Sauberes Wasser für die Zukunft

Weltweit erstes semizentrales Ver- und Entsorgungszentrum in Qingdao (China)

23.04.2014

Anlässlich der „World Horticulture Exposition 2014“ im chinesischen Qingdao wurde am Sonntag (27. April) das Ver- und Entsorgungszentrum Qingdao des Projekts SEMIZENTRAL eröffnet. Es ist die weltweit erste Referenzanlage des semizentralen, integrierten Infrastrukturansatzes. Sie entstand unter zentraler Beteiligung der TU Darmstadt und wird rund 12.000 Menschen versorgen.

3D-Modell des Ver- und Entsorgungszentrums in Qingdao. Bild: Tongji Design Institute & Susanna Neunast
3D-Modell des Ver- und Entsorgungszentrums in Qingdao. Bild: Tongji Design Institute & Susanna Neunast

Mit einem umfangreichen Programm und vielen hochrangigen chinesischen und deutschen Gästen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft wurde das Ver- und Entsorgungszentrum (VEZ) seiner Bestimmung übergeben. Die Anlage gilt als wichtiger Meilenstein deutsch-chinesischen Wissenstransfers mit globaler Wirkung. Sie ist auch das Ergebnis mehr als dreißigjähriger gleichberechtigter Zusammenarbeit der Tongji-Universität Shanghai und der Technischen Universität Darmstadt.

Die World Horticulture Exposition (WHE) mit ihrem Motto „From the Earth, for the Earth“ gilt als globale „Olympiade“ des Gartenbausektors. In der Zeit von April bis Oktober 2014 werden mehr als zwölf Millionen Besucher erwartet. Die Stadt in der nordöstlichen chinesischen Provinz Shandong unterstreicht mit der Ausrichtung der Weltgartenbauausstellung ihren Anspruch, ein „grünes“ Wachstum zu verwirklichen. Hieraus begründet sich auch die Motivation der Stadt Qingdao und des WHE-Konzerns, in zukunftsweisende Infrastrukturen zu investieren: Sowohl Investment als auch Betrieb des VEZ werden finanziell von chinesischer Seite getragen.

Von Darmstadt nach Qingdao

Das Semizentral-Team: Professor Martin Wagner, Professor Peter Cornel, Dr.-Ing. Susanne Bieker (v.l.n.r.). Bild: Katrin Binner
Das Semizentral-Team: Professor Martin Wagner, Professor Peter Cornel, Dr.-Ing. Susanne Bieker (v.l.n.r.). Bild: Katrin Binner

In der wirtschaftlich aufstrebenden Metropole leben derzeit rund acht Millionen Menschen. Die Bevölkerungszahl steigt enorm. Qingdao lebt außer von zwei überregional wichtigen Häfen von der Elektronikindustrie und klassischen Industriebranchen wie Chemie-, Metall- und Textilindustrie sowie dem Maschinenbau. In enger Kooperation insbesondere mit deutschen Partnern erfährt die Stadt gegenwärtig eine auf ökologischen und nachhaltigen Konzepten basierende Entwicklung, die nicht nur für vergleichbare Regionen in China, sondern auch weltweit richtungweisend sein dürfte.

Qingdao leidet seit Jahren unter großem Wassermangel. Je Einwohner ist lediglich rund ein Siebtel der Wassermenge verfügbar, die im Durchschnitt in China zur Verfügung steht. Wasser und Energie spielen hier wie in anderen Metropol-Regionen der Welt eine zentrale Rolle für die Siedlungsentwicklung. Basierend auf einer Idee von Prof. Dr.-Ing. Peter Cornel vom Fachgebiet Abwassertechnik (IWAR) der Technischen Universität Darmstadt hat sein Team gemeinsam mit Kooperationspartnern aus Wissenschaft und Industrie den Ansatz SEMIZENTRAL erarbeitet und fortentwickelt. Ihre Arbeit wurde und wird öffentlich und privatwirtschaftlich gefördert.

Aus Klärschlamm Energie gewinnen

Mit dem zukunftsweisenden Infrastrukturansatz sinkt sowohl der Frischwasserbedarf als auch das Abwasseraufkommen im Einzugsgebiet um jeweils rund 30 bis 40 Prozent. Die Nutzung von Brauchwasser zum Beispiel zur Straßenreinigung, Bewässerung oder als Löschwasserreserve macht Einsparungen in deutlich größerem Maße möglich.

Aus anfallendem Klärschlamm und zusätzlich gesammelten häuslichen Bioabfällen wird in der Anlage Biogas und daraus Energie erzeugt. Dadurch arbeitet das VEZ energieautark und weitgehend klimaneutral. Die Projektbeteiligten zeigen sich erfreut darüber, das Hauptziel des Projekts erreicht zu haben: eine anpassungsfähige, ressourceneffiziente Wasserinfrastruktur, die mit ihrer urbanen Umgebung flexibel mitwächst.

