Autopiloten industrieller Fertigung

Wenn Forschung den Sprung in die Praxis wagt – TUDa Start-up-Projekt autonomIQ

2025/07/10 von

Wie gelingt es, aus jahrelanger Spitzenforschung ein Unternehmen mit echtem industriellen Impact zu machen? Die Antwort darauf liefern Erkut Sarikaya und Felix Hoffmann – zwei Gründer aus der TU Darmstadt, die eigentlich nie vorhatten, Unternehmer zu werden. Und die es trotzdem getan haben. Mit ihrem Start-up-Projekt „autonomIQ“ entwickeln sie eine KI-basierte Softwarelösung, die ein zentrales Problem in der industriellen Fertigung löst: den zeitaufwendigen, personalintensiven Prozess der Maschinenprogrammierung.

Forscherdrang & Unternehmermut: Dr. Felix Hoffmann und Erkut Sarikaya, Gründer von autonomIQ

Ihre Software „simplymill“ automatisiert die Erstellung von CNC-Codes – so einfach, wie man heute ein Dokument druckt. Der Clou: Die Software lernt mit jeder Anwendung dazu und verbessert sich kontinuierlich, ganz ohne Expertenwissen bei den Nutzenden. Für viele kleine und mittelständische Fertigungsbetriebe ist das ein echter Gamechanger – vor allem angesichts von Fachkräftemangel und steigenden Produktionskosten.

Entstanden ist die Idee aus dem Forschungsprojekt AICoM am Institut für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen (PTW) des Fachbereichs Maschinenbau der TU Darmstadt, wo Erkut Sarikaya und Felix Hoffmann gemeinsam promovierten. Erkut Sarikaya – Maschinenbauingenieur mit Leidenschaft für autonome Systeme – war zuvor tief in der Forschung rund um autonome Werkzeugmaschinen unterwegs. Felix Hoffmann kommt aus dem Wirtschaftsingenieurwesen und bringt fundiertes Know-how in Betriebswirtschaft und Technologieentwicklung mit. Beide arbeiteten über Jahre an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Industrie – und sahen hautnah, wie groß die Nachfrage nach einer automatisierten Lösung in der Arbeitsvorbereitung ist.

Und trotzdem: Der Schritt in die Selbstständigkeit war kein Selbstläufer. „Ich habe zwei Kinder – und gründen war für mich lange kein Thema“, sagt Erkut Sarikaya. Auch Felix Hoffmann plante zunächst den Wechsel in die Industrie. Doch die Nachfrage aus der Wirtschaft war zu deutlich, das Thema zu wichtig – und mit der Förderung durch den EXIST-Forschungstransfer des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz war plötzlich klar: Jetzt oder nie.

autonomIQ ist mehr als ein technisches Projekt. Es ist eine Gründerreise, die zeigt, wie aus wissenschaftlicher Neugier, praktischem Problembewusstsein und unternehmerischem Mut eine Lösung entsteht, die ganze Produktionsprozesse verändern kann. Und wie zwei Forschende, die eigentlich nie gründen wollten, genau damit ihre Berufung gefunden haben.

„Unsere Vision ist eine Fertigung, die sich selbst programmiert.“

Im Gespräch mit … Erkut Sarikaya und Felix Hoffmann, Gründer von autonomIQ

HIGHEST: Herr Sarikaya, wie kam es eigentlich zur Idee, autonomIQ zu gründen? Gab es so etwas wie einen Auslöser?

Die Idee hat sich über mehrere Jahre entwickelt – aber der Schlüsselmoment kam während meiner Promotion am Institut für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen (PTW). Ich habe früher zur autonomen Fahrzeugtechnik geforscht, war richtig tief in der Steuerungs- und Regelungstechnik drin. Dann habe ich in der Produktionstechnik ein Praktikum gemacht und dachte nur: Wow, hier läuft vieles noch so, wie es vor 20 Jahren war. Die Maschinen sind hochautomatisiert – aber die Vorbereitung, vor allem die Programmierung, ist oft noch reine Handarbeit. Das hat mich nicht losgelassen. Und so kam die Idee: Warum nicht das Prinzip des autonomen Fahrens auf Werkzeugmaschinen übertragen?

HIGHEST: Herr Hoffmann, was hat Sie an dem Projekt gereizt?

