. Begeistert beschreibt Blaeser die regelmäßige Teilnahme am internationalen Studierendenwettbewerb SensUs in Eindhoven. Teams aus zehn bis 15 Studierenden weltweit messen sich dort mit ihren Ergebnissen eines jeweils einjährigen Projekts zur Entwicklung eines Biosensors. „Da geht es um Genauigkeit, Geschwindigkeit, Kreativität, technische Herausforderungen, Transferleistungen bis hin zum Business-Case und Start-up“, erzählt der Dozent begeistert. Letztes Jahr war sein Team mit einem zweiten Platz in der Kategorie „Public Inspiration“ erfolgreich.
Das Feld der Biosensorik ist sehr breit: von Messsystemen zur Bestimmung des Blutzuckerwerts für Diabetiker über tragbare Fitness-Tracker bis hin zu Teststreifen wie bei Corona. Solche Sensoren aus verschiedenen Schichten von Kunststoffen, Elektroden und Biomaterialien werden im Erfolgsfall mit industriellen Druckverfahren in großen Stückzahlen gefertigt, schlägt Blaeser den Bogen zurück zum Kern seines Instituts.