Für Dr.-Ing. Susanne Bieker, Leiterin des Forschungsprojektes SEMIZENTRAL an der TU Darmstadt, ist die Referenzanlage von SEMIZENTRAL ein Beispiel für die zukunftsweisende Technologie im nachhaltigen Umgang mit Wasser und Energie. SEMIZENTRAL in Qingdao sei nicht nur das Ergebnis langjähriger deutsch-chinesischer Partnerschaft in Forschung und Wissensaustausch. Es zeige auch die grundlegende Bedeutung integrativer und kooperativer Ansätze für eine lebenswerte Zukunft.

IWAR

Das Konzept

Die Besonderheit von SEMIZENTRAL ist der integrierte Ansatz. Konventionelle Systeme setzen auf eine strikte Trennung von Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Abfallbehandlung. SEMIZENTRAL integriert diese drei Sektoren zu einem holistischen Ansatz. Es ermöglicht die Abstimmung zwischen den Sektoren und schafft dadurch Synergieeffekte wie einen energieautarken Betrieb oder die Einsparung von Klimagasen.

Vorteile gegenüber konventionellen Infrastruktursystemen sind die großen Einsparpotenziale: 30-40% Wassereinsparung und mehr, sämtlicher für Abwasser- und Abfallbehandlung erforderlicher Energiebedarf, stark reduzierter Transportbedarf, eine rund um die Uhr gesicherte Wasserbereitstellung bei gleichbleibender Qualität und hoher Planungssicherheit. Gleiches gilt für die Abwasser- und Abfallseite.

Visualisierung eines Ver- und Entsorgungszentrums (VEZ)
Visualisierung eines Ver- und Entsorgungszentrums (VEZ)

Der integrierte Ansatz

Funktionsschema eines semizentralen Ver- und Entsorgungssystems
Funktionsschema eines semizentralen Ver- und Entsorgungssystems

Semizentrale Ver- und Entsorgungssysteme bieten eine zukunftsorientierte und ressourcenschonende Alternative zu herkömmlichen zentralen Infrastrukturen. Modul A umfasst die Grauwasserbehandlung. Abwasser aus Duschen und Waschmaschinen wird behandelt und als Brauchwasser für die Toilettenspülung verwendet. Hiermit wird fast ein Drittel des täglichen Wasserverbrauchs eingespart.

Im Modul B erfolgt die Behandlung des Schwarzwassers. Modul C – das Energiezentrum – umfasst die anaerobe (thermophile) Behandlung von Bioabfall und Klärschlammen. Das entstehende Biogas wird zur Stromerzeugung genutzt. Die erzeugte Energie versorgt alle anderen Behandlungsprozesse und ermöglicht so einen energieautarken Betrieb des VEZ.

Fragen und Antworten zu SEMIZENTRAL

Was ist SEMIZENTRAL?
SEMIZENTRAL ist ein Infrastrukturansatz für die Städte der Zukunft. Es ist eine Alternative zu weitläufigen, zentralisierten Systemen mit langen Vorlaufzeiten und unzureichender Skalierbarkeit. Der innovative Ansatz semizentraler Ver- und Entsorgungssysteme wurde für Neubaugebiete in schnell wachsenden urbanen Räumen entwickelt. In jedem Stadtteil entsteht flexibel die erforderliche, integrative Infrastruktur für Wasser, Abwasser und Abfall.

Woher kommt der Ansatz SEMIZENTRAL?
Im 21. Jahrhundert gibt es einen enormen Handlungsbedarf bei der Infrastrukturplanung und -entwicklung schnellwachsender urbaner Räume. Das weltweite Städtewachstum bedingt einen steigenden Verbrauch von wichtigen Ressourcen. Dies hat gravierende Folgen für die Infrastruktur, die Versorgung mit Wasser sowie die Behandlung und Entsorgung von Abwasser und festen Abfällen. In vielen Regionen der Welt ist durch mangelhafte oder fehlende Behandlungsanlagen für Abwasser und Abfall nicht nur die Lebensqualität der Menschen beeinträchtigt. Auch der Umwelt droht ernste Gefahr. Um diesen komplexen Herausforderungen zu begegnen, braucht es Konzepte zur Steigerung der Ressourceneffizienz. Der Ansatz SEMIZENTRAL ist ein solches modernes, effizientes und zukunftsweisendes Infrastrukturkonzept.

Was ist besser im Vergleich zu herkömmlichen Systemen?
SEMIZENTRAL ist überdurchschnittlich flexibel. Ein semizentrales Ver- und Entsorgungszentrum (VEZ) integriert verschiedene Technologien und ermöglicht eine Reduktion des Trinkwasserbedarfs von 30-40% durch innerstädtische Wasserregulierung bei einer gleichzeitig verringerten Menge anfallenden Abwassers. Dank Biogasgewinnung zur Energieerzeugung gelingt zudem der bilanziell energieautarke Betrieb.

Wie wird das erreicht?
Der Ansatz SEMIZENTRAL verknüpft die traditionell getrennten Bereiche Wasser, Abwasser, Abfall und Energie. Vor der Behandlung im Ver- und Entsorgungszentrum werden Abwässerströme (sog. Grau- und Schwarzwasser) separat erfasst und behandelt. Der Klärschlamm wird zusammen mit organischen Abfällen zu Biogas und dieses zur Energiegewinnung genutzt.

