„Gaspreisbremse sendet falsches Signal“

TU-Expertin Michèle Knodt zur Energiesituation in den kommenden Monaten

06.12.2022

Professorin Michèle Knodt forscht seit langem zu Energiepolitik und Energiewende. Im hoch³-Interview gibt die Politikwissenschaftlerin eine Prognose zur Versorgungslage ab – und stellt ein wichtiges TU-Projekt zur Energietransformation vor.

Professorin Michèle Knodt

TU Darmstadt: Frau Professorin Knodt, wieviel Energie muss Deutschland im Idealfall in diesem Winter einsparen?

Professorin Michèle Knodt: Momentan sieht es so, als müssten wir 20 Prozent des Energieverbrauchs durch Einsparungen kompensieren. Schon zwei Wochen nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine im Februar war ich von einer Lücke von rund 20 bis 25 Prozent ausgegangen. In der Rechnung ging ich von dem Maximum an Gaslieferungen aus, die vor allem aus Norwegen, aber auch den Niederlanden, aus Algerien oder Aserbaidschan kommen können.

Dazu habe ich sehr optimistisch damals angenommen, dass die LNG-Lieferungen, die vor allem über die Niederlande und Belgien zu uns gelangen, fast verdoppelt werden können. Ebenfalls ging ich davon aus, dass die Gasspeicher am Anfang der Heizperiode zu 95 Prozent gefüllt sein würden. Das war damals eine kühne Annahme, die jetzt allerdings Realität geworden ist.

Wie schätzen Sie die Einsparbereitschaft der Verbraucherinnen und Verbraucher ein?

Hier müssen wir zwischen der Industrie und den privaten Verbraucher:innen unterscheiden. Bei beiden Gruppen spielt der Preisdruck eine wichtige Rolle. Die Industrie hat bereits sehr große Einsparungen getätigt. In einigen Bereichen war bereits zu Beginn des russischen Angriffs der Preisdruck so groß, dass Teile der Produktion heruntergefahren wurden.

Bei den Verbraucher:innen wird es spätestens jetzt, wenn es kälter wird, notgedrungen zu Einsparungen kommen. Denn eine Vervielfachung des Preises können viele Haushalte auch mit den jetzt beschlossenen Unterstützungsmaßnahmen der Regierung bei bisherigem Verbrauch nicht stemmen. Allerdings hängen Einsparungen der Haushalte auch von exogenen Faktoren wie dem Wetter ab und nicht alleine von der Einsparbereitschaft.

Mit welcher Preisentwicklung für Brennstoffe rechnen Sie im bevorstehenden Winter?

Als Politikwissenschaftlerin würde ich vorsichtig optimistisch sein. Zwar wird aufgrund der Krisensituation die Unsicherheit und damit auch das Risiko starker Preis- und Kursschwankungen bei Rohstoffen bleiben, die Entwicklung der letzten Wochen geben aber Anlass zu vorsichtigem Optimismus. Der Ölpreis liegt inzwischen nur noch geringfügig über dem Vorjahresniveau, und beim Gaspreis ist der Kurs am Warenterminmarkt (TTF) sogar unter das Vorjahresniveau gesunken. Aber nicht zuletzt aufgrund des Krieges kann daraus noch kein mittelfristiger Trend abgelesen werden, dafür ist das Umfeld zu unsicher.

Wie bewerten Sie die geplanten Preisbremsen für Gas und Strom? Könnten sich diese Ihrer Ansicht nach im ungünstigen Fall auch als kontraproduktiv erweisen, weil sie nachfragesteigernd wirken und damit dem Sparen entgegenstehen könnten?

Es gibt zwei Aspekte, die mir bei dem Paket, so wie es im Moment vom Expertenrat vorgeschlagen wurde, nicht gefallen. Zum einen ist es der erneute Ansatz des Gießkannenprinzips, bei dem einfach für alle der Abschlag von Dezember vom Staat übernommen wird. Ich kann nicht verstehen, warum man über ein halbes Jahr nach dem Angriff Russlands und mit all den Erfahrungen der Covid-Pandemie immer noch keine Kanäle aufgebaut hat, um zielgenau einkommensschwache Haushalte zu unterstützen.

Zum anderen wird es sehr darauf ankommen, bei den Verbraucher:innen nicht den Eindruck zu erwecken, dass die Preiskrise damit so weit abgefedert sei, dass man nicht mehr zu sparen braucht. Würde dieser Eindruck entstehen, dann wäre das in der Tat kontraproduktiv.

Wie hoch ist Ihrer Meinung nach die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Versorgungslage im Winter zuspitzt? Was passiert, wenn die Sparziele nicht erfüllt werden?

Es wird sehr darauf ankommen, ob neben den Sparzielen, die natürlich erreicht werden müssen, sich auch die anderen Annahmen so realisieren lassen. Das Thema LNG ist dabei wohl das unsicherste. Auch wenn wir es schaffen, die drei schwimmenden Terminals fertig zu stellen, fehlen momentan ja noch die Verträge und damit die Schiffe. Bisher haben wir nur eine Schiffslieferung der Vereinigten Arabischen Emirate zugesagt bekommen. Wenn also irgendein Baustein dieses doch fragilen Versorgungs- und Nachfrageszenarios wankt, dann wird es nicht reichen.