Ich war schon während meiner Promotion am PTW thematisch nah dran. Als Erkut mich gefragt hat, ob ich mit einsteige, habe ich nicht lange überlegt. Für mich war klar: Das Thema ist hochrelevant, die Idee hat Substanz – und wir kennen uns gut. Wir wussten, dass wir uns in unseren Kompetenzen gut ergänzen. Erkut ist der Tech- und Vision-Mensch, ich komme eher von der wirtschaftlichen Seite.

„Zerspanen so einfach wie drucken“

So einfach fräsen wie Drucken“. Das Start-up AutonomIQ automatisiert die CNC-Programmierung.
So einfach fräsen wie Drucken“. Das Start-up AutonomIQ automatisiert die CNC-Programmierung.

HIGHEST: Was genau macht eure Software simplymill – und was ist das Neue daran?

Sarikaya: Wir automatisieren die Maschinenprogrammierung für CNC-Werkzeugmaschinen. Heute braucht man dafür spezialisierte Fachkräfte, sogenannte CAM-Programmierer. Und das ist ein echter Flaschenhals – teuer, zeitaufwendig und schwer zu finden. Unsere Software nimmt ein 3D-CAD-Modell und erstellt daraus automatisch das passende Maschinenprogramm. Der Nutzer muss nicht wissen, wie gefräst wird – das übernimmt die Software.

Hoffmann: Was uns unterscheidet: Wir bauen nicht einfach ein Add-on für bestehende Systeme. Wir entwickeln unsere eigene Software komplett neu, von Grund auf. Die etablierten Lösungen sind oft über Jahre gewachsen, mit tausend Einstellungen und Menüs – die kann man nur bedienen, wenn man tief im Thema steckt. Wir wollen den Prozess so einfach machen wie Drucken. Datei rein, Knopf drücken, Code raus.

HIGHEST: Klingt nach echter Automatisierung.

Sarikaya: Ist es auch. Unsere Software ist nicht nur ein Planer – sie lernt mit. Sie bekommt Rückmeldungen aus der Maschine, analysiert, wie gut der Fräsprozess war, und verbessert sich mit der Zeit. Das nennen wir „Continual Learning“. Ähnlich wie ein Navi, das sich merkt, wann wo Stau ist. Nur dass wir statt Autos Fräser auf dem Werkstück steuern.

HIGHEST: Was war die größte Herausforderung beim Sprung von der Forschung zur marktreifen Lösung?

Hoffmann: Ganz klar: Die Robustheit. In der Forschung darf mal was wackeln – in der Industrie nicht. Die Software muss intuitiv sein, stabil laufen, auch wenn der Nutzer mal nicht die Anleitung liest. Es reicht nicht, dass etwas technisch funktioniert – es muss für den Alltag gebaut sein. Das lernen wir gerade.

Sarikaya: Und ein Produkt zu bauen, das skalierbar ist – also nicht nur für ein einzelnes Bauteil funktioniert, sondern auf viele verschiedene Szenarien übertragbar ist. In der Forschung hatten wir einen klaren Rahmen, jetzt müssen wir uns in der echten Welt beweisen. Aber genau das ist auch das Spannende.

Ein starkes Team aus der Forschung

HIGHEST: Wie haben Sie Ihre Gründungsteam zusammengestellt?

Sarikaya: Ich hatte das Glück, viele Leute schon aus der Forschung zu kennen. Einige waren Werkstudenten bei mir, andere haben Abschlussarbeiten geschrieben. Alle waren in dem Thema drin, das wir jetzt im Start-up weiterentwickeln. Felix war einer der Ersten, die ich angesprochen habe – er hat betriebswirtschaftlich promoviert, kann Geschäftsmodelle, Vertrieb, Organisation. Wir ergänzen uns super. Am Ende war das Team in zwei Tagen zusammengestellt – weil alle mit Herzblut dabei waren.

Hoffmann: Und EXIST gibt uns nicht nur Geld, sondern auch Struktur. Wir mussten einen Businessplan schreiben, Meilensteine definieren, uns Feedback holen. Das war Gold wert.

HIGHEST: Sie haben bei der AIConnect Startup Competition den zweiten Platz gemacht. Was hat das für Sie bedeutet?

