Kein Hoodie, kein Hype – Folivora denkt die Energiewende pragmatisch
Wie zwei TUDa-Forscher mit Handwerker-Mindset ein DeepTech-Unternehmen aufbauen
04.09.2025
Ein Faultier als Vorbild für Hightech? Ja, sagen Maximilian Roth und Georg Avemarie. Denn Faultiere – Folivora – sind effizient, sie nutzen, was direkt vor ihrer Nase wächst. Genau das Prinzip steckt hinter der Firma Folivora Solutions GmbH, einer Ausgründung der TU Darmstadt. Die beiden Ingenieure verstehen sich nicht als hippe Start-up-Gründer mit Hoodie und Pitchdeck, sondern als bodenständige Handwerksmeister mit Doktortitel – nur dass ihr Werkzeugkasten aus Algorithmen besteht.

Mit ihrer Software steuern sie Energie-, Material- und Warenströme wie ein Navigationssystem: effizient, vorausschauend und klimaschonend. Statt Investoren-Millionen setzen sie auf die regionale Sparkasse und Kundennähe. Warum sie die Start-up-Bubble lieber meiden, was sie unter „Dachdecker-Mindset“ verstehen – und wie ihre Lösungen gerade den Sprung ins Gesundheitswesen schafft, erzählen Maximilian Roth und Georg Avemarie im Interview.
Was bietet Ihr Unternehmen konkret an?
Dr. Maximilian Roth: Wir entwickeln intelligente Effizienzbetriebssysteme. Das kann beispielsweise ein Energiebetriebssystem für ein Unternehmen mit mehreren Gebäuden und Anlagen oder eine Gewerbegebiet mit verschiedenen Standorten sein. Stellen Sie sich einen Industriepark vor: Blockheizkraftwerk, Solaranlage, Speicher, Maschinen. Jeden Tag laufen da unzählige Prozesse, die die Energieflüsse am Laufen halten. Normalerweise steuern zwei Leute das manuell an der Leitwarte.
Unsere Software ersetzt diese beiden – sie steuert automatisch, optimiert alle Viertelstunde neu, auf Basis von Wetterprognosen, Preisen und Produktionsplänen. Unser System überwacht die aufgewendete Energie live und zeigt in Echtzeit, wo gerade wie viel verbraucht wird. Gleichzeitig verteilt es beispielsweise den Strom automatisch und intelligent, sodass die Energie optimal genutzt wird. Teure Spitzenlasten werden dadurch vermieden, weil das System Lasten clever verschiebt.
Dr. Georg Avemarie: Zur Erklärung hilft vielleicht ein Bild: Unser Betriebssystem ist wie ein Navigationssystem. Bei dem genannten Beispiel des Industrieparks optimiert es Energieflüsse. Es sieht, wo Engpässe sind, berechnet Alternativen, verteilt Strom und Wärme so, dass Kosten sinken und CO₂ gespart wird. Das Ganze wird zusätzlich durch einen digitalen Zwilling unterstützt – also eine virtuelle Kopie der Energieanlagen, mit der sich verschiedene Szenarien vorab testen lassen.
Der Nutzen für Unternehmen liegt klar auf der Hand: Sie senken ihre Kosten, schonen die Umwelt und sichern eine stabile, verlässliche Stromversorgung. Kurz: ein smarter Energiemanager entscheidet automatisch, wann, wo und wie viel Energie fließt – für mehr Nachhaltigkeit und weniger Ausgaben. Und dieses Prinzip funktioniert ebenso in der Logistik oder bei Materialflüssen.
Gute Lösungen auf den Markt bringen
Sie sind keine Informatiker, entwickeln aber Software?
Roth: Genau. Wir sind Wirtschaftsingenieure. Beide promoviert in Mechatronik und Regelungstechnik am der TU Darmstadt. Vor diesem Hintergrund verstehen wir komplexe Systeme und machen sie berechenbar, schreiben dafür Algorithmen – und am Ende entwickeln wir daraus eine auf den Kundenbedarf zugeschnittene entsteht Software. Hardware bauen wir nicht. Institut für Mechatronische Systeme (IMS)
Wie entstand die Idee zu Folivora? Gab es einen Schlüsselmoment während Ihrer Zeit als Forscher an der TU Darmstadt?
Roth: Einen einzelnen Schlüsselmoment gab es nicht. Es war eher ein Prozess. Wir haben beide jahrelang an Forschungsprojekten gearbeitet – bei am IMS hier auf der Lichtwiese der TU Darmstadt, oft zusammen im selben Büro. Wir haben gesehen: Da entstehen gute Lösungen, Pilotprojekte laufen, und dann? Nach Projektende verschwindet alles in der Schublade. Keiner betreut die Software weiter, keiner haftet dafür. Das hat uns frustriert. Wir wollten die PS endlich auf die Straße bringen. Professor Stephan Rinderknecht
Avemarie: Wir haben von Anfang an sehr anwendungsnah geforscht und mit Stadtwerken, Wohnungsbaugesellschaften und Unternehmen aus der Industrie zusammengearbeitet. Wir haben gesehen: Unsere Methoden funktionieren in der Praxis. Aber wenn die Uni diese Ergebnisse nicht an den Markt bringen kann und die Industrie Forschungsergebnisse nicht übernehmen darf, bleibt alles liegen. Also haben wir gesagt: Dann machen wir es eben selbst.
„Wir verstehen uns als Handwerker mit Dr.-Titel"
Was ist das Geschäftsmodell von Folivora?