Dann haben wir eine sogenannte „erhebliche Störung der Gasversorgung“ und damit eine „erhebliche Verschlechterung der Versorgungslage“, wie es im Notfallgesetz heißt. Mit diesem Fall tritt die dritte Stufe des Gasnotfallplans ein, die Notfallstufe. In dieser werden Maßnahmen ergriffen, um die Gasversorgung der sogenannten „geschützten Kunden“ zu gewährleisten. Diese sind neben Krankenhäusern, der Polizei und Feuerwehr vor allem auch die Privatkunden, die mit Wärme versorgt werden müssen. Je nach Knappheit kann es somit zu Abschaltungen der Industrie kommen.

Wie beurteilen Sie die Möglichkeiten Europas und speziell Deutschlands, russische Brennstoffe zu ersetzen, kurz-, mittel- und langfristig? Was sind die größten Hürden?

Kurzfristig haben wir die Lage in diesem Winter ja besprochen, der nächste Winter könnte jedoch prekärer werden. Der Grund dafür ist, dass wir die Speicher, die wir diesen Winter wohl alle gegen null fahren werden, wieder auffüllen müssen. Dafür stehen nun jedoch die Lieferungen aus der Nord Stream 1 nicht mehr zur Verfügung. Das kann nochmal im Winter 2023/2024 schwierig werden. Mittel- und langfristig wird es darauf ankommen, wie schnell es uns gelingt, die erneuerbaren Energien auszubauen. Das muss das vorrangige Ziel bleiben.

Zudem gibt es jedoch mit der Transformation des Energiesystems durch die Knappheit im Bereich von Erdgas ein ganz anderes Problem, dass durch die Fokussierung auf die akute Gaskrise noch nicht ausreichend beleuchtet wird. Alle Szenarien der Transformation in Deutschland haben auf dem Weg zur Klimaneutralität auf die Erdgasbrücke gesetzt.

Das heißt, dass Erdgaskraftwerke als die flexibelsten fossilen Kraftwerke immer dann einspringen, wenn wir nicht genug Energie aus den erneuerbaren Energien produzieren können. Hierbei können uns die Kernkraftwerke nicht und Kohlekraftwerke nur sehr bedingt helfen. Dafür haben alle Szenarien in den nächsten Jahren sogar einen stark steigenden Bedarf an Erdgas angenommen. Diese Option ist nun so nicht mehr realisierbar. Dafür muss jetzt sehr viel ambitionierter in die Forschung und Innovation im Bereich von Speichertechnologien investiert werden.

Was können Forschende der TU Darmstadt dazu beitragen?

An der TU Darmstadt haben wir dazu einiges an Spitzenforschung sowohl im Bereich von Wasserstoff als auch im Bereich der Metalle als Energiespeicher. Im Clusterprojekt Clean Circles erforschen wir fächerübergreifend, wie Eisen zusammen mit seinen Oxiden in einem Kreislauf als kohlenstofffreier chemischer Energieträger genutzt werden kann, um Wind- und Sonnenergie zu speichern. Auf diese Weise kann erneuerbare Energie in großen Mengen gespeichert, transportiert und CO2-frei zur Verfügung gestellt werden.

Dies könnte es etwa ermöglichen, alte Kohlekraftwerke zu retrofitten, das heißt, statt wie bisher mit Kohle mit Eisen zu befeuern. Um diese neuen Technologien jedoch für Deutschland nutzbar zu machen, muss auch im politischen Bereich nicht nur die Förderkulisse angepasst werden, sondern es bedarf auch klarer Änderungen in der politischen Governance.

Die Nutzung von Wasserstoff oder Metallen als Energieträger muss in enger Koordination zum einen innerhalb der Bundesregierung unter den Ministerien, als auch zum anderen mit den Bundesländern geschehen. Ansonsten wird es zu parteipolitischen Blockaden sowohl innerhalb der Koalition als auch durch die Opposition kommen, wie wir sie nun schon so oft gesehen haben.

Wie auch im Bereich Wasserstoff wird ein Großteil der Energie über Metalle als Energieträger nach Deutschland importiert werden müssen. Hier gilt es zu berücksichtigen, dass es nicht wieder zu starken Abhängigkeiten von einem Lieferanten kommt. Zudem müssen für eine Bewertung zukünftiger Exportländer neben technischen Faktoren, Verfügbarkeit und Transportkosten noch einige andere sozio-ökonomische Faktoren wie etwa Sicherheitsrisiken im Land, Korruption aber auch internationale Abkommen einbezogen werden. Dafür forschen in Clean Circles gerade Ingenieur- und Naturwissenschaften, Mathematik, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an einer multikriteriellen Modellierung dieser innovativen kohlenstofffreien Energiekreisläufe auf der Grundlage reaktiver Metalle als Energieträger.

Die Fragen stellte Michaela Hütig.

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