Hoffmann: Das war für uns ein echter Motivationsschub. Wir haben dort zum ersten Mal vor einem breiteren Publikum gepitcht – nicht nur Maschinenbauer. Und es hat funktioniert. Die Jury war überzeugt, wir haben viel gelernt, wie wir unsere Idee klarer kommunizieren. Und ganz ehrlich: Der Austausch mit anderen Start-ups aus völlig anderen Bereichen – Healthcare, Consumer Tech – hat uns gezeigt: Wir sind mit unserem Thema nicht allein, sondern Teil einer größeren Bewegung.

HIGHEST: Wie planen Sie Ihre Markteintritt? Wie wollen Sie ihre Kunden gewinnen?

Sarikaya: Wir haben bereits etliche LOIs (Letter of Intends), also Absichtserklärungen von potenziellen Kunden, die mit uns zusammenarbeiten möchten, wenn unser Produkt marktreif ist. Das sind Kontakte aus der Industrie, die wir durch das Forschungsprojekt AICoM kennen. Aber wir sind dann bewusst rausgegangen – auf Veranstaltungen, zur IHK, in Arbeitskreise. Wir haben unsere Idee vorgestellt, immer wieder. Und das Feedback war sehr klar: „Wenn ihr das hinkriegt, sagt uns Bescheid.“ Es kamen sogar Firmen auf uns zu, die gesagt haben: „Testet eure Software bei uns.“ Das hat uns gezeigt: Wir lösen ein echtes Problem.

Hoffmann: Und es ist kein Nischenthema. Klar, die kleineren Fertiger haben den größten Schmerz – aber auch große Unternehmen haben uns gesagt: Genau diese Übersetzung vom CAD-Modell zum CNC-Code ist bei uns der Engpass. Wir schließen eine Lücke, die bisher niemand richtig adressiert hat.

HIGHEST: Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?

Sarikaya: Unsere Vision ist klar: Wir wollen, dass sich Fertigungsaufträge selbst programmieren. Vollständig autonom. Nicht irgendwann – sondern Schritt für Schritt. Heute Fräsen, morgen Drehen, übermorgen andere Verfahren wie Laserschneiden oder Wasserstrahl. Und dabei bleibt unser Ziel immer gleich: Die Hürde senken. Fertigung soll zugänglich werden – nicht nur für Experten, sondern für alle, die ein Bauteil brauchen.

Hoffmann: Denkmal an 3D-Druck. Früher war das ein Nerd-Thema, heute kann fast jeder was drucken. Genau das wollen wir für die zerspanende Fertigung. Demokratisierung durch Einfachheit.

Forscherdrang und Unternehmermut

: „Heute Fräsen, morgen Drehen, übermorgen andere Verfahren wie Laserschneiden oder Wasserstrahl“: Felix Hoffmann und Erkut Sarikaya denken unternehmerisch.
: „Heute Fräsen, morgen Drehen, übermorgen andere Verfahren wie Laserschneiden oder Wasserstrahl“: Felix Hoffmann und Erkut Sarikaya denken unternehmerisch.

HIGHEST: Was Sie auf dem Gründungsweg am meisten gefordert?

Hoffmann: Für mich war es der Schritt raus aus der akademischen Komfortzone. In der Forschung darf man Fehler machen – in einem Produkt nicht. Plötzlich zählt nicht nur, ob etwas theoretisch funktioniert, sondern ob es beim Kunden wirklich läuft.

Sarikaya: Und für mich war es die Entscheidung, nicht den sicheren Weg zu gehen. Mit Familie ein Start-up zu gründen ist kein leichter Schritt. Aber die EXIST-Förderung hat das Risiko kalkulierbar gemacht. Und die Überzeugung, dass unsere Idee gebraucht wird – das hat mich getragen.

HIGHEST: Was würden Sie anderen Forschenden raten, die mit einer Gründungsidee spielen?

Sarikaya: Redet mit der Industrie. Früh. Und nutzt die Angebote, die es an der Uni gibt – HIGHEST, AI Startup Rising, die Gründungsberatung. Ohne die hätten wir nie so schnell loslegen können.

HIGHEST: Und was wünschen Sie sich für die Zukunft – für sich selbstund die Start-up-Szene in Darmstadt?

Hoffmann: Wir wünschen uns, dass Start-ups noch besser begleitet werden – auch nach EXIST. Mit Programmen wie Futury entsteht da gerade viel. Darmstadt hat Potenzial – mit der TU, mit HIGHEST, mit hessian.ai. Wenn das gut zusammenspielt, kann hier eine echte Start-up-Hochburg entstehen.

Aktuelles aus dem Innovations- und Gründungszentrum HIGHEST