Warum in Qingdao?
Die Stadt in der östlichen chinesischen Provinz Shandong unterstreicht mit der Ausrichtung der Weltgartenbauausstellung ihren Anspruch, ein „grünes” Wachstum zu verwirklichen. Qingdao ist eine 8 Mio. Einwohner Metropole in Chinas östlicher Provinz Shandong. Ihr Wassermangel ist eklatant. Ihren Einwohnern steht bislang lediglich ein Siebtel der Wassermenge zur Verfügung, die als chinesischer Durchschnittswert gilt. Deswegen investieren die Stadtverwaltung wie auch private Entwickler intensiv in zukunftsweisende Infrastrukturen.

Was ist die WHE 2014 und was macht SEMIZENTRAL dort?
Die Weltgartenbauausstellung „World Horticulture Exposition 2014” (WHE) findet von April bis Oktober 2014 in Qingdao statt. Veranstaltet wird die WHE vom „Qingdao Municipal Government“ bzw. dem „Executive Committee of 2014 Qingdao International Horticultural Exposition“.

Der chinesische Minister Wan Gang (MoST) wird die als „Olympiade“ des Gartenbaus bezeichnete Schau am 25. April 2014 und das SEMIZENTRALE Ver- und Entsorgungszentrum am 27. April 2014 unter Beteiligung aller Forschungspartner und Sponsoren eröffnen. Die Veranstalter rechnen mit etwa 12 Mio. Besuchern für die WHE, welche die aktuellen weltweiten Trends und Technologien im Gartenbausektor präsentiert.

Im Zuge der WHE entstehen in Qingdao zwei Wohngebiete und ein WHE-Dorf sowie zwei Hotelkomplexe für insgesamt ca. 12.000 Einwohner. Dafür wurde in rund 6 Monate Bauzeit das semizentrale VEZ Qingdao als weltweit erste Referenzanlage errichtet. Das VEZ wird das im Siedlungsgebiet anfallende Abwasser entsprechend dem Ansatz SEMIZENTRAL erfassen und behandeln. Die Anlage dient sowohl der Abwasserreinigung als auch der Brauchwassergewinnung und der Erzeugung von Biogas zur Energieerzeugung.

Wer ist für die künstlerische Gestaltung der VEZ-Fassade verantwortlich?
Die deutsche Künstlerin Susanna Neunast hat für das semizentrale VEZ eine raumgreifende Kunstinstallation entwickelt, die sowohl die Außenfassade des Eingangsgebäudes als auch Teile der Innenräume gestaltet. Sie deckt das Besondere im Alltäglichen des Wassers auf. So fängt Susanna Neunast Faszination und Schönheit des Wassers emotional erlebbar ein und vermittelt unerwartete Perspektiven der Wahrnehmung. In der Lobby des VEZ werden dessen Besucher neben der Kunst von visuell eigens aufbereiteten, fachlich fundierten Informationen zur Anlage und zum semizentralen Ansatz empfangen.

Wer sind die Kooperationspartner?
Während der rund dreijährigen Planungs- und Betriebsbegleitungsphase des semizentralen VEZ Qingdao kooperierte ein Konsortium von vierzehn deutschen Partnern sowie die Tongji University Shanghai und die Qingdao Technological University, mit denen bereits eine mehr als dreißig Jahre währende Zusammenarbeit mit der TU Darmstadt besteht.

Wer finanziert das semizentrale VEZ Qingdao?
Sowohl die Investitionskosten als auch der Betrieb werden durch die Entwicklungsgesellschaft der Gartenbauausstellung getragen. Die wissenschaftliche Begleitung der Implementierung durch den deutschen Forschungsverbund wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert, das MoST unterstützt die chinesischen Universitäten in der Forschung. Geleitet wird das Verbundprojekt durch das Fachgebiet Abwassertechnik, Institut IWAR der Technischen Universität Darmstadt.

Einen materiell entscheidenden Beitrag zur Realisierung des Ansatzes SEMIZENTRAL haben Förderer, Spender und Sponsoren, denen großer Dank gilt:

Wilo SE (Pumpen und Rührwerke)

Aerzner Maschinenfabrik GmbH (Gebläse)

Auma Riester GmbH & Co.KG (Antriebe für Ventile) OTT System GmbH & Co.KG (Belüftungselemente) Binder GmbH (Schieber und Regelungselektronik für die Belüftung)

LAR Process Analyzers AG (Messtechnik)

Aus den Entwicklungsabteilungen dieser Institutionen und Unternehmen stammen eine Vielzahl innovativer Bauteile und Maschinen, die zur Ausstattung des VEZ mit modernster Technologie gehören. Das hohe Engagement und große Know-how der Sponsoren hat wesentlich zur hochwertigen Ausstattung und damit auch zur Realisierung des ersten semizentralen Ver- und Entsorgungszentrums in Qingdao beigetragen.