Ein Boot namens WAMO

Start-up e.Ray rettet Leben mit Wassermonitoring-Plattform

2023/03/09 von

Der Klimawandel ist da. Und mit ihm die Katastrophenszenarien: Extremwetterereignisse weltweit. Die Zahl der wetter- und klimabedingten Naturkatastrophen hat nach Angaben der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) seit 1970 deutlich zugenommen – Stürme, Überschwemmungen, Dürren oder extreme Hitzeereignisse. Millionen Menschen verloren dabei ihr Leben. Überschwemmungen sind nach wie vor die häufigste Naturkatastrophe. Weltweit sind mehr als zwei Milliarden Menschen betroffen, Tendenz stark steigend. Frühwarnsysteme können helfen, Leben zu retten. Das Darmstädter Start-up e.Ray Europa hat ein solches System entwickelt und gebaut: WAMO – Wassermonitoring für den Hochwasserschutz.

Die schwimmende Messstation WAMO im Einsatz.

Es sieht aus wie ein kleiner Katamaran, doch dahinter verbirgt sich Hightech aus Darmstadt. Die Innovation heißt WAMO und ist nichts weniger als eine schwimmende Messstation für eine flächendeckende Digitalisierung von Seen, Flüssen und Überschwemmungsgebieten. WAMO steht für „Water Monitor“.

Das junge Darmstädter Unternehmen e.Ray Europa GmbH hat mit dem Gerät eine satellitengestützte und solarbetriebene Wassermanagement-Plattform entwickelt. „Die Hochwasserkatastrophe im Ahrtal 2021 hat gezeigt, dass es im Bereich des intelligenten Hochwasserschutzes, aber auch im Gewässermanagement noch großes Entwicklungspotenzial gibt“, sagt Sebastian Lemke, Mitgründer des Start-up e.Ray.

Katastrophenvorsorge von gestern

Die Gründer Sebastian Lemke (links) und Stefan Engelhardt prüfen die Technik.
Die Gründer Sebastian Lemke (links) und Stefan Engelhardt prüfen die Technik.

Lemke, Ingenieur für Energiewirtschaft, fasst nüchtern zusammen, was für die an der Ahr lebenden Menschen verheerende Folgen hatte: ein völlig unzuverlässiges, weil veraltetes Schutz-, Mess- und Warnsystem. „Unsere Dämme, Brücken und die Mess- und Warninfrastruktur sind nicht auf den Klimawandel vorbereitet. Diese Infrastruktur ist derzeit größtenteils auf die historischen Hochwassermarken der letzten 100 Jahre ausgelegt“, sagt Sebastian Lemke. Für Hochwasserstände über der Jahrhunderthochwassermarke, also über fünf Meter, sind diese klassischen Pegelhäuser unbrauchbar.

Erreicht das Flutniveau wie im Ahrtal acht Meter, fallen die Pegelmessungen aus. Die traurigen Folgen sind bekannt: Hunderte Gebäude wurden von den Wassermassen weggerissen, tausende Menschen mitten in Deutschland somit obdachlos. Für über 130 Menschen kam jede Hilfe zu spät. Sie starben in den Fluten. Hunderte wurden verletzt. Folgen des Klimawandels, die mit einem modernen Warnsystem hätten vermieden werden können. Einem autarken System wie dem Darmstädter Gewässermonitor WAMO.

Systematische Überwachung durch Satellitentechnologie

Und so funktioniert die Plattform: Selbst bei extrem hohen Wasserständen misst das WAMO präzise und übermittelt die Daten konstant. Entscheidend dabei ist, dass es mobil und frei schwimmend ist, eine Pegelobergrenze gibt es nicht. Ausgestattet mit zwei stromerzeugenden Photovoltaik-Paneelen übermittelt das Hightech-Gerät die gesammelten Daten unabhängig vom Stromversorgungsnetz in Echtzeit per Satellit an ein Endgerät, das beim Kunden – Feuerwehr, THW, Behörden – steht.

Das funktioniert auch dann, wenn Internet und Mobilfunk im Ernstfall ausfallen. Die Daten können flexibel und unabhängig von der vorhandenen Infrastruktur in die verfügbaren Kanäle eingespeist werden, darunter GSM, LTE, 5G, Satellitenkommunikation, Wi-Fi und LoRa (Long Range). Die so gewonnenen digitalen Informationen ergänzen die Daten des Deutschen Wetterdienstes und der Hochwasservorhersagezentralen.

Innovativer Algorithmus

Die Messstation WAMO übermittelt Daten unabhängig vom Stromversorgungsnetz in Echtzeit per Satellit.
Die Messstation WAMO übermittelt Daten unabhängig vom Stromversorgungsnetz in Echtzeit per Satellit.