Avemarie: Unsere Leistung besteht aus zwei klaren Schritten. Zuerst die Dienstleistung: Wir analysieren das bestehende Energiemanagementsystem. Dazu erstellen wir ein mathematisches Modell, simulieren verschiedene Szenarien und zeigen dem Kunden schwarz auf weiß, welches Einsparpotenzial im System steckt – zum Beispiel zwölf Prozent. Dieser Teil entspricht einem klassischen Beratungsprojekt.
Danach folgt das Produkt: ein intelligentes Effizienzbetriebssystem, also eine Software, die wir individuell für den Kunden entwickeln und implementieren. Damit wird das Einsparpotenzial nicht nur sichtbar, sondern auch dauerhaft nutzbar. Unsere Modelle laufen in Echtzeit – entweder als Kaufsoftware oder als Service mit jährlicher Gebühr. Manche Kunden zahlen auch pro Einsparung.
Sie haben also schon Kunden?
Roth: Ja, wir sind seit zwei Jahren als GmbH am Markt. Unsere Kunden rekrutieren sich aus energieintensiver Industrie, aus der Pharmabranche oder etwa Automobilzulieferern.
Haben Sie für die Gründung des Unternehmens Fördergelder wie EXIST genutzt oder auf Investoren gesetzt?
Avemarie: Nein. Wir haben bewusst keine EXIST-Förderung der Bundesregierung beantragt, auch keine Investoren ins Boot geholt. Das EXIST-Gründungsstipendium ist eine Förderung, das sich an Gründungsvorhaben richtet. Während des Förderzeitraums darf jedoch kein Unternehmen gegründet werden. Für uns war der Weg passender, als Postdocs in Teilzeit an der Universität zu arbeiten und parallel die Gründung einer GmbH vorzubereiten.
Roth: Wir haben unsere Software-Bibliothek von der Uni übernommen, ganz pragmatisch: Vertrag bei Susanne Gürich, IP-Managerin bei HIGHEST, abgeschlossen, bezahlt, fertig. Es gibt keine Beteiligung der TU an unserem Unternehmen. Unser Geschäftskonto haben wir klassisch bei der Sparkasse in meinem Heimatort im Odenwald. Ganz bodenständig.
Also kein Start-up-Buzz, keine Pitch-Events?
Avemarie: Nein. Uns war immer klar: Wenn jemand unser Produkt kauft, haben wir eine Existenzberechtigung. Wenn nicht, hören wir auf. Wir wollten nie „Unternehmer um des Unternehmertums willen“ sein. Wir verstehen uns eher als Handwerker mit Dr.-Titel. Wir lösen Probleme, und dafür werden wir bezahlt.
Roth: Genau, eher ein Deeptech-Dachdeckerbetrieb – nur dass wir statt Dächer Software bauen.
„Wir wollen nicht die Welt retten, sondern Probleme lösen"
Wie haben Sie das Gründer-Team gefunden?
Avemarie: Wir haben am Institut für Mechatronische Systeme die gleichen Projekte gemacht, die gleiche Sprache gesprochen. Wir sind uns fachlich ähnlich, aber ergänzen uns in den Rollen: Max übernimmt eher die kaufmännischen, organisatorischen Themen, ich die technische Produktseite. Aber wir verstehen inhaltlich beide Seiten und spiegeln uns gegenseitig.
Welche Hürden haben Sie gemeistert?
Roth: Die größte Herausforderung ist es, ernst genommen zu werden. Viele Unternehmen sind misstrauisch gegenüber Start-ups, die nur Ideen pitchen. Wir mussten beweisen, dass wir ein seriöses Unternehmen sind, das Probleme löst. Dazu kommt: Unsere Projekte sind groß und dauern lange. Sales-Zyklen ziehen sich über ein Jahr. Da braucht man Geduld.
Avemarie: Und Glück. Timing ist alles. Der Kunde braucht ein Budget, ein offenes Zeitfenster, eine strategische Motivation. Das ist nicht immer planbar.
Wo stehen Sie gerade, und wo geht es hin?
Roth: Wir sind am Markt, können bald vollständig von Folivora Solutions leben. Wir bauen Stück für Stück aus – mit Werkstudenten, Absolventen, bald Festangestellten. Und wir haben gerade eine zweite Firma gegründet: Streamedics , ein Joint Venture mit einem IT-Unternehmen aus dem Gesundheitswesen. Dort bringen wir unsere Entscheidungsalgorithmen in Krankenhäuser, für Energiesteuerung, aber auch für Personalplanung und Bettenbelegung.
Avemarie: In fünf Jahren sehen wir Folivora Solutions als etablierten Anbieter für Entscheidungsalgorithmen in komplexen Systemen: Energie, Logistik, Healthcare. Wir wollen wachsen, aber organisch. Keine wilde Skalierung, sondern solides Handwerk.
Welchen Rat geben Sie Forscher:innen, die selbst gründen wollen?
Avemarie: Stellt euch ehrlich die Frage: Gibt es wirklich einen Bedarf? Oder liebt ihr nur euer Thema? Begeisterung allein reicht nicht. Am Ende muss jemand bereit sein, Geld dafür zu zahlen.
Roth: Und denkt daran: Förderung ist hilfreich, um den ersten Schritt zu gehen. Aber danach müsst ihr auf eigenen Beinen stehen. Ein Unternehmen lebt nicht von Pitch-Events, sondern von zahlenden Kunden.
Also am Ende doch die alte Schule?
Roth: Ja. Ein Handwerksbetrieb mit Dr.-Titel. Wir haben keinen Hoodie an, wenn wir zum Kunden gehen, sondern einen Anzug. Wir wollen nicht die Welt retten, sondern Probleme lösen – effizient, zuverlässig, nachhaltig.
Avemarie: Und wenn wir damit auch noch ein Stück zur Energiewende beitragen, umso besser.
Die Fragen stellte Heike Jüngst