Kern der Innovation ist das hochpräzise Satellitennavigationssystem, das den Wasserstand und die Position des WAMO zentimetergenau misst. „Der Schlüssel zur präzisen Messung liegt in unserem Mess- und Korrektur-Algorithmus“, so Lemke. Dieser bestimmt die genaue Position des WAMO und misst den Wasserstand.

E.Ray hat sich die Software patentieren lassen und entwickelt sie ständig weiter, um während eines Hochwassers genaueste Lageinformationen zu erhalten. So werden Ersthelfer vor Ort mit guten Informationen versorgt und Katastrophenstäbe informiert, um Leben retten zu können und Gefahren besser einzuschätzen.

Wechselvolle Start-up-Geschichte

Wasser ist seit der Gründung von e.Ray Europa das Element, mit dem das Start-up der TU Darmstadt arbeitet. Damals, im Jahr 2015, fand sich eine internationale Gruppe von Ingenieuren zusammen, die sich visionär und kreativ daran machte, zwei der großen Themen der Gesellschaft von heute anzupacken: intelligente Stromversorgung und kritische Wasserüberwachung.

Zunächst baute das Team um Ideengeber Sebastian Lemke mobile Wasserturbinen. Dafür holten sie sich Rat beim Innovations- und Gründungszentrum HIGHEST der TU Darmstadt. Mit dessen Hilfe erhielten sie diverse Stipendien, auch das EXIST-Gründungsstipendium der Bundesregierung. "Am Anfang einer Gründung ist alles eher leicht“, resümiert Sebastian Lemke rückblickend.

Doch irgendwann kommt das „Tal des Todes“, wie er es nennt. Zunächst eine Durststrecke, das Unternehmen kommt nicht so schnell voran, wie erhofft. Das Problem im Falle von e.Ray: die Wartung der Wasserturbinen war zu aufwendig und zu teuer. Als ein Mitbewerber nach dem anderen an genau dieser Problematik scheiterte, stand auch für e.Ray die Frage aller Fragen im Raum: weitermachen oder aufgeben?

Neue Ziele stecken

Für Sebastian Lemke war Aufgeben nie eine Option. „Ich bin in einer Unternehmerfamilie groß geworden“, erzählt er, „Für mich kommt nur die Selbständigkeit in Frage.“ Also machte er sich daran, eine neue Idee für e.Ray zu entwickeln. Die tragische Unwetterkatastrophe im Ahrtal 2021 wurde zur Geburtsstunde des WAMO. Mit Photovoltaik kannte Lemke sich aus. Schon als Student arbeitete er als Energy Consultant damit bei einem großen Unternehmen. Für die Softwareentwicklung holten sich das e.Ray-Team um Sebastian Lemke und Fabian Suarez einen top Informatiker in ihre Reihen.

Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: Mit seiner innovativen satellitengestützten Technologie gewann e.Ray bereits Ende 2021 den Galileo Masters Space Award. Der internationale Wettbewerb des Anwendungszentrums Oberpfaffenhofen zeichnet bahnbrechende Innovationen aus, die das Globale Navigationssatellitensystem (GNSS) einsetzen. Es war das erste Mal, das der Gesamtsieg an ein Unternehmen aus Hessen ging, erzählt Lemke. Er ist stolz auf die technologische Vorreiterrolle von e.Ray. Die Zusammenarbeit mit der European Space Agency (ESA) als Hauptauftragnehmer belege die Kompetenz des Jungunternehmens. Ein Hochwasserschutz-Pilotprojekt mit der Darmstädter Stadtholding HEAG stellt die Funktionalität des WAMO unter Beweis. Sechzehn Vorbestellungen liegen e.Ray derzeit vor.

Realistische Unternehmensstrategie

E.Ray betreibt die Systeme auf Abonnementbasis und kümmert sich um die Wartung. Die Basiselemente des WAMO wie etwa die Bootsrümpfe, die Antennen oder die Elektronik werden kostengünstig eingekauft. Der Betriebspreis für die Plattform liegt bei 20 Prozent von dem eines klassischen Pegelhäuschens.

Ein unschlagbares Verkaufsargument aber ist die Flexibilität des WAMO, davon ist Lemke überzeugt: „Das WAMO ist ein erweiterbares System. Mit zusätzlichen Features ausgestattet, kann die Plattform auch Gewässerqualität messen oder etwa Blaualgen zerstören.“ Ereignisse, wie etwa die plötzliche Bildung von Goldalgen – so geschehen an der Oder –, könnten mit so einem System verhindert werden. Das Unternehmen e.Ray Europa hat sich mit WAMO zukunftssicher aufgestellt.